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Kultur: Deutsch-türkisches Anwerbeabkommen: Viel Arbeit

Der Schriftsteller Max Frisch brachte es auf den Punkt: "Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen." Genannt wurden und werden sie Gastarbeiter.

Von Lutz Haverkamp

Der Schriftsteller Max Frisch brachte es auf den Punkt: "Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen." Genannt wurden und werden sie Gastarbeiter. Sie kamen in das Wirtschaftswunderland Deutschland. Zu Hunderttausenden. Italiener, Spanier, Griechen machten den Auftakt. Später folgten Portugiesen, Jugoslawen und Marokkaner. Heute vor 40 Jahren unterzeichneten die Türkei und Deutschland ein Anwerbeabkommen. Die Menschen vom Bosporus und anderswo aber blieben hier, holten ihre Familien nach und fanden das, was kein Anwerbeabkommen vorsah: eine neue Heimat. Zwei Millionen Türken leben derzeit in Deutschland, 470 000 haben ein deutschen Pass, 340 000 wurden hier geboren. Aus den Handlangern der Wirtschaft sind Bürger geworden. Freunde, Mitarbeiter, Deutsche.

Wirtschaftlich ist die Anwerbepolitik Deutschlands eine glatte Erfolgsgeschichte - zumindest gewesen. Händeringend suchten die Unternehmen in der späten 50er und 60er Jahren nach Arbeitskräften. Arbeitslosigkeit war kein Thema in Deutschland. "Wohlstand für alle" hieß der vom Vater des Wirtschaftswunders, Ludwig Erhardt, ausgegebene Slogan. Dennoch: Heute wird die Bedeutung der Ausländer für den deutschen Standort häufig unterschätzt. Die Statistiken liefern Erfreuliches: Die meist jungen Ausländer entlasten die deutschen Sozialkassen um viele Milliarden Mark. Sie zahlen deutlich mehr Beiträge in Renten, Kranken- und Arbeitslosenversicherung als sie bisher in Anspruch genommen haben. 60 000 von ihnen haben inzwischen den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt und ihrerseits neue Arbeitsplätze geschaffen - auch für Deutsche. 97 Prozent ihres Netto-Einkommens geben türkische Familien zur Freude des Einzelhandels in Deutschland wieder aus. Die kulturelle Bereicherung hingegen kommt in keiner Statistik vor.

Aber die rosigen Zeiten der 50er und 60er Jahre sind vorbei, die Lage ist komplizierter. Die Wirtschaft bewegt sich am Rande einer Rezession, sagen die führenden Wirtschaftsinstitute. Die Politik macht in Optimismus. Richtig ist: Ein Wachstum, das Arbeitsplätze schafft und sichert, ist nicht in Sicht. 3,7 Millionen Menschen sind ohne Job, Ausländer davon besonders stark betroffen. Rund 40 Prozent aller Türken im erwerbsfähigen Alter waren Anfang des Jahres in Berlin arbeitslos gemeldet. Bundesweit sind 12,1 Prozent der Ausländer arbeitslos gemeldet - die Gesamtarbeitslosenquote beträgt nur neun Prozent. Die Probleme liegen auf der Hand: kaum Kenntnisse der deutschen Sprache und eine geringe berufliche Qualifikation, 20 Prozent der türkischen Schüler verlassen die Schule ohne Abschluss, die wenigsten beenden ein Studium. Das ist für Ausländer wie für Deutsche die Zugangsbarriere zum Arbeitsmarkt. Nur: Für Nicht-Deutsche lassen sich diese Probleme noch schwerer lösen als für Deutsche.

Und dennoch will die deutsche Wirtschaft auf ausländische Arbeitskräfte nicht verzichten. Aber "die Besten" müssten es schon sein, sagt der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, Klaus F. Zimmermann. Green Card heißt das heute. Auf Initiative von Bundeskanzler Gerhard Schröder beschloss der Bundestag 20 000 hochqualifizierte Computer- und Software-Spezialisten mit einer solchen grünen Karte ins Land zu lassen. Trotz 3,7 Millionen Arbeitslosen. Denn die Branche der Informationstechnologie (IT) jammert. Zwar gebe es ausreichend Arbeitssuchende, aber deren Qualifikation reiche bei weitem nicht aus. Jetzt trifft auch die Bezeichnung Gastarbeiter ins Schwarze. Die Auflagen für die ausländischen IT-Spezialisten sind hoch, ihre Aufenthaltsdauer begrenzt. Und die Nachfrage entsprechend gering: Erst knapp die Hälfte des Kontingents ist 14 Monate nach Beginn der Aktion ausgeschöpft.

Wahlkampfthema Zuwanderung

Nach den Terroranschlägen in den USA steht das Thema Zuwanderung weiterhin auf der Tagesordnung. Die Diskussion findet allerdings unter einer anderen Überschrift statt. Eigentlich sollte das neue Zuwanderungsgesetz schon lange verabschiedet sein. Doch Bundesinnenminister Otto Schily und der grüne Koalitionspartner haben das Paket wieder aufgeschnürt. Denn Terrorabwehr und Innere Sicherheit haben weder Süssmuth-Kommission noch Parteistrategen bis zum 11. September mit der Zuwanderung in Zusammenhang gebracht. Jetzt reichen nicht mehr allein Sprachkenntnisse und hohe Berufsqualifikation. Jetzt wird der Computer-Spezialist aus Indien auch auf kriminelle und terroristische Verdachtsmomente hin durchleuchtet.

Das Thema, das schon abgehandelt schien, wird aktuell bleiben. Es wird Thema im Bundestagswahlkampf werden. Es wird sachliche Vorschläge geben. Und es wird Leute geben, die mit dem Thema Ausländer ein parteipolitisches Süppchen kochen werden. Allen, die sich dazu äußern möchten, wer unter welchen Voraussetzungen nach Deutschland einreisen und hier arbeiten und leben darf, sei der Schriftsteller Max Frisch empfohlen: Es kommen Menschen.

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