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Deutsche oper

© Schaper

Deutsche Oper: Rosen in Peking

Hyperkapitalismus und die stets sichtbare Staatsmacht: Das große China-Gastspiel der Deutschen Oper Berlin - eine strategische Kooperation.

Im Foyer des Opernhauses steht eine dicke deutsche Limousine. Nur vier chromblitzende Ringe, aber die Olympischen Spiele sind ja vorüber. Ein Tenor mit Kochmütze schmettert zu Playbackmusik „La donna è mobile“ und andere klassische Pizzabäckerarien. Die Begrüßung hat sich der Sponsor des „11. Beijing Music Festivals“ ausgedacht, für die wohlhabende chinesische Klientel und die Gäste von der Deutschen Oper Berlin, die hier im Poly-Theater ihren großen Auftritt hat. Kulturschocks sind immer lehrreich, sie verweisen in globalisierten Zeiten in die eigene Zukunft, in der das Ökonomische und das Künstlerische noch ungeahnte Partnerschaften eingehen werden.

Und das gehört nun mal zum Besten made in Germany: Luxuskarossen und große Oper. Man sollte sich an solchen Abenden von kulturhistorischer Bedeutung auch nicht an den Uniformierten stören, die im Zuschauerraum Wache schieben. In Chinas Hauptstadt gehört so etwas ins Bild: Hyperkapitalismus und die stets sichtbare Staatsmacht.

Oper in Peking, das ist eine Rarität und freilich etwas völlig anderes als die streng traditionelle Peking-Oper, die gelegentlich den Weg in den Westen findet. Europäisches Musiktheaterrepertoire, ob nun italienisch oder deutsch – in China eine weithin unbekannte Größe. Der fernöstliche Klassikboom zielt auf Konzertantes und hat vor allem Solisten wie Lang Lang hervorgebracht, aber keine Klangkörper, keine Ensembles.

Beim Platz des Himmlischen Friedens liegt das nagelneue Chinesische Nationaltheater, ein Zeppelin, ein Riesenei. Erbaut hat dieses Wunderwerk zu den Olympischen Spielen der französische Architekt Paul Andreu. Die technische Ausstattung im 2500 Zuschauer fassenden großen Saal ist ebenso umwerfend wie die magisch strahlende Außenhaut des animalisch-futuristischen Gebäudes. Nur gibt es derzeit in China für einen regulären Opernbetrieb die Fachleute noch nicht, die so eine Las-Vegas-Maschinerie bedienen können.

Und während China mit seinen Wachstumsraten, seinem höllischen Entwicklungstempo und Rekorden auf fast allen Gebieten die Welt erschreckt und fasziniert, präsentiert sich das kleine Berlin in Peking dieser Tage als opernmusikalische Macht. Was für eine atemberaubende Verlangsamung von Geschichte! Die Deutsche Oper, Hauptact des Beijing Music Festival 2008, gastiert mit dem „Rosenkavalier“ von Richard Strauss und Richard Wagners „Tannhäuser“, mit zwei Jahrzehnte alten Inszenierungen ihres im Dezember 2000 verstorbenen Generalintendanten Götz Friedrich.

Nach unseren Begriffen sind das Museumsstücke, in China jedoch absolute Novitäten. Beide Opern sind dort noch nie zuvor aufgeführt worden. Und nur drei Jahre liegt die allererste Aufführung des Wagner’schen „Rings“ auf chinesischen Brettern zurück. Damals brachte das Staatstheater Nürnberg die Tetralogie der germanischen Götter nach Peking.

Hochkultur gewinnt an Tauschwert. Ob dies dann sogleich auch einen Kulturaustausch in Gang setzt, und wem er nützt, ist eine andere Frage. Die Deutsche Oper eröffnete das Festival mit einem Konzert in der Verbotenen Stadt; ein leichteres Programm mit Verdi, Puccini, Mozart, Bizet, Lehár und Richard Strauss. Allein drei Dirigenten – Matthias Foremny, Ulf Schirmer, Philippe Auguin – wurden für das Gastspiel eingeflogen.

Ein logistisches Gesamtkunstwerk: 420 Mitarbeiter der Deutschen Oper reisten nach Peking, Bühnenbilder und Kostüme waren in sechzehn Seecontainern fünf Wochen lang unterwegs. Die Chinesen bezahlen für das Gastspiel eine Million Euro. Vor diesen titanischen Bewegungen von Mensch und Material verblasst dann auch einmal das ewige Berliner Gezerre um Opernstiftung und Intendanzen. In der Bismarckstraße spielt unterdessen das Mariinsky-Theater aus St. Petersburg seine russischen Klassiker. Dafür wiederum wurden 320 Ensemblemitglieder und Bühnenarbeiter und siebzehn Lkw in Marsch gesetzt. Eine Tour der Rolling Stones ist nichts dagegen.

