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Stahlblaue Augen. Paul Klee porträtierte 1939 seinen Freund Emil Nolde (Kleisterfarbe und Bleistift auf Papier auf Karton).

© Privatbesitz Schweiz, Depositum im Zentrum Paul Klee, Bern

Deutscher Expressionismus und Nationalsozialismus: Es wird Zeit für einen genaueren Blick

Emil Nolde, die „Brücke“ und der Nationalsozialismus: Ein Berliner Kolloquium wirft einen neuen Blick auf den deutschen Expressionismus.

Die Emil-Nolde-Ausstellung im Hamburger Bahnhof und ihre neuen Erkenntnisse über die Nähe des Künstlers zum Nationalsozialismus haben ein Beben ausgelöst. In Berlin hängte die Bundeskanzlerin das bislang geliebte Gemälde „Brecher“ von 1936 im Bundeskanzleramt endgültig ab, es wird nach Ausstellungsende nicht wieder in ihr Büro zurückkehren. In New York sagte Ronald Lauder, der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, die geplante Nolde-Schau für sein Museum „Neue Galerie“ öffentlichkeitswirksam ab.

Eine der populärsten Figuren der Moderne, bislang Inbegriff der Widerständigkeit gegen das NS-Regime, ist zumindest aktuell zur Persona non grata geworden. Der bislang florierende Verkauf seiner Bilder dürfte eine Delle erhalten, die Angebote in den Auktionshäusern lassen bereits nach. Aber wie geht es weiter? Welche Folgen beschert auch die Bestandsaufnahme der Brücke-Künstler im Dahlemer Brücke-Museum für die Jahre 1933 bis 1945, vor allem ihre Rezeption in der Nachkriegszeit?

„Unbewältigt?“, so war das dreitägige Kolloquium in Hamburger Bahnhof und Brücke-Museum überschrieben, das nicht nur herauszufinden versuchte, was hinter den trügerischen Narrationen der Nachkriegszeit stand, die bis heute ihre Wirkung im Kunstbetrieb entfalten, sondern auch neue Formen der Vermittlung forderte – bis hin zur kritischen Präsentation von NS-Kunst in den Museen, die bislang als ein Tabu galt.

Verfemte Kunst = widerständiger Künstler?

Organisiert von den Machern beider Ausstellungen – Dieter Scholz von der Neuen Nationalgalerie und Meike Hoffmann von der FU-Forschungsstelle „Entartete Kunst“ - und ihren Kuratoren Bernhard Fulda und Aya Soika wurde nicht zuletzt der Bogen zu einem Kolloquium gespannt, das zwanzig Jahre zuvor am gleichen Ort stattfand und erstmals das Verhältnis „Ästhetische Moderne und Nationalsozialismus“ analysierte. Beide Kolloquien finanzierte die Ferdinand-Möller-Stiftung.

Nur fand die damals erstmals vorgetragene Kritik an der gängigen Gleichung „Verfemte Kunst = widerständiger Künstler“ kaum Resonanz in der großen Öffentlichkeit. An die heilige Kuh Moderne ging zwar die Forschung ran, in den Institutionen aber hielt man sich zurück. Die Auseinandersetzung blieb intern. Erst die umstrittene Restitution des Berliner Kirchner-Bildes, noch mehr die Entdeckung der Sammlung des NS-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt in München lenkten die Aufmerksamkeit auf eines der letzten großen Kapitel deutscher Vergangenheitsbewältigung. Jahrzehntelang glaubte man sich beim Wahren, Guten, Schönen auf der sicheren Seite.

Das hat sich geändert. Heute werden Zeitfenster-Tickets für die leseintensive Nolde-Schau im Hamburger Bahnhof benötigt, so gefragt wie sie ist. Die Besucher der aktuellen Ausstellung im Brücke-Museum studieren zwar immer noch hingebungsvoll ihren Schmidt-Rottluff, Heckel und Pechstein, zeigen sich aber ebenso interessiert an den Entstehungsgeschichten ihrer Bilder. Auch daran, was ihre damalige und heutige Lesart über die jeweiligen Zeitumstände aussagt und warum die Ausstellungsmacher und Museumsdirektoren der bundesrepublikanischen Gründerjahre ihre Augen vor den Verstrickungen mit dem NS-System schlossen. „Provenancial turn“ nannte Christoph Zuschlag von der Universität Bonn, seit dem vergangenen Jahr erster ordentlicher Professor für Provenienzforschung, im Festvortrag diesen neuen Trend.

Nolde machte Hitler Vorschläge zur "Entjudung"

Gewiss, dass Emil Nolde seine eigene Legendenbildung vom verkannten Genie betrieb, Siegfried Lenz’ Roman „Die Deutschstunde“ seinem Selbstbild als verfolgter Künstler zupass kam, konnte man spätestens seit der Retrospektive im Frankfurter Städel vor fünf Jahren wissen. Wie weit seine Sympathien für die Nationalsozialisten reichten, dass er Hitler brieflich Vorschläge zur „Entjudung“ des Kulturbetriebs machte, brachte ein Forschungsprojekt erst in den letzten Jahren zutage. „Kognitive Dissonanz“ vermutete Bernhard Fulda, der das Archiv in Niebüll erstmals vollständig sichtete, als Begründung für das Denk- und Forschungsverbot in Seebüll, dessen langjähriger Stiftungsdirektor 2013 abgelöst wurde. Was nicht sein konnte, durfte es nicht geben. Die Quellen schlummerten.

