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Palais de Lomé. Wo früher der deutsche Gouverneur in der togolesischen Hauptstadt residierte, hat jetzt ein Zentrum für Kultur und Kunst eröffnet.

© Yanick Folly/AFP

Deutsche Kolonialarchitektur: Ein Humboldt-Forum für Afrika

Voodoo, Kunst und Politik: Wie die deutsche Kolonialarchitektur in Togo zum nationalen afrikanischen Kulturerbe umgedeutet wird.

Gibt es sie noch, die deutsche Kolonie Togo? Fast könnte man das glauben angesichts von Orten wie der Herz-Jesu-Kathedrale in Lomé, die mit ihrem gotischen Spitzturm aussieht, als sei sie gerade mal aus Baden-Württemberg hierher verschoben worden. Oder des deutschen Friedhofs, dessen Marmorgräber geradezu überwuchert werden vom Grand Marché, dem Markt, der sich vom Zentrum her ausbreitet.

„Deutschland hat in Togo immer noch einen exzellenten Ruf“, sagt Patrice Kodzo Abotsi. „Die Leute denken gern an die deutsche Kolonialzeit zurück. Nur die französische ist ihnen verhasst.“ Abotsi ist Dozent an der Universität von Lomé. Er promoviert über das deutsche Kulturerbe in Togo. Eine brutale Zeit, die aber irgendwie verklärt wird. Für aufmüpfige Untertanen setzte es regelmäßig Prügelrituale, 25 Schläge, der letzte Hieb wurde von dem Ruf begleitet: „und einen für den Kaiser“.

Der ehemalige Gouverneurspalast ist nun ein Kulturort

„Jetzt ist sogar ein Comic über die deutsche Kolonialzeit erschienen“, sagt Edem Attiogbé und lächelt. Er ist Leiter des örtlichen Goethe-Instituts – der einzige einheimische Goethe-Chef in ganz Afrika. „Und es gibt ein Theaterstück, in dem die Prügelstrafe auf die Bühne gebracht wird.“ Das würde er in seinem Haus gerne zeigen.

Das sichtbarste Wahrzeichen deutscher Präsenz ist der gerade umgebaute Gouverneurspalast, die frühere Zentrale des Deutschen Reiches. Das Gebäude an der Strandpromenade, der einstigen Wilhelmstraße, ist im Dezember nach 100 Jahren wiedereröffnet worden – „Palais de Lomé“, in Anwesenheit des Staatspräsidenten und der gesamten Prominenz.

Der Kulturminister hofft auf Aufschwung in Kultur und Tourismus: „Natürlich, der Gouverneurspalast ist Ausdruck deutscher Architektur. Aber er steht auch für die Fantasie und Schaffenskraft der Menschen in Togo, die das Gebäude verändert und verbessert haben.“ So klingt neues afrikanisches Selbstbewusstsein, das sein Kulturerbe vereinnahmt.

Halb deutsche Burg, halb orientalische Festung

Das Palais de Lomé ist ein dreigeschossiges, erhabenes Gebäude mit zwei Türmen, halb deutsche Burg, halb orientalische Festung. Das Tropenschloss mit seinen Freitreppen und seinem Blick auf den Golf von Guinea sollte zu Kolonialzeiten beeindrucken und einschüchtern. Es stand für den deutschen Machtanspruch in der Region. Zugleich hat der Palast aber auch etwas Leichtes, Märchenhaftes, er scheint über dem Meer und dem breiten Sandstrand zu schweben.

1,6 Millionen Euro hat die Rekonstruktion durch zwei französische Architekten gekostet – eine lächerliche Summe, wenn man sie mit dem Humboldt-Forum in Berlin vergleicht. Beide liegen im ehemaligen Machtzentrum der Städte, beide beruhen auf architektonischen Rekonstruktionen, beide setzen sich mit dem Kolonialismus auseinander.

Allerdings blickt das Palais de Lomé nicht auf Stein, sondern aufs Meer, wo in einer unendlichen Prozession Schiffe vor der westafrikanischen Küste entlangziehen. Das suggeriert Perspektiven, Visionen, Offenheit für Neues.

Das Palais gilt als Symbol für die Zukunft Afrikas

Die Anverwandlung eines deutschen Kolonialpalastes in ein afrikanisches Museum und Kulturzentrum, das ist ein Ereignis. Die junge Direktorin des Palais, Sonia Lawson, kann ihre Emotionen kaum zurückhalten: „Wir sind stolz, ein Symbol ehemaliger kolonialer Unterdrückung zu nehmen und daraus ein Symbol für die Zukunft Afrikas zu machen.“

Das Palais ist vom Botanischen Garten umgeben, in dem Vögel zu hören sind und Flughunde mit ihren Flügeln durch die Blätter rascheln. Es ist auch ein Ort der Kunst, der schönste und stolzeste Kulturort des Landes. Der ist unbedingt nötig. Kulturell wurde Togo, wie viele afrikanische Länder, im Kolonialismus ausgeplündert.

