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Kultur: Der Würfel ist gefallen

Zu Land, zu Wasser: Die Schweizer Landesausstellung „Expo.02“ begeistert mit Ideen zur Zukunft der Architektur

Von Bernhard Schulz

Die Schweizer Expo, ein kleiner Verwandter der Hannoveraner Weltausstellung, war außerhalb der Confoederatio Helvetica lange Zeit nur durch Krisen und Kräche im Gespräch. Doch die 1995 vom Parlament beschlossene, nunmehr „Expo.02“ genannte Selbstdarstellung der Eidgenossenschaft entpuppte sich von ihrem Start im Mai weg als Glücksfall. Das ist insofern bemerkenswert, als alle bisherigen Landesausstellungen seit 1883 von Skandalen begleitet wurden.

Jede Generation leistet sich allenfalls eine solche „Landi“; die vorangehende fand 1964 statt. Über Geschichte und Geschichten informiert die gestern eröffnete, einfallsreich gestaltete Ausstellung der Kunstbibliothek, deren in Frageform gehaltener Titel „expos.ch – die Schweiz ausstellen?“ bereits auf die Schwierigkeiten mit solcher Art nationaler Selbstvergewisserung hinweist.

Der Balsam, den die derzeitige Präsentation von Schweizer Ticks und Tugenden auf die wunden Seelen der Eidgenossen legt, ist die eine Seite der Erfolgsmedaille. Die andere ist die Architektur. Sie ist überraschend, eindrucksvoll, ja grandios – und eröffnet neue Horizonte im Zusammenspiel von Landschaft und Baukunst.

Das Konzept dieser Landesausstellung sah vor, nicht einen einzigen Ausstellungsort zu benennen, sondern eine n Landesteil. Die Wahl fiel auf die Drei-Seen-Region im deutsch-französischen Übergangsgebiet des Jura. Vier Städte wurden auserkoren, alle malerisch an Seen gelegen, grüne Mittelgebirge im Hintergrund: Biel/Bienne, Neuenburg/Neuchâtel, Yverdon und Murten. Während die einzelnen Themen-Pavillons naturgemäß heterogen ausfielen, sollte eine gemeinsame Architektursprache für verbindende Identität sorgen. Die Idee der Arteplages ward geboren. Das aus art und plage gebildete Kunstwort beschreibt aufs Schönste die künstlerische Durchbildung der Seeufer. Doch statt nur Promenaden zu verschönern, sollte in die Seen hinein gebaut werden – was ansonsten streng untersagt ist.

Vier Mal sollte die Fläche für die gewünschten Pavillons durch Plattformen in den See hinein vergrößert, zugleich aber der Kontrast von Land und Wasser durch Zonen des Übergangs neu gefasst werden. Wettbewerbe wurden ausgelobt, deren erste, innerschweizerische Runde die Granden der helvetischen Architektur missachteten. So wurde 1998 eine zweite, internationale Konkurrenz ausgelobt. Die Folge: Drei der vier Arteplages gingen an ausländische Büros.

Denn die schlussendlich erzielten Ergebnisse sind spektakulär. Nachdem die Expo 1999 bereits vor dem Aus stand, bekam eine neue Leitung die Probleme in den Griff – und hielt, bei verringertem Gesamtumfang, am Ursprungskonzept der vier Arteplages fest. Die Expo-Seebauten sind Musterbeispiele einer heiter-intelligenten Kreativität, bei denen sich die festlich gesteigerte Freude an ihrem Anblick und leise Wehmut über ihr baldiges Verschwinden die Waage halten. In Biel haben die Wiener Provokateure von Coop Himmelb(l)au das dortige Thema „Macht und Freiheit“ in vier bis zu 40 Metrer hohe, stahlblech verkleidete Turmgerippe und eine musikalisch ausschwingende, insgesamt 430 Meter lange Fußgängerbrücke über die Bucht des Bieler Sees hinweg übersetzt. Am schnurgeraden Ufer von Neuchâtel hat die lokale Arbeitsgemeinschaft der Büros Multipack und GMS Architekten eine freistehende Plattform mit drei Ufo-artigen, von schlanken Stahlstützen getragenen Dachaufbauten bekrönt, unter denen diverse Pavillons Platz finden.

In Yverdon schwebt zum Thema „Ich und das Universum“ ein geheimnisvolles Gebilde über dem See, „die Wolke“ genannt, ein Stahlgerüst mit 33 200 Wasserdüsen, die unablässig triefenden Nebel erzeugen. Und in Murten schließlich, dem kleinsten und hübschesten, seit 500 Jahren allenfalls postkartenmäßig veränderten Ort hat der französische Weltstar Jean Nouvel seinen „Monolithen“ ins Wasser des kleinsten der drei beteiligten Seen fallen lassen, ein auf den ersten Blick hermetisches, beinahe feindseliges Objekt, das gleichwohl zum Objekt heftigster Begierde avancierte.

