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Dessau: Ein bitteres Feld

Bauhaus, Wörlitz, Weill: Dessau ächzt unter der Last seines Erbes. Besuch in einer schrumpfenden Stadt

Im Jahr 1927 erfanden Kurt Weill und Bertolt Brecht die Stadt Mahagonny. Ein Goldgräber-Kaff irgendwo in Alabama, erbaut, um die menschlichen Grundbedürfnisse zu befriedigen: Suff, Geschlechtsverkehr, Glücksspiel. In Dessau, wo das „Mahagonny-Songspiel“ jetzt zur Eröffnung des 18. Kurt-Weill-Fests gespielt wurde, ist die Goldgräberstimmung lange vorbei. Vor knapp hundert Jahren war man Avantgarde, da herrschten Fortschrittsoptimismus und Technikeuphorie, da warb man sogar das Bauhaus aus Weimar ab, mit dem verlockenden Angebot, sich hier eine Hochschule nach eigenen Plänen errichten zu können.

Umso härter traf die Rezession von 1929 die kleine Stadt 120 Kilometer südwestlich von Berlin – und nicht allein das Angebot Adolf Hitlers, als Ersatz für das abgebrannte Stadttheater ein neues 1100-Plätze-Haus zu spendieren, trieb die Kommune 1932 den Nazis in die Arme. Am Ende des Krieges lagen 85 Prozent der Häuser in Trümmern. Die DDR favorisierte erst einen Wiederaufbau im „nationalen“ Stil, was im lokalen Fall Klassizismus als Hommage an den aufgeklärten Landesfürsten Leopold bedeutete. Später sollten es dann eher markante Hochhausblöcke sein, zum Ruhme des Sozialismus.

Trist war Dessaus Anblick zur Wendezeit, die Deindustrialisierung in den Neunzigern ließ die Bevölkerung von 100 000 auf 75 000 Einwohner schrumpfen, ein Zusammenschluss mit der Nachbargemeinde Roßlau 2007 schönte die Statistik. Längst ist der Stadtkörper überdimensioniert für seine Bewohner, schlottert an allen Ecken und Enden wie ein zu großer Anzug. Unaufhaltsam steigende Sozialausgaben für die überalterte Bevölkerung, wegbrechende Steuereinnahmen und eine Überarbeitung des Finanzausgleichs innerhalb des Bundeslandes Sachsen-Anhalt zu Ungunsten von Dessau machen aus der Stadt ein Modellbeispiel für die aktuelle Misere der Kommunen, wie sie vergangene Woche im Kulturausschuss des Bundestages von Experten gebrandmarkt wurde. Die finanzielle Situation am unteren Ende der staatlichen Geldverteilungspyramide ist derart dramatisch, dass sich Oberbürgermeister Klemens Koschig genötigt sah, ein „Blut und Tränen“-Papier zu veröffentlichen, dessen Umsetzung die gesamte örtliche Kulturlandschaft vernichten würde.

Stolze 12,5 Prozent seines Etats gibt Dessau derzeit für die Kultur aus, mehr als doppelt so viel wie die bundesrepublikanische Durchschnittskommune. Da es sich aber bei der Subventionierung von Bühnen, Museen, Bibliotheken ebenso um freiwillige Aufgaben handelt wie bei der Unterstützung für Sportvereine oder Schwimmbäder, kann der Sparhammer hier gnadenlos zuschlagen. Noch handelt es sich bei den Grausamkeiten, die unter anderem die Halbierung des Zuschusses für das Anhaltische Theater vorsehen, nur um „Prüfaufträge“ – doch wenn das Stadtparlament Koschigs 13,5-Millionen-Euro-Sparpaket Mitte März durchwinken sollte, wird aus der Bauhaus- bald eine Geisterstadt. Das kann selbst der pflichtbewussteste Lokalpolitiker nicht wollen. Darum erschien Koschigs Aktion zunächst auch wie ein medienwirksamer Hilfeschrei. Als allerdings die Belegschaft des Anhaltischen Theaters am Eröffnungstag des Kurt-Weill-Fests zu einem „Protestakt vor dem Festakt“ aufrief, bekam der Oberbürgermeister Angst vor der eigenen Courage – schließlich hatte sich Ministerpräsident Wolfgang Böhmer angesagt. Und vor dem wollte Koschig ungern als Krawall-Anzettler dastehen.

Dabei muss sich die Kommune keineswegs vorwerfen lassen, sie ginge mit ihren Problemen leichtfertig um. Im Rahmen der „Internationalen Bauausstellung Stadtumbau Sachsen-Anhalt“ sind radikale Maßnahmen geplant. Um die unkontrollierte „Perforation“ der City durch wuchernden Wohnungsleerstand zu stoppen, wurden drei urbane Kerne definiert, deren Infrastruktur verdichtet werden soll. Zwischen diesen Vierteln entstehen durch Renaturierung von Industriebrachen sowie durch den Abriss von unattraktiven Wohnquartieren Grünflächen, die frei wachsen können oder mit Hilfe von bürgerschaftlichem Engagement kultiviert werden. So will man das berühmte, vor Dessaus Toren gelegene Wörlitzer Gartenreich zumindest ideell bis in die Stadt hinein verlängern und in den urbanen Inseln die Lebensqualität steigern.

Steigt man auf den Alten Räucherturm einer abgerissenen Wurstfabrik, der wie ein hohler Zahn aus dem freigeräumten Gelände östlich des Bahnhofs ragt, kann man gut den „roten Faden“ erkennen, einen neu angelegten Radweg, der sich entlang der IBA-Flächen durch die Stadt windet. Wie sich Dessau seine Zukunft erträumt, lässt sich westlich des Bahnhofs bewundern. Das Areal, auf dem sich der Hochschulcampus bis zum Bauhaus-Komplex erstreckt, wurde städtebaulich aufgewertet, mit verkehrsberuhigten Zonen, eleganten Laternen und vorbildlicher Beschilderung für Kulturtouristen.

Nach dem Protest-Präludium ging der Premieren-Abend des Kurt-Weill-Fests reibungslos über die Bühne. So spröde das Ensemble Modern das „MahagonnySongspiel“ exekutierte, so klangsinnlich entfaltete es die Uraufführung von Helmut Oehrings „Die Wunde Heine“. „New art is true art“ lautet das Festival-Motto – nach einer Zeile aus Weills Musical „One touch of Venus“. Dessaus musikalischer Sohn hat den Höhenflug der Weimarer Republik miterlebt, wurde von den Nazis ins Exil getrieben, musste sich in den USA eine neue Existenz aufbauen. Wie seine Geburtsstadt steht er prototypisch für den Zickzack-Kurs des 20. Jahrhunderts.

Bitter, wenn ausgerechnet Dessau jetzt die Chance vertun würde, den Diskurs mit der eigenen, faszinierend widersprüchlichen Geschichte weiterzuführen.

Das Festival läuft noch bis zum 7. März. Infos unter: www.kurt-weill-fest.de

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