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"Fack ju Göhte" mit Elyas M'Barek bekommt als Charts-Sieger 2013 schon mal garantiert den Publikumspreis. Außerdem ist die Schulkomödie vierfach nominiert.

© dpa

Deutscher Filmpreis 2014: Das fliegende Kassenzimmer

"Fack ju Göhte" und "Die andere Heimat" gelten als Favoriten bei der heutigen Verleihung des Deutschen Filmpreis 2014. Warum die Lolas das Radikale, Besondere feiern müssen.

Der deutsche Film, um mal wieder das legendäre Bonmot von Joe Hembus zu zitieren, kann gar nicht besser sein. 223 deutsche Produktionen und Koproduktionen gingen letztes Jahr an den Kinostart, vier Stück pro Woche! Zusammen brachten sie es auf 26 Prozent Marktanteil, also acht Prozent mehr als 2012!! Was allerdings im Wesentlichen einem einzigen Film zu verdanken ist, „Fack Ju Göhte“, der es an die Spitze der Charts schaffte – vor sämtlichen Hollywood-Hobbits, Tarantinos und Panem-Tributen.

Sieben Millionen Zuschauer lockte Bora Dagtekins fröhlichfreche Schulkomödie; die Schweigers und Schweighöfers kamen 2013 nur auf Platz 9 und 10. Eine Trophäe hat die anarchische Paukerklamotte über Kids aus „bildungsfernen Schichten“, wie Katja Riemann als herrlich ruppige Rektorin sie politisch perfide korrekt bezeichnet, damit schon sicher. Die besucherstärkste Produktion des Vorjahrs gewinnt bei der Filmpreis-Gala automatisch die Publikums-Lola.

Und die Bandbreite erst! Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat die Vielfalt bereits vorab gewürdigt, was auch sonst. Bei der Show am heutigen Freitagabend im Berliner Tempodrom (die ARD überträgt zeitversetzt ab 22.45 Uhr) gehen sechs denkbar unterschiedliche Spielfilme für die Lolas in Gold, Silber und Bronze an den Start. Das Spektrum reicht von Edgar Reitz’ sozialpoetischem Auswanderer-Epos „Die andere Heimat“ über den archaischen Alpen-Actionwestern „Das finstere Tal“ bis zum Lowbudgetdebüt „Love Steaks“ von Jakob Lass, der seine skurrile Romanze zwischen Hilfsköchin und Masseur in der prekären Arbeitswelt eines Wellnesshotels ansiedelt.

Neuester Trend bei den in 16 Preiskategorien nominierten Filmen und Einzelleistungen: Man spricht Dialekt, Slang, halt so, wie einem der Schnabel gewachsen ist. In der Hunsrück-Historie, in der Bergwelt von „Das finstere Tal“, im Klassenzimmer: „Boah, nich’ schon wieder KZ“. Die Nation schaut sich aufs Maul und betreibt Identitätssuche, in selbstkritischen, selbstironischen Heimatfilmen der etwas anderen Art. Bestimmt wird auch das bei der Gala heute Abend gelobt.

Und sooo viel Vergangenheitsbewältigung. Edgar Reitz blickt, hellsichtig gegenwärtig, zurück auf Deutschland als armes Auswanderungsland. Im Stasi-Drama „Zwei Leben“ mit Juliane Köhler steht einmal mehr die schuldhafte Verstrickung der einst geteilten Republik auf dem Programm . In der sarkastischen Episoden-Parabel „Finsterworld“ führt Frauke Finsterwalder mit Ko-Autor Christian Kracht die Eiseskälte der deutschen Wohlstandsbürger mit ihren wohlfeilen Selbstgeißelungsritualen vor. Und „Fack ju Göhte“ nimmt eben jene Bildungshuberei munter aufs Korn, die Erwin Wagenhofer in „Alphabet“ – nominiert in der Kategorie Dokumentarfilm – sehr ernsthaft verhandelt.

Also echt alles bestens? Muss unsereins da noch meckern, dass die 1400 wählenden Mitglieder der Deutschen Filmakademie künstlerisch Herausragendes schmählich übergangen haben? Dass mit „Zwei Leben“ reines Mittelmaß im Rennen ist (und schon für die Nominierung gibt’s 250 000 Euro), „Das finstere Tal“ spätestens beim Zeitlupen-Showdown am eigenen Genre-Stilwillen erstickt und „Finsterworld“ selbstgefälliges Kopfkino bleibt? Ja, unbedingt. Denn das, woran der deutsche Film krankt, seit Jahren, seit Jahrzehnten, womöglich seit der Vertreibung des jüdischen Humors durch die Nazis, es wird zunehmend zementiert: die Trennung von Kunst und Kommerz, von Arthouse und Kassenschlager.

