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Kultur: Deutsche Filme: Krieg der Köpfe

Frankreich wäre schön. In Frankreich, diesem Paradies für Filmemacher, laufen mittwochs und freitags keine Spielfilme im Fernsehen, damit die Leute ins Kino gehen.

Frankreich wäre schön. In Frankreich, diesem Paradies für Filmemacher, laufen mittwochs und freitags keine Spielfilme im Fernsehen, damit die Leute ins Kino gehen. Denn mittwochs starten die neuen Filme und freitags beginnt das Wochenende. Und was tun die Leute? Sie gehen ins Kino, gierig, neugierig, in Scharen.

Deutschland ist weniger schön. Hier läuft im Kino ein Werbespot für Pro 7, in dem der Kneipier um punkt 20 Uhr 15 alleine in seiner Pizzeria zurückbleibt, weil der Spielfilm im Fernsehen beginnt. Und was tun die Leute? Sie rennen nach Hause, gierig, neugierig, in Scharen.

Aber nein, sagen die Fernsehgewaltigen hierzulande, das wollt ihr doch nicht im Ernst: Zustände wie in Frankreich? Ein Leben im goldenen Käfig, mit rigidem gesetzlichem Regelwerk, mit TV-Quoten für französische und europäische Spielfilme, einer beachtlichen Pflichtabgabe der Sender für die Filmförderung (5,5 Prozent des Jahresumsatzes) und der zusätzlichen Verpflichtung zur Koproduktion von Kinofilmen: Das ist doch Protektionismus, der das freie Spiel des Marktes in Banden legt.

Aber ja doch, sagen die Filmschaffenden, und sie sagen es immer lauter: Warum eigentlich nicht? Denn auch wir werden gegängelt, nämlich vom Fernsehen. Ihr verweigert die Pflichtabgabe und zahlt freiwillig längst nicht soviel. Gut, Ihr stockt auch die Fördertöpfe der Länder auf, aber Ihr mischt Euch dafür kräftig ins kreative Geschäft ein und bedient Euch aus diesen Töpfen obendrein selbst. Und wenn Ihr koproduziert, dann nehmt Ihr uns unsere Lizenzen weg, damit wir bis zum Sankt Nimmerleinstag von Euch abhängig bleiben und garantiert nie auf die eigenen Beine kommen, sprich: Kapital erwirtschaften können.

Wenn der deutsche Film sich zur gestrigen Verleihung des Filmpreises in Berlin wie alle Jahre wieder sein Glamour-Kleid anzieht, dann kann das feierliche Ereignis das Dilemma der Branche nur mühsam überstrahlen: Sie dümpelt dahin - trotz der Regie-Talente von Tom Tykwer, Oskar Röhler und Christian Petzold bis zu Esther Gronenborn, trotz der Besinnung auf die eigenen, spannenden Geschichten aus deutschen Landen, sei es die RAF oder die Liebe in Zeiten der Plattenbausiedlung, trotz beachtlicher Erfolge im Genrekino ("Das Experiment"). Schuld ist das vielbeschworene Spiel der freien Kräfte: In Frankreich werden jährlich 140 Filme produziert, bei einem Marktanteil von 30 Prozent, in Deutschland entstehen weniger als 70 pro Jahr, der Marktanteil liegt bei 12 Prozent. Und alles hat nichts genützt: Die Börsengänge der Big Players kamen vor allem dem Einkauf teurer amerikanischer Ware zugute. Michael Naumanns "Bündnis für den Film" bat die Kontrahenten, also Sender und Produzenten, zwar an den runden Tisch, man bat, bettelte, drohte, aber vergeblich. Auch die Absichtserklärungen seines Nachfolgers im Kulturstaatsministerium Julian Nida-Rümelin stießen bisher auf taube Ohren in den TV-Anstalten. Die überfällige Verkürzung der so genannten Rechterückfallzeiten bleibt bis auf weiteres Zukunftsmusik. Und das neue Urheberrecht droht die Position der Produzenten zusätzlich zu schwächen, da es nur ihre Pflichten als Verwerter, nicht aber ihre Rechte als Kreative berücksichtigt.

Kein Wunder also, dass die Filmschaffenden die Geduld verlieren. "Film 20", jene zur Berlinale gegründete Interessensgemeinschaft aller großen deutschen Produzenten, lud im Vorfeld der Filmpreis-Gala zur Konferenz nach Berlin und setzte die Erzfeinde auf ein Podium: Hier Günter Struve, Programmdirektor der ARD, und Ludwig Bauer von Pro 7 / Sat 1, dort Ulrich Felsberg ("Road Movies") und Karl-Otto Saur vom Verband der Deutschen Fernsehproduzenten. Und die Fetzen flogen.

Der Schlagabtausch als aussichtsloses Ritual: Überall - in Frankreich, Großbritannien und den USA - ist es besser, wo wir nicht sind, sagen die Produzenten. Wir sitzen doch alle in einem Boot, wiegeln die TV-Chefs ab und drohen ihrerseits mit Liebes-, sprich: Geldentzug. Ihr lügt doch, ruft Günter Rohrbach, der elder statesmen unter Deutschlands Produzenten aus dem Saal; wenn ihr kein Einsehen habt, werden wir euch zwingen. Beschimpfungen, Schuldzuweisungen, Zahlenverwirrspiele - eine Fehde geht über die Bühne, die vor allem eines verdeutlicht: Ein gemeinsames Bündnis für die Belange des Films wird es nicht geben. Die Politik wird es richten müssen, mit einer scharfen Neuformulierung des Filmfördergesetzes, mit unmissverständlichen Solidaritätsaktionen zugunsten der Produzenten.

Schade nur, dass so wenige Politiker den Live-Krieg der führenden Köpfe verfolgten. "Film 20" wird noch viel Lobby-Arbeit leisten müssen, wenn den warmen Worten aus dem Kulturstaatsministerium endlich auch Taten folgen sollen.

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