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Märchen in Alltagsklamotten. Sara Jakubiak, Brian Jagde (liegend) und Josef Wagner.

© Monika Rittershaus/Deutsche Oper

Deutsche Oper: Rächer der Stecher

Liebe, Mord und Auferstehung: Die Deutsche Oper gräbt Erich Wolfgang Korngolds „Wunder der Heliane“ aus. Der Plot ist so irre wie keine andere Oper.

Dieses Stück ist der wüsteste Schmarrn, der je auf einer Opernbühne seine Uraufführung erlebte. Was der 31-jährige Wiener Komponist Erich Wolfgang Korngold und sein Librettist Hans Müller-Einigen da 1927 aus dem Drama „Die Heilige“ von Hans Kaltneker gemacht haben, strotzt nur so von verklemmter Erotik und katholischem Mystizismus. „Das Wunder der Heliane“ ist eine toxische Melange – und gewissermaßen die zentraleuropäische Antwort auf die Hollywood-Epen der Zeit. Deren Ästhetik Korngold ab 1934 dann selber mit prägen sollte, als jüdischer Flüchtling. Für John Williams, den erfolgreichsten Filmmusikkomponisten unserer Tage, ist sein zweifach oscarprämierter Kollege ein leuchtendes Vorbild. Weil Korngold mit seinen 19 amerikanischen Soundtracks einen Klangbaukasten für die ganz großen Gefühle hinterlassen hat, aus dem sich bis heute schöpfen lässt.

Der Plot des „Wunders der Heliane“ geht so: In einem nordischen Land, dessen König dem Volk das Lieben wie das Lachen verboten hat, sorgt ein junger Fremder für Aufruhr, weil er öffentlich Lebensfreude predigt. Dafür wird er zum Tode verurteilt. In der Nacht vor der Hinrichtung besucht ihn die Königin Heliane in seiner Zelle. Ihr Mitleid schlägt schnell in Faszination um, sie erfüllt dem Fremden einen letzten Wunsch: ihren Köper nackt zu sehen. Als er daraufhin Sex verlangt, verweigert sie sich aber und zieht sich in die Schlosskapelle zurück, um für ihn und sich zu beten.

Nun erscheint der Herrscher und bietet dem Fremden die Freilassung an – im Tausch gegen das Geheimnis, wie sich Menschen zur Liebe verführen lassen. Er will nämlich endlich die Zuneigung seiner Gattin gewinnen, die sich seinem Werben bislang entzogen hat. In diesem Moment kehrt die unbekleidete Heliane zurück. Rasend vor Eifersucht fordert der König nun auch den Tod der vermeintlichen Ehebrecherin.

Der König rammt ihr den Dolch ins Herz

Vor Gericht erklärt Heliane, sich nicht aus Lust, sondern lediglich aus Mitleid vor dem Fremden entblößt zu haben. Der soll als Zeuge dem König Gewissheit darüber verschaffen, ob der sexuelle Akt vollzogen wurde. Doch er ersticht sich. Der entsetzte Herrscher erklärt daraufhin, wenn seine Frau tatsächlich rein sei, könne sie sich auch einer Gottesprobe stellen und den Fremden wieder zum Leben erwecken. Was Heliane tatsächlich gelingt. Daraufhin rammt der König ihr einen Dolch ins Herz – der Fremde aber lässt sie auferstehen und führt sie dem ewigen Leben im Neuen Jerusalem entgegen.

Nach der Uraufführung in Hamburg spielten 12 Bühnen das „Wunder der Heliane“ nach, darunter 1928 auch die Städtische Oper Berlin. Doch Korngold, damals neben Richard Strauss der meistgespielte Komponist im deutschsprachigen Raum, konnte mit dem atmosphärisch zwischen Wagners Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ und Puccinis Melodram von der eisgegürteten Prinzessin Turandot oszillierenden Dreiakter nicht an den Erfolg von „Die tote Stadt“ anknüpfen. „Das Wunder der Heliane“ verschwand schnell von den Spielplänen, erst 1992 entstand eine exzellente Einspielung für eine CD- Reihe, in der Werke neu zur Diskussion gestellt wurden, die einst von den Nationalsozialisten mit dem Begriff „Entartete Musik“ gebrandmarkt worden waren.