„Augenblick und Ewigkeit“ lautet das anspruchsvolle Murtener Generalthema. Nouvel hat es auf den Ort rückbezogen: Das im Selbstbewusstsein seiner ruhmreichen Vergangenheit strotzende Städtchen stellt für ihn die „Ewigkeit“ dar, der er den „Augenblick“ seiner temporären Architekturen entgegenstellt. Anstelle eines abgegrenzten Ausstellungsgeländes hat Nouvel, der mit seinem überzeugenden Konzept auch die Gesamtgestaltung der Pavillons übernahm, eine Reihe von „Interventionen“ vorgenommen: verstörende Eingriffe in die gewachsene Struktur, etwa Pavillons aus Schiffscontainern oder in einem an die gewaltige Stadtmauer angelehnten Baugerüst. Am See steht zudem eine Reihe rostiger Stahlhäuschen wie steinzeitliche Pfahlbauten im Wasser. Der Monolith aber enthält in seinem rost-stählernen Würfel von 34 Metern Kantenlänge das „Panorama der Schlacht von Murten 1476“, bei der, wie die Eidgenossen stolz betonen, die europäische Geschichte eine jähe Wendung nahm.

Die Schlacht gehört zu jenen „Erzählungen“, die eine nationale Identität konstituieren, und so wurde sie zur Blütezeit der Panoramen-Malerei Ende des 19. Jahrhunderts auf 1000 Quadratmetern ausgebreitet. Seit Jahrzehnten in irgendeinem Lager verdämmernd, machte Nouvel das Rundbild zum Ausgangspunkt seiner Konstruktion. Das Panorama hängt im Obergeschoss des Stahlbaus, den Besucher empfängt indessen eine Diaschau mit Bildern einer zukünftigen und durchaus nicht glanzvollen Schweiz.

Besuch in der Wolke

Der Klotz mit seiner Haut aus oxydierten Stahlplatten bildet den denkbar schärfsten Gegensatz zur Lieblichkeit des Ortes, der auf ansteigendem Grund über dem See thront. Gleichwohl schockiert der Monolith nicht, sondern fügt sich in das Postkartenbild ein. Nouvel baut eine wunderbar anregende Spannung zwischen der Kleinteiligkeit des Ortes und der Großform seines Eingriffs auf – und findet den Beifall aller Besucher.

Das gilt gleichermaßen für die „Wolke“ des jungen New Yorker Duos Diller & Scofidio. Die Stadt Yverdon will das 60 auf 100 Meter messende, organisch gerundete Stahlgerüst schon jetzt erhalten wissen; freilich ohne die Nebel speienden Wasserdüsen, die jedweder Umnutzung entgegenstehen. Ob dieser Wunsch die Idee des New Yorker Duos recht begriffen hat, ist allerdings die Frage. Denn deren Bauwerk wirkt durch seine paradoxe Eigenschaft als flüchtiges Gebilde, das sein stählernes Innenleben erst beim Betreten preisgibt, ansonsten aber als unfassbares, vom Wind bewegtes Bild vor Augen steht.

Was die Arteplages über die gewohnte Fest- und Ausstellungsarchitektur hinaushebt, ist die grundlegende Veränderung, die sie im Verhältnis von Stadt und Landschaft erzeugen. Zunächst einmal werden die festgelegten Postkartenbilder der vier Orte aufgehoben und durch gänzlich neue Ansichten ersetzt. Aber da haben sich nicht einfach neue Bauten in die gewohnten Uferlinien eingeschlichen, sondern die bisherige Trennung von Ufer und Wasserfläche ist aufgehoben worden. Plötzlich kann der Betrachter das Uferpanorama von der Seeseite aus wahrnehmen, ohne auf schwankenden Booten vorbeizugleiten. Der Betrachter ist zugleich „an Land“ wie „auf See“. Er gewinnt ein neues Verhältnis zum Wasser, das seine frühere Bedeutung als Handelsweg längst eingebüßt hat und heute nurmehr „Fläche“ darstellt.

Zwei der vier Orte, Biel und Yverdon, hatten denn auch vor der Expo keinen Bezug zum Wasser mehr; Gewerbegebiete und Zufallsbauten säumten ihre Ufer. Nach dem bereits errungenen Erfolg der Expo.02 ist eine Rückkehr zum alten Zustand unvorstellbar. Auch wenn die temporären Bauten verschwinden, werden sie in der Erinnerung nachwirken. Eine künftige Architektur für komplexe Gefüge von Stadt und Landschaft, von Häusern, Seen und rahmenden Gebirgszügen wird sich zum Vorbild nehmen, wie bei der Schweizer Expo mit spielerischen Mitteln, mit heiterem Geist und wacher Intelligenz neue Horizonte aufgespannt wurden, die das überkommene Erbe wie selbstverständlich umfangen.

Expo.02, bis 20. Oktober, täglich 10-20 Uhr. ( www.expo.02.ch .) Kunstbibliothek, Kulturforum, bis 29. September. Katalog 19,50 €

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