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Albrecht Schuch und Jella Haase mit ihren Lolas für ihre Rollen in „Lieber Thomas“.

© IMAGO/Eventpress

Deutscher Filmpreis in Berlin vergeben: Die Verleihung der Lolas ist reformbedürftig

Das Brasch-Biopic „Lieber Thomas“ erhält neun Preise. Aber es spricht eher für die Monokultur des deutschen Kinos als für die Qualität des Films.

Von Andreas Busche

Wenn die Moderatorin sich gleich am Anfang der Sendung für die peinlichen Gesangseinlagen entschuldigt und am Ende ein einziger Film den Großteil der Auszeichnungen einheimst – dann befindet man sich mit großer Wahrscheinlichkeit wieder bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises. Der tapferen Katrin Bauerfeind darf man dabei keinen Vorwurf machen, sie hat sich am Freitagabend bei der alljährlichen Gala der deutschen Branche besser als viele ihrer Vorgänger:innen geschlagen.

Die einzige Peinlichkeit ihrer fast dreistündigen Moderation, das Loblied auf den deutschen Film, hat sie gleich zu Beginn weggesungen – und ihrem Eröffnungsmonolog noch ein schönes Bonmot untergerührt: „Deutscher Film, da sagen einige, das klingt doch wie englische Feinkost oder polnisches Design.“

Diese Lola-typische Ironie dient schon länger als Schutzmechanismus der Deutschen Filmakademie: gegen das Gemäkel der Kritiker:innen an der Qualität des deutschen Films und dem Liebesentzug durch das Kinopublikum. In diesem Jahr zeichnet sich diese unerschütterliche Ironie unter anderem dadurch aus, dass die internationale Ko-Produktion „Spencer“ des chilenischen Regisseurs Pablo Larraín (mit Hollywoodstar Kristen Stewart als Lady Diana) für den besten Film nominiert ist, am Ende aber doch Andreas Kleinerts Ost-West-Biografie „Lieber Thomas“ gewinnt. Und da behaupte noch jemand, das deutsche Kino könne keinen Humor.

Die neun Lolas für „Lieber Thomas“ setzen eine inzwischen leidige Gewohnheit fort: Die 2100 Mitglieder der Filmakademie scheinen sich seit einer Weile heimlich auf den einen Film zu einigen, der dann die Verleihung dominiert.

In diesem Jahr also Andreas Kleinerts Biopic über den Dissidenten in zwei deutschen Systemen Thomas Brasch, gespielt von Albrecht Schuch, nach einem Drehbuch von Thomas Wendrich – die alle drei ausgezeichnet werden. Da verwundert es kaum, dass auch noch Jella Haase in der Rolle von Braschs Freundin für die beste weibliche Nebenrolle eine Lola erhält. Die Liebe der Filmakademie ist – einmal entfacht – bedingungslos.

Bei Schuch klingen die Dankesworte für seine dritte Lola inzwischen herzlich-abgeklärt, während man Haase die ehrliche Überraschung ansieht – auch wenn sie sich sicherheitshalber schon ein Zitat von Thomas Brasch eingesteckt hat. Die Lola ist vor allem der Lohn für eine geschmackssichere Rollenwahl im ernsten Fach, mit der sie in den vergangenen Jahren gegen den „Fack ju Göthe“-Ruhm anspielt. Ihre Figuren in „Berlin Alexanderplatz“ und „Lieber Thomas“ sind zwar nicht sonderlich nuanciert, umso mehr muss man Haase dafür bewundern, wie furchtlos sie sich in ihre Rollen stürzt.

Zwei Filme machen die Preise unter sich aus

Mit seinen neun (von zwölf möglichen) Lolas entscheidet „Lieber Thomas“ auch das Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem zehnfach nominierten „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ klar für sich. Meltem Kaptan, die bereits den Silbernen Bären als „die Mama von Murat“ gewann, und Alexander Scheer als Menschenrechtsanwalt Bernhard Docke erhalten die beiden einzigen Auszeichnungen für die Politsatire von Andreas Dresen. Dass zwei Filme die wichtigsten Preise unter sich ausmachen, ist wiederum bezeichnend für diesen Kinojahrgang.

