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Kultur: Der Zerfall der Wörter - Die Schriftstellerin wird heute mit dem Heinrich-Mann-Preis geehrt

Die Schriftstellerin Dubravka Ugresic hat einen kostbaren Besitz. Es ist ein solider Koffer.

Die Schriftstellerin Dubravka Ugresic hat einen kostbaren Besitz. Es ist ein solider Koffer. Mit ihm zieht sie durch die Welt, seit die jugoslawischen Kriege ihre Heimat zerstört haben. Nach Stationen in den Niederlanden, USA und Berlin lebt sie wieder in Amsterdam - ein "wandelndes Museumsstück", wie es in ihrem letzten Roman sarkastisch heißt. 1988 war das Museumsstück noch eine Avantgardistin. In jenem Jahr erschien Ugrssi¡c Roman "Der goldene Finger". Alles sei Zitat, auch das eigene Leben, sagt ein Schriftsteller darin. Das glaubte auch die Autorin, deren Collage keine Niederungen zwischen Kunst und Wirklichkeit scheut. Für den Witz, die Ironie und Leichtigkeit dieser (Eulen-)Spiegeleien erhielt Ugresic als erste Frau den jugoslawischen Literaturpreis NIN.

Die ästhetische Provokation bedurfte der Wirklichkeit. Das zeigte sich, als drei Jahre später der Krieg die Spiegel zertrümmerte, mit deren Hilfe die Autorin Literatur und Realität lustvoll ineinander verschränkte. Die Scherben gaben die Bilder frei.

Plötzlich, schreibt Ugresic über "Die Kultur der Lüge" in den Krieg führenden Nachfolgestaaten Jugoslawiens, fand alles gleichzeitig statt, jedoch säuberlich nach Freund und Feind sortiert: Richtig und Falsch, Links und Rechts, Wahr und Unwahr. Die eigenen Kriegshandlungen wurden als Wiederholung früherer Ereignisse oder als lange vorhergesagt gerechtfertigt. Es waren sämtlich Zitate.

Soviel Postmoderne war nie im ehemaligen Jugoslawien, wo der Frontverlauf von 1991 dem von 1941 glich und sogar die Waffen der Ustaschen und Tschetniks wieder in Betrieb genommen wurden. Nur die Wirklichkeit, das Sterben auf den Schlachtfeldern, ließ die Propaganda verschwinden.

Mit einer Mischung aus Lakonie und Wut analysiert Ugresic die Zurichtung der Wahrheit im Namen der jeweiligen Nation: die Säuberungen der Sprache, der Denkmäler, Bibliotheken, Theater, Schulen, sogar der Lieder. Eine Kroatin nehme die Schlager einer Sängerin, deren serbische Herkunft der Krieg offenbarte, neu auf, wobei sie ihre erfolgreiche Vorgängerin perfekt in Gesang, Kleidung und Frisur imitiere. So erschafft sich die Gegenwart ihre Vergangenheit und ihre Zukunft.

Als der Krieg 1991 begann, befand sich Dubravka Ugresic zufällig gerade in Amsterdem. Später reiste sie mit einem Stipendium in die USA weiter und protestierte öffentlich gegen Nationalismus, Menschenrechtsverletzungen, Repressionen, Zensur und Diskriminierungen der serbischen Minderheit in Kroatien. 1992 kehrte sie nach Zagreb zurück, wo man ihr vorwarf, Kroatien in der deutschen Wochenzeitung "Zeit" als faschistisches Land geschildert zu haben. Sie wurde als "Vaterlandsverräterin" und "Hexe" tituliert, ihr Name stand auf schwarzen Listen, Zeitungen beschimpften sie und veröffentlichten ihre Telefonnummer, Universitätskollegen mieden sie, auf der Straße schlug man ihr fast ein Auge aus. "Mediale Lynchjustiz" nennt sie diese Erlebnisse heute bitter, die sie 1993 ins Exil trieben.

Seitdem ist die sensibel, melancholisch und zugleich unbeugsam wirkende Spezialistin für russische Avantgarde, die 1949 in Kutima bei Zagreb geboren wurde, in Kroatien eine persona non grata. Ihre Drehbücher, Kinderbücher, Erzählungsbände und Romane wurden aus den Bibliotheken entfernt; "Die Kultur der Lüge" fand erst gar keinen Verleger.

