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Kultur: Der Wüstentänzer

Aus Israel: Emanuel Gat kommt zum Movimentos-Festival nach Wolfsburg

Von Sandra Luzina

Von Tel Aviv nach Kiryat Gat fährt man eine gute Stunde mit dem Auto. Im Frühling blüht die Negev-Wüste; nur 30 Kilometer sind es bis zum Gazastreifen – aber dies sei keine Gefahrenzone, winkt Emanuel Gat ab.Dafür hat das Provinzstädtchen eine der höchsten Arbeitslosenquoten in Israel. Viele russische Immigranten sind hier gestrandet. Wer freiwillig nach Kiryat Gat zieht, muss schon Pioniergeist besitzen.

Über einen steinigen Pfad führt Gat uns auf eine Wiese am Stadtrand, wo nur eine verlassene Scheune steht. „Sie benötigen jetzt etwas Fantasie“, erklärt er, „hier wird in fünf Jahren ein choreografisches Zentrum eröffnet.“ Israelis müssen öfter aus dem Nichts etwas erschaffen.

Ein paar hundert Meter weiter wird die Utopie schon greifbarer. Eine Lagerhalle im Schatten der Halbleiterfabrik, dem größten Arbeitgeber des Orts. Ende des Jahres wird die Compagnie von Emanuel Gat hier ihr vorläufiges Quartier aufschlagen. Die Sponsorengelder für den Umbau hat der Choreograf selbst akquiriert.

„Mir gefällt es, außerhalb des Zentrums zu stehen“, sagt Gat herausfordernd. Der 37-Jährige hat die Tanzwelt im Rekordtempo erobert. Mit nur wenigen Stücken legte er den Grundstein für seine internationale Karriere. Seine 2004 gegründete Compagnie Emanuel Gat Dance wurde in Paris, London, New York und Berlin gefeiert. Beim Berliner „Tanz im August“ sorgte er mit „Rite of Spring“ für Aufsehen. Im Februar kehrte er zurück mit „K626“, einer schmerzlich-schönen Interpretation von Mozarts „Requiem“. Danach war klar: Dem Mann gehört die Zukunft. Beim Festival Movimentos in der Autostadt Wolfsburg (noch bis 20. Mai) präsentiert er in der kommenden Woche als Uraufführung „3 for 2007“. Der Israeli ist der heiße Newcomer in diesem Programm der ansonsten bekannten Namen.

Ursprünglich wollte Gat Dirigent werden. Als Kind spielte er Klarinette, wenn er sich nicht gerade beim Surfen oder beim Fußball verausgabte. Nach dem Militärdienst, schrieb er sich an der Rubin Musik-Akademie ein, er blieb gerade mal drei Monate. Denn der 23-Jährige hatte an einem Tanz-Workshop von Liat Dror und Nir Ben Gal teilgenommen. Gat, der nie zuvor eine Tanzperformance gesehen hatte, fing sofort Feuer. Und weil sich der Musiker mit der athletischen Figur als Ausnahmetalent erwies, trat er schon nach drei Monaten mit Liat Dror und Nir Ben Gal auf. Nach einem Jahr begann er selber zu choreografieren.

„Ich hatte nie das Gefühl, etwas völlig Neues zu beginnen“, erklärt Gat. „Als Choreograf kann man sehr kreativ mit der Musik arbeiten.“ Strawinsky, Schubert, Mozart: Mit einer Mischung aus Respekt und Unbekümmertheit trotzt er den Meisterwerken gewagte Deutungen ab. Gats Choreografien betören durch ihre dunkle Sinnlichkeit und ihren strengen Ernst. Er versteht es, dramatische Spannungen aufzubauen, eine wirbelnde, drängende Energie zu kreieren – und immer ist die Lust an der Bewegung zu spüren.

In der Tanzszene wurde der Exot deshalb auch wie ein Erlöser begrüßt, weil er den intellektuellen Pirouetten des Konzepttanzes etwas entgegensetzt. Gat weiß, dass er polarisiert: „Aber ich bin nicht mit Tanz aufgewachsen, musste also auch nicht dagegen rebellieren.“

Wir fahren weiter zu einem Kibbuz bei Jerusalem. Es riecht nach Kuhdung, ab und zu späht einer der Kibbuzim in den Ballettsaal: Hier proben seine Tänzer das neue Gruppenstück. Wenn sie sich zum AcidJazz von Squarepusher bewegen, muten sie wie Aliens an.

Am nächsten Tag sind wir in Tel Aviv verabredet, im Suzanne Dellal Center. Der Einzug der Gat-Familie – mit seiner schönen Ehefrau Yifat hat Gat fünf Kinder – ist ein Schauspiel. Bei den Proben trägt der Choreograf die Neugeborene Sarah eng am Leib und markiert präzise, zwingende Bewegungen.

„Ich suche nach Tänzern mit vielen unterschiedlichen Eigenschaften“, betont Gat. „Tanz ist am spannendsten, wenn er die Gegensätze in sich vereint.“ Seine Stücke kreisen um Sexualität und Todesgewissheit. Sie zeigen ein starkes Kollektiv, das dem Einzelnen dennoch Raum für den eigenen Ausdruck gibt. Gat flüchtet sich nicht in dekonstruktivistische Späßchen. Er geht aufs Ganze, schreckt vor den großen Themen nicht zurück: „Wenn wir nach einer längeren Tournee nach Israel zurückkommen“, erläutert Gat, „wird uns jedes Mal klar, wie intensiv das Leben hier ist.“

In Wolfsburg wird der charismatische Tänzer Gat auch in einem Solo zu bewundern sein. „My Favourite Things“ ist eine Huldigung an den Jazzmeister John Coltrane – und zugleich ein sehr persönliches Stück. Jazzmusik spielt auch eine Rolle in seinem Privatleben: Seine Frau hat Gat im Kino getroffen, als er sich einen Jazzfilm ansah. Es war Sommer und alle anderen waren am Strand. Emanuel und Yifat waren fast die einzigen Zuschauer und hingerissen. Die Gats geben kaum etwas Privates preis, aber diese Geschichte erzählen sie gern. Emanuel Gat: ein Mann der musikalischen Leidenschaften. So jemanden braucht die Tanzszene.

2. und 3. Mai, 20 Uhr im Kraftwerk, Infos unter www.movimentos.de

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