Auch im Berliner Brücke-Museum huldigte man bis vor Kurzem noch vornehmlich dem autonomen Werk, dem „Unmittelbaren und Unverfälschten“, wie es im Manifest der Künstlergruppe heißt, zu der vorübergehend auch Nolde gehörte. Das Haus am Rande des Grunewalds befand sich im Bann des übermächtigen Gründungsdirektors Leopold Reidemeister, der die bewundernde Würdigung der Moderne als Akt der Wiedergutmachung verstand. Auch das zweite Narrativ vom vermeintlichen Widerstand der Brücke-Künstler im „Dritten Reich“, das die Ausstellungsmacher nach 1945 auf diese Weise gerne bis zu ihrer eigenen Person verlängerten, demontieren heute junge Kunsthistoriker. Christina Rothenhäusler vom Münchner Institut für Zeitgeschichte, machte in ihrem „Heldenmacher“ überschriebenen Referat deutlich, was sich hinter dieser Selbststilisierung als Opfer verbirgt: Die eigene Teilhabe am System sollte auf diese Weise ausgeblendet werden.

Die BRD rehabilitierte den Expressionismus

Nachdem der Kunsthandel in den letzten Jahren Rückschau auf seine „guten Geschäfte“ während des Nationalsozialismus verordnet bekam, wird nun den Herolden der Moderne auf den Finger geschaut. Allerdings habe kein Kartell, eher eine Bruderschaft eng verknüpfter Kunsthistoriker bis in die sechziger Jahre hinein gewirkt, die nach dem Aderlass durch die Emigration jüdischer Kollegen verblieben war, so der ehemalige Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, Klaus Schrenk, aus dem Publikum. Zugleich brach er eine Lanze für ihre Durchsetzung des Expressionismus an deutschen Museen, schließlich auch international.

Aber selbst dieses Verdienst unterzog Dorothea Schöne vom Kunsthaus Dahlem einer kritischen Revision. Die Auslandsausstellungen deutscher Kunst hatten vor allem die Funktion, sich im kulturdiplomatischen Wettlauf zu positionieren. Während die DDR Käthe Kollwitz auf Reisen schickte, versuchte die Bundesrepublik vor allem durch eine Rehabilitierung des Expressionismus zu punkten. Zwölf Jahre NS-Diktatur blieben 1957 in der Ausstellung „German Art in the 20th Century“ im Museum of Modern Art in New York freilich ausgeblendet. Der ausdrückliche Wunsch der Gastgeber nach zeitgenössischer deutscher Kunst wurde ignoriert. Statt „Experimente“ gab es Klassiker zu sehen.

Alte Dichotomien gelten nicht mehr

Erst jetzt kommt in den Ausstellungshäusern an, was zwischen 1933 und 1945 in der Kunst geschah. Die „Neue Galerie“ im Hamburger Bahnhof versteht sich hier als eine Experimentierbühne für die Neue Nationalgalerie nach ihrer Sanierung. „Die Schwarzen Jahre“ oder auch die Retrospektive des Bildhauers Rudolf Belling demonstrierten einen veränderten Zugriff auf die Kunst, in der die Zeitgeschichte eine größere Rolle spielt. Joachim Jäger, Leiter des Mies van der Rohe-Baus, gab allerdings in der Abschlussdiskussion zu verstehen, dass solche historischen Tiefenbohrungen, wie sie in der Nolde-Ausstellungen gerade vorgeführt werden, am Kulturforum nur punktuell zu sehen sein werden. Auch an anderen Fronten müssten sich die Museen heute erklären und Farbe bekennen: wie sie es mit der Gender-Frage halten, welchen kunsthistorischen Kanon in einer globalisierten Welt sie überhaupt noch verfolgen, worin das Nationale in einer Nationalgalerie besteht.

Zur wichtigsten, wenn auch nicht neuesten Erkenntnis des „Unbewältigt?“-Kolloquiums gehört, dass die alten Dichotomien keine Gültigkeit mehr besitzen: hier die guten, verfolgten Künstler, die 1937 in der Münchner Ausstellung „Entartete Kunst“ zu sehen waren, dort die bösen. Über ein halbes Jahrhundert nach dem Ende des „Dritten Reiches“ wird es Zeit für einen genaueren Blick, zu dem nicht zuletzt späte Entdeckungen in den Archiven auffordern.

Schon Paul Klee war großzügig mit Nolde

So sorgte ein Hakenkreuz auf einem Entwurf Max Pechsteins für eine Wandmalerei für eine Schrecksekunde. Pechstein also auch? Aya Soika gab Entwarnung und forderte Differenzierung. Der Entwurf reiche nicht aus, ihn als NS-Künstler einzuordnen. Im Vergleich zum Großverdiener Emil Nolde habe Pechstein nur ein geringes Einkommen gehabt und damals versucht, seinen Platz in der Künstlergemeinschaft zu finden. Auch Bernhard Fulda plädierte dafür, nicht den Stab über die Künstler zu brechen. Stattdessen mahnte er, verschiedene Lesarten anzubieten. Der heutige Ausstellungsbesucher solle sich selber ein Bild machen können. Es sei Zeit, sich von liebgewordenen Mythen und kunsthistorischen Schemata zu verabschieden, hatte zu Beginn Christoph Zuschlag mit seinem Vortrag gefordert.

Emil Nolde wird den Sturz aus dem Olymp überstehen. Schon Paul Klee war großzügig mit ihm. Er porträtierte den langjährigen Freund, von dessen nationalsozialistischer Gesinnung er sehr wohl wusste, 1939 bei dessen Besuch in seinem Schweizer Exil mit grünem Haar und stahlblauen Augen: als „Nordischen Künstler“. Das sagte alles.

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