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Kultur: Deutschland, einig Pornoland

Nachdem Thor Kunkels Nazi-Porno-Roman „Endstufe“ bei der Kritik durchgefallen ist, sollen auch noch die „Sachsenwald-Filme“ Fälschungen sein

Was ist eigentlich verwerflicher – echte Nazi-Pornos oder gefälschte Nazi-Pornos? Und überhaupt: Um wie viel schlimmer sind eigentlich Nazi-Pornos als normale Pornos? Und wenn man einen Nazi-Porno-Roman schreibt, also einen Roman, in dem Nazi-Pornos vorkommen, verletzt das die Grenzen des guten Geschmacks mehr, wenn es diese Nazi-Pornos gar nicht gibt?

Das sind so Fragen. Der Schriftsteller Thor Kunkel, Jahrgang 1963, muss sie über sich ergehen lassen. Sein Roman „Endstufe“, der seit knapp drei Wochen in den Buchhandlungen zu haben ist, behandelt ein bizarres Sujet: SS-Wissenschaftler drehen Anfang der Vierzigerjahre in ihrer Freizeit harte Pornos mit Titeln wie „Frühlingserwachen im Sachsenwald“ und „Der Fallensteller“. Auf dem Schwarzmarkt wollen sie sie gegen Rohstoffe aus Schweden eintauschen und sich auch im prüden, aber lüsternen Arabisch-Nordafrika eine goldene Nase verdienen. Thor Kunkel versicherte der Presse, dass die Sache mit den „Sachsenwald“-Pornos authentisch sei, wenn er auch die Gerüchte um die Schwarzmarktgeschäfte nicht habe erhärten können.

Am Dienstagabend wurde nun in einem Beitrag für die 3-sat-„Kulturzeit“ vom Investigativ-Fernsehjournalisten Tilman Jens die Echtheit der Hardcore-Pornos bestritten. Sie seien erst nach dem Krieg, wahrscheinlich in den Fünfzigern, nachgestellt worden.

Worauf hat sich Thor Kunkel nur eingelassen, als er Ende der Neunzigerjahre im Mitternachtsfernsehen von „Vox“ ein Gespräch von Alexander Kluge mit dem Experimentalfilmer und Filmesammler Werner Nekes sah, in dem es um die mutmaßlichen Nazi-Pornos ging, und daraufhin beschloss, die Sache als Romanstoff zu verwenden? Klar: Nazi-Pornos garantieren Skandal, und ein Skandal garantiert Auflage – so vermuteten Kritiker messerscharf, als Kunkel vor einigen Wochen in hohem Bogen aus seinem Verlag – Rowohlt – herausgeworfen wurde, weil man sich „in inhaltlichen und ästhetischen Fragen“ nicht einigen konnte. Kaum einer konnte sich erklären, dass ein renommierter Verlag ein Buch als Spitzentitel reißerisch ankündigt, und sich dann wenige Tage vor Drucklegung vom Autor trennt.

Die ästhetische und moralische Messlatte an Kunkels umstrittenen Roman „Endstufe“ wurde höher und höher, als auch noch Neonazi-Jäger Henryk M. Broder im „Spiegel“ insinuierte, es handele sich bei dem ungedruckten Manuskript um ein revisionistisches, die Nazi-Verbrechen verharmlosendes Machwerk.

Dann erschien „Endstufe“ zur Leipziger Buchmesse Ende März im Eichborn-Berlin-Verlag und die Enttäuschung war groß: Die meisten Kritiker stellten fest, dass sich hier ein nicht unbegabter Autor mit seinem Stoff und seinen Ansprüchen verhoben habe. Der Roman sei schlecht geschrieben, Kunkel komme mit den Stilebenen durcheinander, zudem sei das Manuskript schlampig lektoriert und enthalte Fehler – aber revisionistisch sei der Text nicht, ja nicht einmal politisch inkorrekt. Nur ein Kritiker fand das Brodersche Vor-Urteil bestätigt: Ja, „Endstufe“ enthalte eine gefährliche Ideologie, korrigierte Richard Kämmerlings in der „FAZ“ seine Kollegen – sei aber mitnichten so schlecht geschrieben, wie allgemein behauptet werde. Das Erstaunliche: Der Verkauf von „Endstufe“ lief trotz heißlaufender Medienmaschine verhältnismäßig schleppend an. Allerdings sei das Interesse im Ausland beträchtlich, meldet der Verlag.

„Kulturzeit“ beruft sich in der angeblichen Enthüllungsstory auf den Filmwissenschaftler und Kinobetreiber Werner Grassmann, der 1970 das legendäre Hamburger Abaton-Programmkino mitgründete. Dieser habe dort 1971 eine Filmreihe unter dem Titel „Erotik im Underground“ gezeigt. Der Begriff „Sachsenwaldfilme“ sei damals im Scherz entstanden, weil ein Filmlieferant aus dem Sachsenwald bei Hamburg kam. „Die vermeintlichen Nazi-Pornos stammen aus der Nachkriegszeit, da ist sich Grassmann ganz sicher“, ist im Beitrag zu hören und auf der 3sat-Homepage nachzulesen, auf der von der „falschen Nazi-Nummer des Thor Kunkel“ die Rede ist.

Eine Verwechslung. Nekes’ „Sachsenwald“-Pornos und die Abaton-Erotikfilme sind nicht identisch. Auf Nachfrage des Tagesspiegels korrigiert Werner Grassmann jedenfalls den TV-Bericht: Er habe gegenüber Tilman Jens lediglich festgestellt, dass die Filme aus der Sammlung von Werner Nekes, die Thor Kunkel zum Gegenstand seines Romans gemacht hat, 1971 nicht im Abaton-Kino gezeigt wurden. Zu ihrer Echtheit habe er sich überhaupt nicht geäußert. Bei den Nekes-Filmen handle es sich im Übrigen um Hardcore-Pornos, und in seiner Filmreihe seien „mit Sicherheit nur Erotik-Filme“ der harmloseren Art gezeigt worden. Eben jene anderen „Sachsenwald“-Softpornos.

Sammler Nekes zeigt sich unbeeindruckt. Es sei unwahrscheinlich, dass man in den Fünfzigern Pornofilme gedreht habe, die den Eindruck erwecken sollten, sie seien in der NS-Zeit entstanden. Dafür hätte man gewiss eine direktere Symbolik benutzt, etwa Nazi-Uniformen, die weder im „Fallensteller“ noch in „Frühlingserwachen“ zu sehen seien. Außerdem legte er dem Tagesspiegel einen Brief des über 80-jährigen Rentners Horst Schanbacher vor, der sich nach dem Kluge-Interview bei ihm gemeldet hatte. Darin heißt es: „Hiermit bestätige ich Ihnen, dass mir im Winter 1945/46 anlässlich einer privaten Veranstaltung in Stuttgart von verschiedenen Herren von Filmen pornographischen Inhalts erzählt wurde, darunter der ,Fallensteller‘ und ,Frühlingserwachen im Sachsenwald‘. Es soll sich um von der SS bzw. Wehrmacht erstellte Streifen handeln, die zum Tausch und zur Bestechung bei schwedischen Personen dienten.“

Auch Autor Kunkel gibt sich entspannt. Schließlich habe er vor einiger Zeit eine Darstellerin der mutmaßlichen Nazi-Pornos im Altersheim Quickborn bei Hamburg besucht. Der alten Dame sei das heute peinlich. Aber ausgedacht habe sie sich die Sache bestimmt nicht. Im Übrigen sei er Romanschriftsteller und kein Porno-Wissenschaftler.

Deutschland, ein Porno-Märchen.

Marius Meller

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