Dubravka Ugresic buchstabiert sich nun durch das Exil. Es biete Distanz, sagt sie und sorge somit für die "Normalität einer intellektuellen Existenz. Denn die Wirklichkeit in Kroatien ist ein Staubsauger." Daran hat Tudjmans Tod nichts geändert. Die Opposition hält Ugresic für genauso unfähig. Ihre Heimat heißt Jugoslawien, und das ist untergegangen. Die "Postjugoslawin" (Ugrssi¡c) hat sich auf radikal illusionslose Weise ihrer Lage gestellt. Vorbei sind die flotten Späße aus dem Geist der Literaturtheorie, die dem Leser ihrer Romancollage "Des Alleinseins müde" mit Schnittbogenzeichen signalisierten, wo er "kritische Abnäher", "Zwischentextschlaufen" oder "Mitautorenknöpfe" anbringen könne. "Der Krieg hat mein Schreiben beschleunigt und noch stärker fragmentiert", sagt Ugresic. Und er hat sie auf ihre eigenen Erinnerungen verwiesen.

Der traditionelle Versuch, Subjektivität zu bewahren, wird bei Ugrssi¡c von dem Wissen durchkreuzt, dass es nur eine fragmentarische Identität geben kann. Den prekären Zusammenhang zwischen Diskursen, Erinnerungen und Erfahrungen stiften avantgardistische Mittel des Erzählens.

"Wie im Leben, so in der Prosa" leuchtet als Motto über den Collage-Essays, die auf der USA-Reise entstanden. Beim Anblick eines nackten Truthahns in der Gefriertruhe, der Amerikaner schamrot werden lässt, sinniert Ugrssi¡c über den eigenen Körper und ihre Bodyshaping-Versuche, die sinnlos erscheinen, weil in ihrem Land der Körper zur Zielscheibe und zum Dünger geworden ist. "Organizer", "Manual" und "Life Vest" sind Titel weiterer Kolumnen, mit denen die Emigrantin die zerfallenden Worte und Welten neu zusammenzusetzen versucht. Gemeinsam ergeben sie ein amerikanisches Wörterbuch, "My american dictionary". Ein symptomatischer Abtippfehler ließ daraus "My american fictionary" werden.

Vielleicht zwang Ugresic die Fiktionalisierung ihrer Wirklichkeit zur schmerzhaften Beschäftigung mit der verlorenen Heimat, aus der der Essayband "Die Kultur der Lüge" hervorging. Ein angefangener Roman blieb darüber liegen. Erst 1995, während eines zweiten Aufenthalts in den USA, nahm die Autorin ihn wieder aus der Schublade.

"Das Museum der bedingungslosen Kapitulation" ist ein Versuch, aus der Rolle des "wandelnden Museumsstücks" auszubrechen, zu dem der Untergang Jugoslawiens die erzählende Exilantin verurteilt hat. Das Kaleidoskop unterschiedlichster Erzählformen vom Notat über Anekdote und Zitat bis hin zur Kurzerzählung durchzieht wie ein roter Faden die Frage nach Gattungen und Medien, mit denen individuelle und nationale Identität erzeugt wird: Gedächtnis, Tagebuch, Biographie, Fotoalbum, Archiv, Denkmal, Museum.

Und dann, inmitten des komisch-traurigen, manchmal luzide aufblitzenden Collagelabyrinths, vergisst die Erzählerin ihren Identitätsverlust und findet sich in der Gegenwart wieder. Ein "Engel", ein junger, schöner Liebesbetrüger, spielt dabei eine nicht unwesentliche Rolle. "Alles verschmolz irgendwie" heißt es nun beglückt, und auch: Das sei das "richtige Ende der Geschichte". Freilich wird es schon in der Mitte des Romans gefunden...

Ein vorläufig richtiges Ende hat die Geschichte von Dubravka Ugresic heute gefunden, am 30. März. Bereits 1996 war sie für "Die Kultur der Lüge" mit dem renommierten "Europäischen Essay-Preis Charles-Veillon" ausgezeichnet worden. Für ihr essayistisches Werk erhält sie nun den Heinrich-Mann-Preis, heute Abend in der Berliner Akademie der Künste.Dubravka Ugresic: "Das Museum der bedingungslosen Kapitulation" (1998), "Die Kultur der Lüge" (1995), "My american fictionary" (1994) und "Der goldene Finger" (1993) sind im Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, erschienen. Der Roman "Des Alleinseins müde", erschienen bei Volk und Welt, Berlin 1984, ist vergriffen.

Jörg Plath

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