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Kultur: Deutschstunde mit Revolver

In der Berliner Schiller-Werkstatt erklärt das Grips-Theater den Schul-Krieg

Sascha ist tot. Weil er das Abitur nicht schaffte, hat er sich aufgehängt. Die Schuld, so die Mitschüler und Freunde des toten Jungen, trage allein Lehrer Klamm. Denn der habe Sascha für seine Deutschleistungen nicht die nötigen sechs, sondern nur fünf Punkte gegeben. Deshalb haben die Schüler ihrem Lehrer in einen Brief den Krieg erklärt, boykottieren sie den Unterricht, sitzen dem ebenso rat- wie hilflosen Lehrer wie eine schweigende Wand gegenüber. Doch sind am Tatort Schule Täter und Opfer so leicht auszumachen?

„Klamms Krieg“, im Jahre 2000 uraufgeführt in Dresden und im Dezember 2002 mit dem „Deutschen Jugendtheaterpreis“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ausgezeichnet, ist vielleicht das Stück der Saison. Allein in dieser Spielzeit wird Kai Hensels Monolog für einen am Schul-Alltag scheiternden Bildungskrieger an über zwanzig deutschsprachigen Bühnen inszeniert. Seit dem Massaker von Erfurt und dem von der Pisa-Studie ausgelösten Schock wird hier zu Lande wieder heftig über Gewalt in der Schule, Bildung und Erziehung gestritten.

Leider nicht immer sehr zielführend, wie es neudeutsch heißt. Der Besuch von Frank Panhans´ Inszenierung in der Schiller-Werkstatt sei den um Einsichten und Argumente ringenden Bildungs-Politikern deshalb dringend ans Herz gelegt. Denn hier wird ihnen hautnah vor Augen geführt, wie an deutschen Schulen Ideale zerrieben und Prinzipien zerfleddert werden, wie Pädagogen sich gegenseitig mobben, Lehrer und Schüler sich in einen sinnlosen Krieg verzetteln und dort, wo Unterricht stattfinden sollte, nur noch der kalte Wind des Hasses weht: Frank Engelhardt liefert als Lehrer Klamm ein beeindruckendes, beinahe beängstigendes Schauspielsolo. So gern möchte der mit schwarzem Rolli und cognacfarbener Cordjacke ausstaffierte Klamm den Schülern Kumpel und Charakterbildner sein. Eigentlich empfindet er sich selbst als Opfer struktureller Gewalt und schulischer Regeln. Doch weil die Schüler ihn, der sein Fach und seine Leistungskriterien leidenschaftlich verteidigt, ablehnen und stumm verachten, wird Klamm zum zynischen Berserker.

Was als sensibler Versuch eines Gesprächsangebots beginnt, endet in einer anklagenden Schmährede gegen die Schüler. Weil niemand auf seine Fragen antwortet, keiner bereit ist, Wahrheit und Lüge zu trennen, geht Klamm zum Angriff über, imitiert er Schüler-Grimassen, persifliert er Pennäler-Sprüche, schwitzt er sich seine lädierte Seele aus dem Leib. Ist am Beginn der fatalen, fürchterlichen Deutschstunde mit Goethes Gretchen nur die Ruhe hin und das Herz so schwer, so wartet am Ende der beklemmenden Kommunikationsschlacht bereits ein geladener Revolver und – vielleicht – das Grab.

Nächste Vorstellungen am 11., 27. 3., 11.00 Uhr, 10.3., 18.00 Uhr, 26.3., 19.30 Uhr (auf Anfrage auch in Oberschulen, Tel. 030/3974740

Frank Dietschreit

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