350 Millionen Euro gibt's pro Jahr für die Filmförderung

Hier die „Göhte“-Fans, dort die Reitz-Freunde: Einmal im Jahr, beim Filmpreis, demonstrieren sie Einmütigkeit. Aber egal, ob „Die andere Heimat“ oder „Fack ju Göhte“ die Lola in Gold davonträgt – den mit 500 000 Euro höchstdotierten Kulturpreis des Staates –, die Lagerbildung zwischen Anspruch und Populär, Alt und Jung, Drama und Komödie wird ab morgen munter weiterbetrieben.

Übers Jahr läuft es nämlich so: Der deutsche Film wird mit jährlich 350 Millionen Euro gefördert, meist als Wirtschaftsgut, mit Steuer- und Branchengeldern. Da werden die Besuchermillionen-Filmer belohnt; „Fack ju Göhte 2“ ist in Arbeit, gut so! Die Lolas schlagen mit weniger als einem Prozent der Subventionen zu Buche. Mit knapp drei Millionen Euro, die per Satzung und Gesetz nicht dazu da sind, um die Erfolgreichen noch erfolgreicher zu machen, sondern das Gute aus der Menge des Gutgemeinten herauszufiltern. Um die Sinne zu schärfen für die Kinokunst, bei den Komödienregisseuren wie bei den Autorenfilmern. Um das Besondere, das Wagemutige, das es zu Unrecht schwer hat im Kinoalltag, aufs Podest zu heben.

Die Lola könnte die deutsche Kulturnation in Richtung Filmnation schubsen.

Mit sechs Nominierungen geht Edgar Reitz' Auswanderer-Epos „Die andere Heimat“ ins Renen. Szene mit Marita Breuer und Jan Dieter Schneider.
Mit sechs Nominierungen geht Edgar Reitz' Auswanderer-Epos „Die andere Heimat“ ins Renen. Szene mit Marita Breuer und Jan Dieter Schneider.

© Concorde

Die wählenden Filmakademisten tun aber etwas anderes. Sie benutzen die Gießkanne, nominieren von jedem ein bisschen, verteilen die Aufmerksamkeit. Sie denken, das ist fair. Aber es ist das Gegenteil. Denn es nimmt denen, die mehr Werbetrommelei (und Produktionsmittel) verdienen, von den mickrigen drei Millionen noch mal was weg und stärkt auch jene ausgerechnet mit Kulturfördergeldern, die es nicht nötig haben. Die Kluft zwischen Kasse und Klasse verringert sich jedenfalls nicht, wenn die Verleihung vor allem die Wiedergeburt der Komödie aus dem Geist der Filmförderung würdigt. Moderiert wird sie jedenfalls von Jan Josef Liefers, dem Komiker unter den „Tatort“-Ermittlern, und Komödien-Altmeister Helmut Dietl erhält den Ehrenpreis.

Die Lola könnte die deutsche Kulturnation in Richtung Filmnation schubsen

So bleibt es bei der längst anachronistischen Unterscheidung zwischen U und E, und es driftet weiter auseinander, was in anderen, von Deutschland oft beneideten Ländern immer mal wieder zusammenkommt, in Frankreich, Österreich oder den USA. Die Sehnsucht ist groß nach einem deutschen Haneke, einem Regisseur vom Kaliber eines François Ozon, eines Lars von Trier. Aber wenn einer wie Dietrich Brüggemann es mit „Kreuzweg“ mutig in diese Richtung versucht, wird er von den Kollegen in der Filmakademie bereits in der Vorrunde ignoriert. Soll er doch wieder Komödien drehen.

Der Filmpreis, würde er denn klug vergeben, hätte das Zeug dazu, die deutsche Kulturnation ein klein wenig in Richtung Filmnation zu schubsen. Wieder kein deutscher Film in Cannes dabei? Philip Grönings intensive, streitbare Studie über Gewalt in der Familie gehörte immerhin zu den meistdiskutierten Wettbewerbsbeiträgen beim Filmfest Venedig. Hierzulande hat „Die Frau des Polizisten“ es seit dem Start im März auf gerade mal 1000 Zuschauer gebracht (und „Kreuzweg“ auf 10 000). Eine Lola-Nominierung? Fehlanzeige. Aber was sonst könnte solche Aufbrüche in die große europäische Filmkultur ermutigen?

Heute Abend wird in trauter Eintracht gefeiert – und nichts wird sich ändern. Mit den vielen Fördermillionen wird weiter bemühtes oder belangloses Thesenkino finanziert, auch mal eine rasante Komödie, von internationalen Starvehikeln wie „Monument’s Men“ zu schweigen. Die Branche wird weiterhin klagen, dass sie noch mehr Geld braucht, für die Starvehikel und sich selbst. Die tapferen Einzelgänger bleiben in ihrer Nische. Die vielen Filme, die jeden Donnerstag an den Start gehen, weil sie nun mal produziert worden sind, kannibalisieren sich weiter . Und jede Saison gibt’s ein, zwei tolle Debüts à la „Love Steaks“, Sternschnuppen, die schnell verglühen. „Oh Boy“-Regisseur Jan Ole Gerster, der Lola-Sieger von 2013, träumt davon, im Ausland zu drehen. Dem deutschen Film will es gar nicht besser gehen.

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