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Ein Ex-Cop und die Witwe des Mordopfers. Liao Fan und Kwai Lun Mei in "Feuerwerk am helllichten Tag."

© Weltkino

Diao Yinans „Feuerwerk am helllichten Tag“: Kohle auf Eis

Chinas Filmindustrie boomt wie nie. Und mit Diao Yinans Berlinale-Sieger „Black Coal, Thin Ice“ („Feuerwerk am helllichten Tag“) macht erstmals ein chinakritischer Arthousefilm dort richtig Kasse.

Jeden Tag eröffnen in China mehrere Multiplexe, über 900 Kinos waren es 2013, Tendenz: steigend. Zumal in den Provinzstädten, die ja ebenfalls Millionenmetropolen sind, bloß dass keiner im Ausland sie kennt. Während die Filmindustrie des Westens sinkende Profite, Kinoschließungen und ein alterndes Publikum verzeichnet, meldet China Superlative am laufenden Band. Boom, wohin man auch blickt.

Dort verjüngt sich der Besucherdurchschnitt, dort hat sich die Zahl der Leinwände in drei Jahren verdoppelt. Wang Jianlin, der reichste Mann des Landes (14 Milliarden Dollar Vermögen), baut in der Küstenstadt Qingdao die größte Filmstadt der Welt, mit Studios, Themenpark, Museum und Filmfestival. Eröffnet wird 2017. Der Immobilientycoon will die US-Konkurrenz (Jahreseinspiel: 11 Milliarden Dollar) bis 2018 eingeholt haben. 2012 hatte er bereits die amerikanische Kinokette AMC gekauft. Damit gebietet er auch über 5000 US-Leinwände.

Kein Wunder, dass Hollywood sich auf den Riesenmarkt einstellt und die strenge chinesische Quote für Filmimporte (34 pro Jahr) zu umgehen versucht. Die Studios produzieren Filme wie „Iron Men 3“, „Transformers 4“ oder „Grace of Monaco“ mit chinesischen Partnern, lassen chinesische Stars in ihren Blockbustern auftreten und platzieren dort chinesische Produkte, von Energydrinks über Autos bis zur Großen Mauer. Zum Baubeginn von Wang Jianlins „Oriental Movie Metropolis“ gaben sich Nicole Kidman, Leonardo DiCaprio, John Travolta, Christoph Waltz und andere Hollywoodgrößen die Ehre. So macht man Bündnisgeschäftspolitik. Kohle, Erze, Seltene Erden, Chinas Rohstoffe sind auf dem Weltmarkt begehrt. Längst hat das Reich der Mitte begriffen: Auch bewegte Bilder sind ein wertvoller Stoff.

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Kultureller Siegeszug chinesischer Arthouse-Filme

Der kulturelle Siegeszug chinesischer Arthouse-Filme auf den Festivals in Cannes, Venedig und Berlin hatte damit bislang wenig zu tun. Die früheren Erfolge der dissidentischen Filme von Zhang Yimou und Chen Kaige (die inzwischen eher Historien- und Propagandaschinken drehen), die jüngeren Festivalpreise für mutige Regisseure wie Jia Zhangke („A Touch of Sin“), der starke Auftritt von gleich drei chinesischen Wettbewerbsbeiträgen bei der Berlinale 2014 mit dem Goldenen Bären für Diao Yinans „Black Coal, Thin Ice“ – all das spielte sich gewissermaßen in einer Parallelwelt ab. Neuerdings jedoch nähern die Welten sich an.

Diese Woche kommt „Black Coal, Thin Ice“ in die deutschen Kinos, der Verleihtitel „Feuerwerk am helllichten Tag“ übersetzt das chinesische Original. Ein Noir-Krimi, ein Winterfilm voller Nachtgestalten, durchsetzt mit blinkenden Leuchtreklamen, mit rotem, blauem, grünem Flackerlicht und morbidem Retrolook. Der Held: ein trunksüchtiger Ex-Cop, ein depressiver Loser und Grobian bei den Frauen. Typisch Noir-Detektiv – das Gegenteil eines integren chinesischen Beamten. Zhang (Liao Fan, Goldener Bär als bester Darsteller) klärt auf eigene Faust eine mysteriöse Mordserie mit makabren Leichenteilfunden auf, darunter einen zurückliegenden Fall um einen Kohlefabrikarbeiter und dessen Frau Wu (Gwei Lun Mei), die in einer Reinigung arbeitet.

