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Wolfgang Jacobsen.

© Verbrecher Verlag

Deutsche Kinemathek: Streiten fürs Kino

Die deutsche Kinemathek verabschiedet den Filmpublizisten Wolfgang Jacobsen in den Ruhestand.

Von Andreas Busche

Ohne eine Kultur des Sehens ist das Kino eine brotlose Kunst. Wolfgang Jacobsen hat dies früh verstanden und sich mit allen Kräften gegen einen drohenden Kulturverfall gestemmt. In Deutschland blickt das Genre des Filmbuchs auf keine große Tradition zurück. Früher gab es die legendäre Hanser-Reihe im blauen Einband und die Heyne Filmbibliothek, heute versorgen Verlage wie Bertz + Fischer oder Edition Text + Kritik diese Nische. Aber nur wenige haben sich um die deutschsprachige Filmliteratur ähnlich verdient gemacht wie Jacobsen, der seit den frühen Achtzigern an der Deutschen Kinemathek in verschiedenen Funktionen tätig ist: zunächst als Ausstellungskurator (unter anderem der ständigen Ausstellung des Museums für Film und Fernsehen), bis 2002 als Leiter der Retrospektive der Berlinale, zuletzt als einziger Mitarbeiter der Abteilung „Publikationen“.

Wenn Wolfgang Jacobsen am 31. Dezember in den Ruhestand geht, geht an der Deutschen Kinemathek auch eine Ära zu Ende. Jacobsen ist einer der letzten Mohikaner, die noch unter dem ehemaligen Leiter Hans Helmut Prinzler arbeiteten. Das Haus ist heute ein anderes als vor dreißig Jahren, das bekam Jacobsen immer wieder zu spüren. Sein Rückzug von der Retrospektive fand unter unangenehmen Nebengeräuschen statt. Vor allem aber musste er erleben, wie seine publizistische Arbeit im Schatten des Museumsbetriebs an Bedeutung verlor.

Die Theo-Lingen-Biografie reflektiert auch die NS-Zeit

Jacobsen sieht seine Aufgabe nicht in der Rolle des Filmhistorikers erschöpft, sein Blick auf die Geschichte des Kinos ist ein ganzheitlicher. Er vergräbt sich liebend gern in Archiven, doch es widerstrebt ihm, das Kino zu musealisieren. Eine Biografie über Theo Lingen ist bei ihm mehr als ein Starporträt, sie reflektiert auch das schwierige Verhältnis von Mitläufertum und künstlerischer Unabhängigkeit in der NS-Zeit. Erwähnt werden muss in diesem Zusammenhang auch sein Beitrag zur 2005 eingestellten Zeitschrift „Film Exil“, die sich mit dem Werk jüdischer Filmschaffender zwischen 1933 und 1945 auseinandersetzte. Bereits Ende der Achtziger hatte er mit einem Buch über den exilierten Produzenten Erich Pommer Grundlagenarbeit in der Forschung zur jüdischen Filmgeschichte in Deutschland geleistet.

Jacobsen ist ein Nerd fürs Detail, jedoch mit einem ausgesprochenen Stilbewusstsein für das geschriebene Wort und geschliffene Formulierungen. Faktenhuberei hat bei ihm nichts Angeberisches, er weiß im Gespräch mit seinem Wissen zu glänzen – ob es sich um das Kino oder klassische Musik dreht -, will sein Gegenüber aber nicht in den Schatten stellen. Im Gegenteil, die Filmbildung lag ihm immer am Herzen. Als einer der ersten machte er sich für das Fach „Filmwissenschaft“ an den Universitäten stark, er stritt für seine Position auf Podien.

Prinzipientreue schafft nicht nur Freunde

Mit seiner Prinzipientreue hat Jacobsen sich über die Jahre nicht nur Freunde gemacht. Doch seine Verdienste würden ihm auch seine Kritiker nie absprechen. Zusammen mit seinem langjährigen Kollegen Rolf Aurich wird er auch im Ruhestand weiter die Filmliteraturreihe des Verbrecher Verlags redaktionell betreuen, die sich an den Rändern des deutschen Kinos bewegt (unter anderem mit einem Buch über den vergessenen Bumsfilm-Regisseur Sigi Rothemund). Und bei Edition Text + Kritik erscheint im Frühjahr in der Reihe „Film und Schrift“, ebenfalls von Jacobsen und Aurich herausgegeben, bereits der 22. Band: über den Kulturjournalisten Hans Feld. Wolfgang Jacobsen ist zu sehr Missionar, um sich jetzt schon auf seinen Meriten auszuruhen. Um Ruhm geht es ihm auch gar nicht. Ihm würde es schon reichen, wenn das Wissen, das er aus den Archiven geborgen hat (oder dort noch zu bergen ist), der Nachwelt erhalten bleibt.

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