zum Hauptinhalt
Die Teilnehmer des Symposiums erlaufen sich Berlin. Vorne Mitte: Moritz Rinke und Sarah Stricker.

© Dirk Bleicker / www.dirkble

Deutsche und israelische Schriftsteller in Berlin: Lasst uns tanzen

Deutschland und Israel - eine sehr spezielle Beziehung. Jetzt haben Schriftsteller und Journalisten im Jüdischen Museum Berlin über die neue Lässigkeit im Verhältnis der beiden Länder diskutiert.

Ein Israeli und ein Deutscher spielen Fußball und haben eine Idee: 2008 lernten sich der Schriftsteller und Lektor Amichai Shalev und der ARD-Journalist und Schriftsteller Norbert Kron bei einem Aufeinandertreffen ihrer Autorennationalmannschaften kennen. Aus ihren Gesprächen entstand die Anthologie „Wir vergessen nicht, wir gehen tanzen“. 19 israelische und deutsche Autoren der sogenannten „Dritten Generation“ – also keine Opfer- oder Täterkinder – erzählen darin Geschichten aus dem jeweils anderen Land. Literarische Auseinandersetzungen, die von autobiografischen Berichten über fiktionale Liebesgeschichten hin zu politischen Utopien reichen.

Jetzt, im 50. Jubiläumsjahr der Aufnahme diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland, wollen die Initiatoren eine Auseinandersetzung jenseits der ritualisierten Gedenk- und Erinnerungsrituale voranbringen. Ihr Buch erschien dieses Jahr gleichzeitig in einem israelischen und deutschen Verlag und wurde auf der Jerusalemer wie der Leipziger Buchmesse vorgestellt. Es wird in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung und dem Auswärtigen Amt über das Jahr verteilt mit Rahmenprogramm an weiteren Orten präsentiert.

Am Sonntag machten Herausgeber und Beiträger – darunter Yiftach Ashkenazi, Anat Einhar, Assaf Gavron, Katharina Hacker, Moritz Rinke, Jochen Schmidt, Sarah Stricker – im Jüdischen Museum Station mit einer Podiumsdiskussion. Montagmittag spielte eine Autorenauswahl Fußball mit Neuköllner Schülern, für Montagabend war eine Lesung mit Musik und Tanz im Radialsystem geplant.

"Hitlers Reichhauptstadt ist heute die einzige Stadt neben New York, in der man als Jude frei und sichtbar leben kann"

An welchem Ort könnte über die von Kron und Shalev im Buch diagnostizierte „neue israelisch-deutsche Lässigkeit“ der Zwanzig- bis Vierzigjährigen im Umgang miteinander passender diskutiert werden als in Berlin? Rund 20 000 vor allem junge Israelis leben gegenwärtig hier. Ausgerechnet „Hitlers Reichshauptstadt und Ausgangspunkt des Holocaust“ sei heute die einzige Stadt neben New York, so der israelische Schriftsteller und Übersetzer Assaf Gavron am Sonntag auf dem Podium, in der man als Jude so frei und sichtbar seine Religion ausleben könne. Überhaupt biete Berlin eine Freiheit und Toleranz, wie sie in anderen Großstädten – insbesondere östlich von Berlin – nicht zu finden sei – meint die deutsche Journalistin und Schriftstellerin Sarah Stricker. Und dass Berlin aufgrund seiner günstigen Lebenshaltungskosten vor allem junge Menschen aus aller Welt anziehe, machte jüngst sogar eine Supermarktkette in Israel zum Aufhänger für eine Reklame. Der Spot, in dem die Firma damit wirbt, ihre Produkte günstiger als in Berlin anzubieten, war ein Hit auf YouTube. Für Gelächter der knapp hundert Gäste an diesem Sonntag in Berlin sorgt er auch.

Aber gibt es Erkenntniswert darüber hinaus? Heute würde mehr Verbindendes als Trennendes zwischen jungen Deutschen und Israelis existieren, betonen alle Schriftsteller im Jüdischen Museum. Der Tenor: Die globale Pop- und Massenkultur stellt eine verbindende Erfahrungsbasis dar. Jüngere, die mit ihr aufgewachsen sind, teilen gemeinsame Werte, insbesondere Toleranz und Liberalität. Zugleich aber ist das Verhältnis zwischen Israelis und Deutschen insofern ein besonderes, als es mehr als das anderer Nationen von gegenseitigem Respekt bestimmt ist. Bei all diesem Respekt seien die Deutschen, so Assaf Gavron, natürlich auch zur Kritik an Israels Politik berechtigt – ohne sich dadurch des Antisemitismus verdächtig zu machen. Kurz scheint sich an diesem Punkt ein Fenster zu öffnen, durch das nach viel Popkulturellem und Alltäglichem auch politische Fragen aufs Podium gelangen könnten. Der Titel, unter dem die Diskussionsrunde annonciert ist – „Verbindende Massenkultur, trennender Nahostkonflikt?“ hat dergleichen erwarten lassen. Doch es bleibt bei Andeutungen. Und ein Versuch Moritz Rinkes, auf den aktuellen Nahost-Konflikt Bezug zu nehmen, versandet im Vagen.

Schriftsteller sind keine Politiker, doch sie können Kommunikatoren oder gar Katalysatoren in gesellschaftlichen Wandlungsprozessen sein. Diejenigen, die sich hier zusammengetan haben, gehören einer Generation an, die allmählich in die Positionen mit Gestaltungspotenzial in Gesellschaft und Politik hineinwächst. Sie können einlösen, was Kron und Shalev in der Einleitung zu ihrem Buch formuliert haben: „Kein anderes Medium ist so geeignet, unter die Oberfläche des neuen Verhältnisses zu schauen wie die Literatur. Wo Feuilletons und Fernsehsender den israelischen Run auf Berlin als Modephänomen beleuchten, können literarische Texte tiefer dringen, können Moden hinterfragen und subtilere Erfahrungsmomente zur Sprache bringen.“ Durch ihre Texte können die Literaten dazu beitragen, dass die potenziell produktive Selbstverständlichkeit im deutsch-israelischen Verhältnis nicht in Selbstverständlichkeit im Sinne von Gleichgültigkeit umschlägt. Veranstaltungen wie dieses Symposium sind da ein wichtiges Signal. Also lasst uns tanzen und Fußball spielen, aber lasst uns danach auch wieder über Politik reden.

Sabrina Wagner

Zur Startseite