zum Hauptinhalt
Baby rufen ihn die Kameraden. John Chest als Billy Budd.

© dpa

Deutsche Oper: Gefährliche Schönheit

Nach dem großen Erfolg von Benjamin Brittens "Peter Grimes" zeigt die Deutsche Oper nun mit „Billy Budd“ ein weiteres Musikdrama des Komponisten. Es dirigiert wieder Generalmusikdirektor Donald Runnicles.

Opernhäuser sind die Supertanker der Kulturmeere. Auf ihren Routen will alles langfristig geplant sein: Schwere See wird weiträumig umschifft, plötzliche Kursänderungen sind kaum möglich, auf Sicht fahren führt unweigerlich zur Havarie. Schnell darauf zu reagieren, was das Publikum will, an Erfolge anzuknüpfen, Missgriffe abzufangen, ist kaum möglich. Insofern erweist sich die Deutsche Oper mit ihrer Premiere von „Billy Budd“ als außergewöhnlich wendig. Nach dem Erfolg von „Peter Grimes“ legt sie eine weitere Oper von Benjamin Britten nach, erneut unter dem ruhmreichen Kommando von Regisseur David Alden und Donald Runnicles am Dirigentenpult.

Wieder geht es hinaus auf hohe See, hinein in Männergesellschaften in Extremsituationen – und doch ist bei „Billy Buddy“ alles anders. Es scheint, als sei die Oper nach einem unvollendeten Kurzroman von Herman Melville um eine unaussprechliche Mitte gruppiert. Als deute sie höchstens an, was ihre Figuren wirklich umtreibt, nachdem die strahlende Gestalt Billy Budds an Bord der „Indomitable“ auftaucht. Zum Kriegsdienst gepresst und doch voller Lebensbejahung, naiv wie Siegfried – und alsbald ebenso hingeopfert. „Baby“ oder „Beauty“ rufen die Kameraden ihn, niemand will ihm schaden, allen geht das Herz auf. Auch dem Waffenmeister Claggart, mit tödlichen Folgen: „Oh Schönheit, Anmut, Gutherzigkeit – wär ich euch doch nie begegnet! Hätt’ ich doch immerzu weitergelebt in meiner Welt, in der Verderbtheit, zu der ich geboren bin!“ Billy, das Licht in einem Meer von Dunkelheit und Traurigkeit, muss sterben.

Das hat etwas gesucht Gleichnishaftes, da Britten zugleich die schwule Dimension vernebelt (Uraufführung 1951 in London!) als auch um die religiöse Öffnung von Melvilles Vorlage herumkreuzt. Dort steigt Billy im Moment seiner Hinrichtung „in das volle Rosenrot des Morgens“, um ihn ein sanfter Glorienschein, wie ihn das Lamm Gottes umgeben hatte. Eine Inszenierung, die „Billy Budd“ nicht auf eine Sandbank setzen will, muss sich etwas trauen, Farbe bekennen. Das fällt David Alden schwer, der seine Sicht 2012 erstmals an der English National Opera präsentierte. Nie ist bei ihm der Himmel auch nur zu ahnen. Die Bühne, ein zusammengepresster Raum der Frühindustrie, geduckt unter eine massive Kommandobrücke. Nichts regt sich mehr unter ihr, die „Indomitable“ erscheint so untot wie das Schiff des „Fliegenden Holländers“. Unerhört verhallt Melvilles raunende Mahnung: „In gewissen Stimmungen kann kein Mensch diese Welt abwägen, ohne etwas hineinzuwerfen, etwas wie eine Ursünde, um die Bilanz auszugleichen.“

Die Deutsche Oper setzt auf Bordmittel und wirft ihre Hausmacht aufs Deck, voran Neuzugang John Chest als Billy Budd. Auf einem Kreuzfahrtschiff ersang sich der Amerikaner einmal einen Preis mit dessen Abschiedsarie. Chests Ausstrahlung aber erreicht weder stimmlich noch darstellerisch jenen Furor, der die Reaktion seiner Umwelt ansatzweise erklären könnte. Burkhard Ulrich legt die Rolle des von Zweifeln geplagten Kapitäns Vere zwar extra vergrübelt, aber letztlich auch stimmlich allzu passiv an. Die von Markus Brück angeführte Riege des Herren-Ensembles macht ihre Sache tipptopp. Gast-Bassbariton Gidon Saks als Claggart füllt bebend seine Jago imitierende Schurkenrolle, der Chor bläht die Segel.

Dennoch dümpelt der Opernabend vor sich hin, tropft die bleierne Ödnis an Bord ins Parkett. Dazu trägt neben der wenig inspirierten Personenregie auch Donald Runnicles seinen Teil bei: Verhaftet im dunklen Strömen verliert er den Kontakt zu den Sternen. An der Gutherzigkeit aller Beteiligten ist kein Zweifel, doch bei Brittens „Billy Budd“ bedeutet ein Mehr an Schönheit mehr Wahrheit. Und ein Wagnis. Ulrich Amling

Wieder am 28., 31. 5. sowie 3., 6. 6.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false