Wer einen Blick ins Nationalmuseum von Togo wirft, einen verglasten Pavillon nahe dem Parlament, der blickt in die Abgründe des Kolonialismus. Das Museum ist so gut wie leer, alle wertvollen Stücke, von denen es in dieser Region viele gab, offenbar ausgeräumt. Neben ein paar billigen Schnitzereien ist fast nichts übrig, außer die Fotografien der merkwürdig verklärt dreinblickenden sechs deutschen Gouverneure, die das Land zwischen 1884 und 1914 regierten.

2000 Kunstobjekte aus Togo gelangten nach Berlin

Die Kunst ist weg. Kunst aus Togo, vor allem vom Stamm der Ewe, hat einen exzellenten Ruf. Wenn das Humboldt-Forum eröffnet, sollen „eine Handvoll Werke“ zu sehen sein, heißt es. Über 2000 Objekte sind allein nach Berlin gelangt.

Und doch wird in Togo kein Ruf nach Restitution laut. Anstatt Artefakte aus Deutschland oder Frankreich zurückzufordern, setzt man auf die Präsentation und das Kuratieren des Eigenen. Staatspräsident Faure Gnassingbé, der 2018 Berlin besuchte und dabei auch mit Hermann Parzinger zusammentraf, dem Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, regte eine Kooperation des Palais de Lomé mit dem Humboldt-Forum an. Von Rückgaben war nicht die Rede. Und Sonia Lawson betont, nicht durch Restitutionen könnten Europa und Afrika voneinander lernen, sondern durch Austausch und Zirkulation.

In Lomé zeigen sie eigene Kunst

Im Palais de Lomé denkt man ganz praktisch und setzt auf eigene Kunst. Da werden prachtvolle Gewänder, Schwerter und Zepter, traditionelle Stammeskunst in der Ausstellung „Das Togo der Könige“ ausgebreitet, doch gleich daneben avantgardistische Gegenwartsmalerei. Sechs Ausstellungen wurden zur Eröffnung gleichzeitig eröffnet. Der Designer Kossi Aguessy, der in Paris Karriere machte, bildet eine traditionelle Stammesaxt aus reinem Gold nach und erinnert an Damien Hirst.

Design spielt eine große Rolle. In Lomé soll das erste Design-Museum des Kontinents entstehen. Das alte, magische Afrika steht neben dem modernen. Und immer wieder geht es auch um Voodoo, die magische Religion, die man überall in Togo, Ghana und Benin findet.

Im Botanischen Garten, der von Deutschen angelegt wurde, lässt der Künstler Sadikou Oukpedjo Geister wiederauferstehen. Sie sollen Afrika retten. Weiße Marmorfiguren, die sich aus der Erde winden.

Hier herrscht Diktatur, sagt ein togolesischer Künstler

„Etwas stimmt nicht mit der afrikanischen Gesellschaft“, raunt der Künstler, der übrigens auch gerade in Berlin in der Galerie Kristin Hjellegerde zu sehen ist. „Uns fehlt die Weisheit der traditionellen Häuptlinge, die sich um die Zukunft des Landes sorgen. Man hat geglaubt, die Demokratie könne alles lösen. Aber hier herrscht Diktatur. Heute halten sich die Präsidenten in Afrika für Könige, und das Volk für Untertanen. Dabei bekommen sie ihre Macht doch vom Volk. Deshalb brauchen wir die Weisen, um eine Lösung zu finden.“

Angesichts der realen politischen Lage wäre der Rat der Weisen dringend nötig. Seit der Unabhängigkeit 1964 wird Togo von zwei Langzeitdiktatoren, Vater und Sohn Gnassingbé, beherrscht. Das Land zählt zu den ärmsten und korruptesten der Welt. Immer wieder gibt es Unruhen und Aufstände. 1993 wurde der Gouverneurspalast bei bürgerkriegsähnlichen Szenen von der Armee weitgehend zerstört, 2005 wurde das Goethe-Institut abgefackelt.

Togos Zukunft ist unsicher. Viele blicken nach Deutschland – ausgerechnet das Land, das hier zwischen 1884 und 1914 eine „Musterkolonie“ errichten wollte. Heute ist die Bundesrepublik bei Oppositionellen so populär, dass manchmal bei Demonstrationszügen sogar deutsche Fahnen mitgeführt werden. Die ehemalige Kolonialmacht gilt als Hoffnungsträger.

Werner Bloch

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