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Regisseur Ole Anders Tandberg verlegt die Handlung in eine Bar in Oslo.

© Marcus Lieberenz

Deutsche Oper Berlin: Was Leiden schafft

Donald Runnicles holt nach 40 Jahren Bergs „Wozzeck“ zurück an die Deutsche Oper Berlin, die Inszenierung besorgt Ole Anders Tandberg.

Einmal im Jahr lassen es die Norweger so richtig krachen. Wenn sie am 17. Mai ihren Nationalfeiertag begehen, dürfen sie hemmungslos Fähnchen schwenken, Trachten von anno dazumal tragen und Eis essen. Ein großes Frühlingsfest, wie das Fremdenverkehrsamt betont, besonders für die Kinder.

In einer Bar in Oslo, unweit des königlichen Schlosses, inmitten eines mit Teichen gespickten Parks, lässt Regisseur Ole Anders Tandberg „Wozzeck“ spielen. Dass er ein echter Norweger ist, hat er an der Deutschen Oper bereits im fachkundigen Umgang mit Bergen von Fisch bewiesen, die durch seine Inszenierung von Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ glitschen. Nun soll die skandinavische Seele in Alban Bergs Büchner-Oper entdeckt werden. Und die – das wissen wir aus eiskalten Krimischockern – macht nur Gefangene, um sie in aller Ruhe zerstückeln zu können.

Irgendwie skurril würdelos soll es rüberkommen

Wozzeck kommt einfach nicht zum Mitfeiern, weil er immer was dazuverdienen muss, für seine Freundin Marie und ihr gemeinsames uneheliches Kind. Natürlich wäre seine ursprüngliche Aufgabe, den schwadronierenden Hauptmann zu barbieren, hier nicht barbarisch genug. Und so hetzt er hier an einer Reihe Gardisten vorbei, die ihr Gemächt entblößen, tupft und messert untenrum herum, ohne dass dies einen Sinn ergeben würde.

Nur irgendwie skurril würdelos soll es rüberkommen, ebenso wie die Untersuchung durch den Doktor auf allen Vieren, die entfernt an die Prostata-Vorsorge erinnert. Hat er mal einen Moment für sich, starrt Wozzeck seinen Plastikbeutel an, in dem ein Kammmolch schwimmt. Das Präparat hat das Museum für Naturkunde der Deutschen Oper freundlicherweise ausgeliehen. Eine großwüchsige Spezies für Berlins größte Musiktheaterbühne. Weil aber Amphibien an sich nicht abendfüllend sind, wirft der Doktor im Erkenntnisrausch noch einen eigenen Finger in die Petrischale.

Doch es hilft nichts. Tandbergs „Wozzeck“-Zurichtung krankt daran, dass sie frei von Gedanken zum Stück bleibt. Bergs Oper ist unbestritten ein Meisterwerk, es wurde 1925 Unter den Linden uraufgeführt und hat dort eine lebendige neuere Berliner Aufführungsgeschichte erlebt, zuletzt in Inszenierungen von Patrice Chéreau und Andrea Breth.

Runnicles wollte "Wozzeck" unbedingt dirigieren

Wenn die Deutsche Oper „Wozzeck“ nach 40 Jahren Abwesenheit für sich zurückerobern will, muss sie auch liefern. Doch nicht einmal die musikalische Struktur wird dabei als Anhaltspunkt herangezogen. Immer wieder geht der Vorhang vor dem Einheitsbühnenbild herunter, um irgendwas auf der Szene zu verschieben, ohne dass dadurch die Stimmungslage verändert würde. Währenddessen wird das Gesicht von Wozzeck-Darsteller Johan Reuter projiziert, sodass man es über den Abend verteilt sicher eine Viertelstunde betrachtet. Zugegeben, Blickkontakte in der U-Bahn sind meist kürzer, lösen aber in der Regel eine Reaktion aus. Hier wird das Antlitz immer dann eingeblendet, wenn die musikalischen Veränderungen das Vorstellungsvermögen des Regisseurs übersteigen.

Generalmusikdirektor Donald Runnicles wollte „Wozzeck“ dringend an die Deutsche Oper holen und setzte sich gegen die Kollegen von der Komischen Oper durch, die das Stück ebenfalls neu befragen wollten. Jetzt muss er sich mit Daniel Barenboim messen, dessen „Wozzeck“-Dirigate aus dem Geist der Spätromantik zu seinen eindrücklichsten Auftritten an der Staatsoper zählen.

Johan Reuter als Wozzeck fehlt die unterstützende Dirigentenhand

Eine glasklar analytische Lesart wäre eine lohnende Alternative, liegt allerdings nicht im Klangbereich dessen, wofür Runnicles brennt. Nur was könnte es dann sein? Leidenschaft oder Mitgefühl sind es jedenfalls nicht, das bekommen auch die Sänger zu spüren. Allein Seth Carico als Doktor dringt zu jeder Zeit markant durch die Orchesterwogen. Johan Reuter, der den Wozzeck mit einer Fülle an Nuancen in der Stimme eigentlich wunderbar singen könnte, fehlt hörbar die unterstützende Dirigentenhand. Elena Zhidkova ist eine vom Leben gezauste Marie, die auch musikalisch nie ganz da zu sein scheint. Burkhard Ulrich liefert mit dem Hauptmann eine seiner bescheideneren Charakterstudien ab. Vielleicht, weil er wirklich Angst davor hat, von seinem ausgestopften Gaul zu purzeln. Und das ausgerechnet in einer Bar in Oslo, am Nationalfeiertag.

Wieder am am 10., 13. und 19. Oktober.

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