Neben konzertanten Aufführungen in London, Freiburg und Wien gab es nur wenige szenische Rehabilitierungsversuche, darunter in Brünn, Kaiserslautern und Gent. Insofern ist die Neuinszenierung, die am Sonntag an der Deutschen Oper ihre umjubelte Premiere feierte, eine echte Pioniertat. Denn für die ganz großen Bühnen ist „Das Wunder der Heliane“ konzipiert, mit seiner riesigen Orchesterbesetzung inklusive Celesta, Harmonium, Orgel, Glockenspiel, Gong, Xylophon und sechs Fanfarentrompeten sowie drei Gesangspartien, die man nur „mörderisch“ nennen kann.

Alle Rollen sind mit idealen Stimmen besetzt

Die Deutsche Oper kann für alle Rollen ideale Stimmen aufbieten. Als Heliane flutet Sara Jakubiak den Saal mühelos mit ihrem biegsam-dramatischen Sopran, Josef Wagner verfügt für den zwischen Allmachtsanspruch und Sehnsucht nach dem privaten Glück zerrissenen König über einen wahrhaft majestätischen Heldenbariton. Und Brian Jagde ist als Fremder ein Tenor von strahlender Stärke, selbst über den eigenen Tod hinaus.

Den blinden Scharfrichter macht Burkhard Ulrich zu einem Geistesbruder des Großinquisitors aus Verdis „Don Carlos“, Okka von der Damerau beeindruckt als dämonische Botin, Gideon Poppe weiß mitreißend von den Taten der mildtätigen Königin zu berichten. Und der von Jeremy Bines präparierte Chor entfaltet eine schier überwältigende Klangpracht in den Massenszenen. Mit Marc Albrecht waltet ein überzeugter Korngoldianer im Graben. Immer wieder sieht man seine Arme in die Höhe fliegen, mit Leidenschaft und Umsicht hält er drei Stunden lang Bühne und Orchester zusammen. Im ersten Akt, wenn in langen Dialogen der krude Konflikt konstruiert werden muss, wälzt sich der Klang oft schwerfällig voran, düster und drohend.

Nach der Pause aber, wenn es wunderlich wird, beginnt das schillernde Farbenspiel, dem der Komponist seinen Ruhm verdankt, das akustische Gleißen und Glitzern, das Blühen, Branden und Barmen dieser luxuriös-dekadenten Musik. Bis zur Apotheose entfaltet Korngolds Instrumentationskunst unaufhörlich ihr schweres, sinnliches Parfum, ihre narkotisierende Wirkung.

Hochwertiger kann man sich für diese Rarität nicht starkmachen

Aufwändiger, liebevoller und hochwertiger als jetzt an der Deutschen Oper kann man sich für diese Rarität nicht starkmachen. Wer keine Angst von religiösem Kitsch im Cinemascopeformat hat, sollte sich die Produktion also nicht entgehen lassen. Auch wenn Christoph Loys Regie merkwürdig quer steht zum grenzenlosen Klangrausch der Stimmen und Instrumente. Loy will sich nicht – was wahrlich leicht fallen würde – über die abstruse Handlung lustig machen. Nein, er will sie in ihrer religiösen Rätselhaftigkeit unbedingt ernst nehmen. Und ist darum zusammen mit seiner Kostümdesignerin Barbara Drosihn und seinem Bühnenbildner Johannes Leiacker auf die Idee verfallen, die Optik möglichst neutral zu gestalten. Es gibt also nichts weiter zu sehen als einen holzgetäfelten Saal mit Parkettboden, wie ihn ein konservativer Architekt um 1927 durchaus entworfen haben könnte. Darin bewegen sich Menschen, die zwar schrecklich gespreizt daherreden, aber heutige Businesskleidung tragen. Der König unterscheidet sich äußerlich nicht von seinen Untertanen, die Königin erscheint zuerst als Grace-Kelly-Lookalike in weißer Robe, trägt später dann aber auch Managerinnen-Kostüm. Und selbst den Fremden, der doch laut Libretto so anders ist und vom Volk darum als Lichtbringer verehrt wird, steckt Loy in einen mausgrauen Anzug mit Weste.

Er wolle sich auf die psychologischen Profile der Figuren konzentrieren, hat der Regisseur im Vorfeld erklärt. Allein: In diesem Stück ist zwar vieles psycho, aber garantiert nichts logisch. So handwerklich solide Christoph Loys Personenführung auch ist, so souverän er größere Menschenansammlungen im Raum bewegen kann, in dieser radikal normalen Optik schnurren Korngolds übernatürliche, vom Hauch des Allmächtigen umwehten Märchenwesen zu ziemlich gewöhnlichen Alltagstypen zusammen. Denen man manches zutraut, aber gewiss keine Wunder.

Weitere Aufführungen am 22. und 30. März sowie am 1. und 6. April.

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