Oper als repräsentatives Elefantenrennen. Und Spiegel weltwirtschaftlicher Machtverhältnisse. Gasprom sponserte die Petersburger Openverschickung, hinter dem Pekinger Festival steht der chinesische Poly-Konzern – und die Tochter von Deng Xiaoping, dem Erfinder des chinesischen Wirtschaftswunders mit der kommunistischen Maske.

Madame Deng, wie sie genannt wird, gehört zu den Persönlichkeiten in Peking, die einflussreich zu nennen sicher eine Untertreibung ist. Festivalchef Long Yu hat langjährige Verbindungen nach Deutschland. Der Dirigent studierte in Berlin, und er kennt die Berliner Opernlandschaft gut. Über Long Yu ist die Deutsche Oper dabei, eine strategische Partnerschaft mit den Chinesen zu schließen. Das üppige Gastspiel, verbunden mit Meisterklassen für Musikstudenten in Peking, war da nur ein Auftakt.

Dahinter steckt wieder so eine globale Geschichte, wie man sie im Kulturbetrieb immer häufiger findet. In Guangzhou (Kanton), einem Powerhouse der chinesischen Industrie, baut die Architektin Zaha Hadid, Superstar der internationalen Szene, ein spektakuläres Opernhaus. Ursprünglich für Cardiff entworfen, dort aber nie realisiert, gingen Hadids Pläne schließlich nach Südchina.

Nun sucht Long Yu nach Stücken für den neuen Abenteuerspielplatz. Vereinbart ist mit der Deutschen Oper eine Bühnenfassung des Kinomelodrams „Farewell My Concubine“ von Chen Kaige aus dem Jahr 1993, der damit die Goldene Palme in Cannes gewann. Peking-Oper und europäische Oper sollen hier zusammengeführt werden. Die Uraufführung ist für 2010 in Berlin geplant, anschließend soll das chinesisch-deutsche Werk bei der Expo in Schanghai als deutscher Beitrag zu sehen sein und schließlich in der neuen Oper von Guangzhou.

Die Stadt am Perlfluss – hier leben zehn Millionen Menschen – war in einer frühen Globalisierungswelle der Ausgangspunkt der maritimen Seidenstraße. An dieser Stelle sollen nun nicht nur grundverschiedene Musiktheatertraditionen zusammenfließen. Es deutet sich bei der Kooperation Kanton-Berlin noch etwas anderes an: Oper folgt den Wegen des internationalen Musicalbetriebs. Auf Dauer wird auch zu beachten sein, welche Seite sich stärker durch diese Öffnung verändert – die chinesische oder die deutsche.

Für Kirsten Harms, die Intendantin der Deutschen Oper, war der chinesische Kraftakt ein Erfolgserlebnis. Die beiden angejahrten Aufführungen, die in Peking gezeigt wurden, scheinen sich dabei auf seltsame Art und Weise mit dem weiteren beruflichen Schicksal der Opernchefin zu verbinden. Am 30. November hat ihre Neuinszenierung des „Tannhäuser“ in der Bismarckstraße Premiere, und da wird man – wieder einmal – genau hinschauen. Es drängt die Frage der Vertragsverlängerung über 2011 hinaus.

Aus der Tatsache, dass Berlins Kulturstaatssekretär André Schmitz das Ensemble nach Peking begleitet hat, lässt sich noch nichts schließen. Immerhin, und das führt aus Pekinger Gastspielfreuden in die Niederungen der Berliner Opernsumpfigkeit zurück, hat sich das Erscheinungsbild der Deutschen Oper zuletzt zum Besseren gewandelt. Das hat mit positiven Voten bei der jüngsten Umfrage der „Opernwelt“ und dem geglückten Experiment der Braunfels-Oper „Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna“ in der Fernregie von Christoph Schlingensief zu tun. Der leise Stimmungsumschwung liegt aber auch darin begründet, dass die Kulturverwaltung schon für die Lindenoper einen Intendanten sucht. Zwei Spitzenleute auf einmal zu präsentieren, das dürfte schwierig werden.

Beim bejubelten „Rosenkavalier“ in Peking stellte sich ein seltsamer Gedanke ein: Hat Kirsten Harms nicht Ähnlichkeit mit der Marschallin von Strauss und Hofmannsthal? Wird auch sie verzichten müssen, mit all ihrer Noblesse?

Rüdiger Schaper

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