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Mit diesem Logo bewirbt die Biennale das Anti-Sarrazin-Projekt

© Berliner Biennale

"Deutschland schafft es ab": Anti-Sarrazin-Aktion droht zu floppen

Schlappe 60.000 Exemplare von Thilo Sarrazins "Deutschland schafft sich ab" will der Künstler Martin Zet recyceln. Bislang aber wurden nur sechs Bücher für seine umstrittene Aktion gespendet - darunter ein Koran. Das Projekt droht zu floppen.

Der Tabubruch war offensichtlich kalkuliert: Nicht weniger als 60.000 Exemplare von Thilo Sarrazins Aufregertitel "Deutschland schafft sich ab" wollte der tschechische Künstler Martin Zet sammeln und recyceln. Prompt hagelte es empörte Vergleiche mit der staatlichen Zensur zu DDR-Zeiten und Bücherverbrennung unter den Nazis. Bislang aber wurden nur sechs Bücher für die umstrittene Aktion auf der Berliner Biennale gespendet, wie deren Sprecher Denhart von Harling dem Tagesspiegel sagte - darunter ein Koran, was der ursprünglichen Intention des Künstlers zuwiderläuft. Die Aktion droht zu floppen.

Am 12. Januar hatte der Veranstalter der Biennale, das KW Institute for Contemporary Art, dazu aufgerufen, Sarrazins Buch in verschiedenen "Sammelstellen" abzugeben. Das Motto wurde in Anspielung an den Originaltitel des Verkaufsschlagers gewählt: "Deutschland schafft es ab". Bei der Biennale (27. April bis 1. Juli) wollte Zet die seiner Ansicht nach rassistisch gefärbten Bücher in einer Installation zeigen und nachher "für einen guten Zweck recyceln".

Zwei Monate vor Beginn der 7. Biennale herrscht in den Sammelstellen aber völlige Ebbe. Biennale-Sprecher von Harling versichert, die Aktion werde trotzdem stattfinden, "wenn auch nicht in dem geplanten Maße". Vielleicht finde sich bis Ende April ja noch der eine oder andere Spender. Das Projekt komplett abzublasen habe jedenfalls nie zur Debatte gestanden.

Daran würden auch die weitgehend kritischen Reaktionen nichts ändern, zeigte sich von Harling trotzig. Hunderte Beschwerdebriefe und Emails hätten die Veranstaltungsmacher erhalten, einige davon aus der Feder rechtspopulistischer Gruppierungen. Auch unter dem offiziellen Spendenaufruf im Internet finden sich mehr als 500 Kommentare, "dabei haben wir Drohungen und wüste Beschimpfungen schon gelöscht", sagt von Harling.

Kooperationspartner abgesprungen

Zet selbst rechtfertigt die Aktion mit den Folgen von Sarrazins Verkaufserfolg, der inzwischen mehr als 1,35 Millionen Mal über die Ladentheke wanderte. Ab einem bestimmten Moment sei es eben "nicht mehr wichtig, was die Qualität oder wahre Intention eines Buches ist, sondern welchen Effekt es in der deutschen Gesellschaft hat". Das Buch fördere "anti-migrantische und hauptsächlich anti-türkische Tendenzen", seine Besitzer könnten also Stellung beziehen, indem sie sich des Titels entledigten.

Das sieht aber längst nicht jeder so. Das Künstlerhaus Bethanien lehnte seine Teilnahme an dem Projekt bereits im Vorfeld ab, weil sich Direktor Christoph Tannert an die Zensur-Methoden der DDR erinnert fühlte. Das Haus der Kulturen der Welt ging später ebenfalls auf Distanz und die als Sammelpunkt annoncierte ifa-Galerie zog ihre Zusage wieder zurück, weil die Aktion "vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte in seiner Form und Umsetzung nicht akzeptabel" sei.

Das Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien erkannte in dem polarisierenden Projekt erst gar keine Kunstaktion, "sondern einen Akt der Peinlichkeit, den es zu verhindern gilt". Zentrums-Mitarbeiter Werner Treß, der intensiv zur nationalsozialistischen Bücherverbrennungen vom 10. Mai 1933 geforscht hat, zeigte sich schockiert. Jedes Buch sei unabhängig von seinem Inhalt ein kultureller Wert an sich und dürfe nicht öffentlich zerstört werden. "So kommt es, dass ich ein Buch, dessen Inhalt ich zutiefst ablehne, doch in Schutz nehmen muss", befand der Historiker.

Der für seine politisch inkorrekten Inszenierungen bekannte Biennale-Leiter Artur Zmijewski verteidigte das Projekt im Tagesspiegel-Interview vehement. Um die Atmosphäre in Deutschland zu ändern, sei Kunst "das absolut richtige Werkzeug". Von Bücherverbrennungen sei nie die Rede gewesen, Zet habe lediglich vom Einsammeln und Recyceln der Bücher gesprochen. "Warum sind die Flammen der einzige Horizont der deutschen Fantasie?", konterte Zmijewski die Kritik.

Pseudo-Eklat gerät zum Sturm im Wasserglas

Ob jetzt wirklich noch Tausende unfreiwillig Beschenkte oder enttäuschte Käufer des Sarrazin-Buchs ihr Exemplar in den Briefkasten werfen, bleibt fraglich. Der vermeintliche Eklat könnte sich mithin als Sturm im Wasserglas entpuppen. Möglicherweise ist das den Verantwortlichen aber auch völlig egal.

Den Auftrag ihrer wechselnden Kuratoren definiert die Biennale auf ihrer Webseite nämlich wie folgt: "Sie sind berufen, den Dialog mit der Stadt, ihrer Öffentlichkeit, den Kunstinteressierten sowie den Künstlerinnen und Künstlern dieser Welt zu führen." So gesehen kann Zmijewski dank der zahllosen Wortmeldungen zur "Affäre Sarrazin" schon zwei Monate vor dem Start der Biennale seinen ersten Teilerfolg verbuchen. Egal wie viele Bücher am Ende tatsächlich den Weg in die Sammelstellen finden.

Marc Kalpidis

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