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Kultur: Der Wille zur Idylle

Da läuft nichts mehr, da läuft noch was: Meg Stuarts „Forgeries, Love and other Matters“ beim Berliner Tanz im August

Von Sandra Luzina

Was kommt, wenn nichts mehr läuft? Das wird untersucht in „Forgeries, Love and other Matters“. Meg Stuarts Abschiedsvorstellung aus Zürich ist nun angekommen beim Berliner Tanz im August – in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, mit der die amerikanische Choreografin seit 2002/2003 zusammenarbeitet. Es ist eine Expedition durch einen verwüsteten Planeten – mit Körper-Landschaften nach der Katastrophe.

Wie Meg Stuart und Benoît Lachambre anfangs auf wackeligen Campingstühlchen nebeneinander hocken, scheint an Trostlosigkeit nicht zu überbieten. Doch dann kommt es doch noch schlimmer. Er sieht sie an, sie schaut weg. Er nimmt ihre Hand, sie entzieht sich. Nahaufnahme des Paarelends in einer Endmoränenlandschaft.

Zusammen waten sie durch einen Morast aus abgestorbenen Gefühlen und versinken dabei in braunem Plüsch. Sie knickt mit ihren hochhackigen Stiefeln weg, er klemmt fest, bleibt in der Ritze stecken. Wenn beide die Hügelchen herunterpurzeln, ist jeder Fall gut gepolsterst. Fast gemütlich, diese Misere.

Beinahe wären wir Meg Stuart und Benoît Lachambre damit auf den Leim gegangen. Zumal das Ganze wirklich ein Bild des Jammers abgibt. Doch „Forgeries“ bedeutet Fälschung. Hier geht es um verlogene Gefühle. Stuart zielt auf das Echte am Falschen. Dazu passt die Camper- und Camp-Ästhetik: verbeulte Trainingshosen, Nylon-Anorak, Billig-Schlafsack und jede Menge Plastikmüll. Ein Fall für die Umweltpolizei.

Was übrig bleibt nach dem Super-GAU, nach dem Ende der Liebe? Sie stopft sich mit Mülltüten aus und betritt sein Forschungslabor. Er befreit ihren Körper von seinen Hüllen und stößt auf eine „chaotische Organisation“. Zuvor der Versuch, die Beziehung wiederzubeleben – alles fake. Nachdem sie in einem Loch verschwunden war, kehrt sie mit Blondhaarperücke zurück. Das verheißt: Sie will. Er setzt die verspiegelte Sonnenbrille auf. Das verspricht: Er kann. Wenn beide sich zum Beischlaf auf den Schlafsack niederlegen, er sich entschlossen über sie beugt, scheint das einem festen Skript zu folgen – der Ballade von der sexuellen Abhängigkeit. Bei Stuart wird daraus eine lustige Interruptus-Nummer.

Meg Stuart und Benoît Lachambre verfehlen sich dauernd – und sind doch beängstigend gut aufeinander eingespielt, werden partners in crime bei dieser Trash-Orgie. Sie ist nicht nur Expertin für die „falsche“ Bewegung, das Elend auf zwei Beinen, sondern ganz schön fies – eine bitch. Lachambre, der Berserker, der Berührungssüchtige: Hier verkörpert er den letzten Mann – und wächst darstellerisch über sich hinaus. Vor unseren Augen mutiert er zum nackten Menschenaffen. Das ist nicht nur schreiend komisch, sondern beweist auch Größe.

Hahn Rowe, der langjährige musikalische Partner von Meg Stuart, sichtet alte Platten, sucht nach vergessenen Soundtracks. Ein Archäologe am Computer und an der E-Gitarre, kramt er im Klang-Vermächtnis einer versunkenen Zivilisation. Alles ist kontaminiert. Auch die Gefühle. Doch plötzlich tollen die beiden in Plüschanzügen wie zwei Bärenjungen über die Bühne. Zu niedlich, um wahr zu sein. Doch hier zählt der Wille zur Idylle. Zum Schluss verschwinden Stuart und Lachambre in einem Mini-Zelt mit aufgemaltem Sonnenuntergang, und ihre kulturpessimistischen Thesen versetzen sie mit toxischer Komik. Das rettet den Abend. Nichts geht mehr – doch Stuart, Lachambre und Hahn demonstrieren ein schönes Paradox: Da läuft noch was.

Nochmals heute, 19.30 Uhr

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