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Kent Nagano mit dem DSO im Mai 2016 beim "Symphonic Mob" in der Mall of Berlin.

© Reuters

Deutsches Symphonie-Orchester: Aus Beethovens Labor

Die Neunte? Kann jeder aufs Programm setzen. Kent Nagano macht es, wie man es von ihm kennt, ganz anders. Ein Konzert mit dem Deutschen Symphonie-Orchester in der Philharmonie.

Das ist Berlin. Auf dem Programmzettel: tief vertraute Namen, Schubert, Beethoven, Strauss. Aber kein Klavierkonzert, keine 5. Symphonie, kein „Heldenleben“. Sondern, DSO-typisch, Stücke, die abseits der ausgetrampelten Rezeptionspfade liegen, außer Strauss’ „Metamorphosen“. Die Philharmonie jedenfalls ist trotzdem voll, ausverkauft. Was natürlich auch an Kent Nagano liegt. Vergleichsweise kurze sechs Jahre war er Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters. Beinahe doppelt so lange schon kehrt er zurück, in spürbar enger Verbundenheit. Die „Metamorphosen“, in denen Strauss kammermusikalisch-intim die Stimmen von 23 Streichern verflechtet, sind dann auch von einer schwer fassbaren Vertrautheit durchdrungen.

Es ist bekanntlich nicht Naganos Art, in Klangpracht zu schwelgen. Melancholisch verwehen die Töne, als würde immer noch eine außermusikalische Ebene mitreflektiert. Was der im Programmheft vertretenen These, Strauss habe hier nicht nur die Bombardierung Wiens und Münchens beklagt, sondern auch seine eigene Rolle im Nationalsozialismus selbstkritisch überdacht, einige Plausibilität verleiht. Der Schluss: mahlerisch ersterbend. Viel überflüssige Kinetik bei Konzertmeister Sebastian Bräuninger, der wie ein orthopädischer Gummiball auf dem Stuhl umherhüpft. Die Streicher lassen sich nicht anstecken, oder nur positiv: indem sie seine Musikalität so kanalisieren, dass ein brauchbares Klangbild entsteht.

Variationen marschieren vorüber wie Zinnsoldaten

Die Strategie hat auch schon in Schuberts Messe As-Dur (D 678) gut funktioniert, mit einem geschliffen singenden, von Philipp Ahmann einstudierten Rundfunkchor. Der glänzt auch in Beethovens Chorfantasie c-Moll op. 80. Eine Rarität, obwohl Beethoven sie im denkwürdigen Konzert vom 22. Dezember 1808 präsentierte, in dem auch die 5. und 6. Symphonie und das 4. Klavierkonzert uraufgeführt wurden. Eintopfartig mischt er hier alles zusammen: Chor, Klavier, Gesangssolisten, Orchester. Eine raffinierte, experimentelle Melange, in der er ausprobiert, was er später in der 9. Symphonie im großen Stil einsetzt: die Stimmen natürlich, aber auch den Orchestereinsatz mit den Kontrabässen nach dem Klaviersolo. Till Fellner verführt mit extrem elegantem, federndem Anschlag, der ihm weite Gestaltungsspielräume öffnet. Dann marschieren Themen und Variationen vorbei wie Zinnsoldaten. Lustig ist das anzuhören, ein heiterer Hybrid. Die Neunte bringen, das kann jeder. Nagano präsentiert das Labor, in dem sie entstand.

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