Lola-Gewinnerin Meltem Kaptan (rechts) mit der realen Rabiye Kurnaz, der Protagonistin in "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush".
Lola-Gewinnerin Meltem Kaptan (rechts) mit der realen Rabiye Kurnaz, der Protagonistin in "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush".

© Manfred Thomas

Die deutsch-österreichische Ko-Produktion „Große Freiheit“, die 2021 in Cannes lief, wird immerhin mit der Lola in Bronze ausgezeichnet, das Provinzdrama „Niemand ist bei den Kälbern“, für das Hauptdarstellerin Saskia Rosendahl in Locarno ausgezeichnet wurde, muss sich mit dem Preis für die beste Tongestaltung begnügen.

Diese Monokultur könnte lediglich ein Problem der Wahlmodalitäten darstellen, welches die Filmakademie allerdings schnellstens beheben müsste – wenn der Deutsche Filmpreis nicht auf Dauer ähnlich vorhersehbar werden soll wie die Fußball-Bundesliga. Es könnte sich aber auch schlicht um ein, nicht nur pandemiebedingt, Qualitätsproblem handeln.

Wladimir Klitschko ist aus Kiew zugeschaltet

Die Frage, ob man das Kino an diesem Abend feiern könne, bezieht Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die erstmals die drei Millionen Euro für den höchstdotierten Kulturpreis der Republik aus ihrer Schatulle lockermacht, jedoch nicht auf den deutschen Film – sondern natürlich auf den Krieg in der Ukraine. Ihre klare Antwort lautet: ja. Unterstützung bekommt sie darin von Wladimir Klitschko, der per Video zugeschaltet wird und von den „Soldaten der Wahrheit“ spricht. Bei Klitschko dem Jüngeren handelt es sich dann wider Erwarten aber nicht etwa um ein Deepfake, das Kriegspathos ist ganz echt.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth fordert am Freitag vom Kino "harte Kante".
Kulturstaatsministerin Claudia Roth fordert am Freitag vom Kino "harte Kante".

© IMAGO/Eventpress

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Weniger staatstragend klingt danach die ukrainische Regisseurin Marina Stepanska, die in ihrer Heimat geblieben ist, um die Welt mit Bildern von der Kriegsfront zu versorgen. Was Claudia Roth später am Abend dann zu der Forderung verleitet, dass auch das deutsche Kino mehr Mut aufbringen, mehr „klare Kante“ zeigen sollte.

Es ist in dieser Zeit natürlich nicht leicht, die richtigen Worte für eine Weltlage zu finden, die einen im Grunde nur sprachlos machen kann. Vielleicht sind Kulturveranstaltungen wie der Deutsche Filmpreis dafür aber auch einfach nicht der angemessene Rahmen – wenn sich die Branche in ihrer eigenen Mutlosigkeit per Videoschaltung bloß ein bisschen Relevanz ins Fernsehstudio holen will.

Der deutsche Film kommt, auch wenn er sich wie im Fall von Dresen und Kleinert, politisch gibt, selten über Allgemeinplätze hinaus; er bleibt stets auf der persönlich-biografischen Ebene hängen. So stammt der klügste Satz des Abends auch aus keinem Drehbuch, sondern aus der Feder einer Französin. Die Maskenbildnerin Kerstin Gaecklein, die für „Große Freiheit“ (einer dieser Filme, die dem Publikum ihre Politik nicht aufs Auge drücken) eine Lola gewinnt, zitiert in ihrer Dankesrede Simone de Beauvoir: „Ich wünschte, jedes menschliche Leben wäre reine, klare Freiheit.“

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