Ein nüchtern-fantastisches Spektakel

„Feuerwerk am helllichten Tag“ spielt in einer Industriestadt in der Provinz, rund um die Straßenecke mit der Wäscherei. Auch in solchen Städten schießen die neuen Kinos inzwischen wohl wie Pilze aus dem Boden. Aber wir schreiben das Jahr 1999, und dann 2004. Noch steht das alte Lichtspieltheater, es heißt „Roter Stern“, Zhang und Wu werden sich dort einen Kung-Fu-Film ansehen, „Die 13 Schwertkämpferinnen“. Dekadente Neureiche, eine Denunziantin auf der Polizeiwache, Spielhöllen, ein quietschendes Riesenrad, ratternde Kohlezüge, der Arbeitsalltag der Kripo und der Fabrikmalocher: Diao Yinan mischt den Sozialrealismus eines Jia Zhangke mit der Rätseldramaturgie des Krimigenres und surrealen Momenten. Etwa das titelgebende Tagfeuerwerk am Ende, ein explosives, nüchtern-fantastisches Spektakel.

„Feuerwerk am helllichten Tag“ zeichnet ein finsteres Bild der aufstrebenden Weltmacht China und sympathisiert mit den Opfern des Aufschwungs. Dennoch wurde der Film mit wenigen Schnitten von den Behörden freigegeben und knackte nur drei Wochen nach dem Kinostart im März die 100-Millionen-YuanMarke (12 Millionen Euro), die zuvor von keinem Autorenfilm überschritten worden war. Damit ist er der erfolgreichste chinesische Arthousefilm aller Zeiten. Zensur in China, auch das ein Rätsel.

Jeder betrügt jeden.

Ein Winterfilm, ein Noir-Krimi mit typischem Detektiv. Zhang ist ein gescheiterter, depressiver, oft sturzbetrunkener Ex-Kommissar. Liao Fan gewann für die Rolle auf der Berlinale einen Bären als Bester Darsteller.
Ein Winterfilm, ein Noir-Krimi mit typischem Detektiv. Zhang ist ein gescheiterter, depressiver, oft sturzbetrunkener Ex-Kommissar. Liao Fan gewann für die Rolle auf der Berlinale einen Bären als Bester Darsteller.

© Weltkino

Schon die erste Einstellung lässt an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig. Kohle in Nahaufnahme, aus dem schwarzen Schutt ragt ein Plastikpäckchen hervor, ein Wackelbild. Typisch Underground-Digikamera? Von wegen. Die Kohle wird auf einem Lkw zur Kohlewaschanlage transportiert, deshalb vibriert die Szene. Auf dem Förderband stellt sich heraus, dass im Päckchen ein Leichenteil steckt, überall in den Fabriken der Gegend macht man solche grausamen Funde. Ein bezeichnendes Motiv. Chinas kostbares Exportgut – und der Tod reist mit. Etliche kritische Filme hatten in letzter Zeit den Kohlebergbau zum Schauplatz, als Ort der brutalsten Ausbeutung im kommunistischen China, von „Blind Shaft“ auf der Berlinale 2003 über Wang Bings „Coal Money“ 2008 bis zum Rachedrama „People Mountain People Sea“, eine rabenschwarze Höllenfahrt, die 2011 in Venedig ausgezeichnet wurde.

Jeder betrügt jeden

Es gibt viele solcher unmissverständlichen Szenen. Wu, die schöne junge Frau in der Reinigung, Witwe des mutmaßlichen Mordopfers von 1999, ist Freiwild für die Männer. Für die Kunden, für ihren Chef, für Zhang, der sie beschützen will und ihre Schutzlosigkeit dennoch ausnutzt. So viel zum Thema Frauenrechte. Oder die Armut. Da ist das Pferd im Hausflur, die Schindmähre eines armseligen Müllsammlers. Da ist das bescheidene Vergnügen auf der abendlichen Schlittschuhbahn (Achtung, Schlittschuhe können tödlich sein!). Und wie sich herausstellt, kommt die Gewalt nur deshalb ins Spiel, weil die Wäscherin einst einen Ledermantel ruinierte. Mord und Totschlag wegen einer für hiesige Verhältnisse lächerlichen Regresssumme. So viel zum Thema soziale Lage.

Oder die Willkür. Die Polizei, die Kripo, ständig dringen sie in Privatsphären vor, überwachen, verfolgen, der Staat ist überall. Am Ende stehen sie in einer kleinen Familienküche. Als der erste Mord hier geschah, wohnten die Leute noch nicht dort, egal, der Vater bittet die Beamten trotzdem gerne herein. „Das Vertrauen zwischen den Menschen ist verschwunden“, sagte der 46-jährige Regisseur in der „Zeit“. „Auch im Westen ist das so, doch sieht man es in China so viel deutlicher.“ Jeder betrügt jeden, für den kleinen Profit, den großen Boom oder eben nur, um die eigene Haut zu retten. Die Welten nähern sich an: „Feuerwerk am helllichten Tag“ ist ein Film über den Teufelskreis des Materialismus. Über den unweigerlichen Verrat an dem, was einem am liebsten ist.

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