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Kultur: Dichte doch mal positiver! Ein Georg-Heym-Abend

am Berliner Ensemble.

Auf den Tag genau vor 100 Jahre ertrank der Dichter Georg Heym mit 24 Jahren beim Schlittschuhlaufen in der Havel, als er einen Freund vor dem Ertrinken retten wollte. Sagt Regisseur Manfred Karge, bevor es losgeht, und ein rotgewandeter Teufel schmerbäuchig auf roten Cowboystiefeln über den zusammengezimmerten Guckkasten schleicht, zwischen den Ohren ein sichelscharfes Grinsen, „Faust. Fragment 1911“, eine Collage nach einem ursprünglich nur zweieinhalb Seiten kurzen Heym-Fragment im Pavillon des Berliner Ensembles, ist also mehr Hommage als klassische Inszenierung. In den Achtzigerjahren hat Karge das Stück „Lieber Georg“ von Thomas Brasch inszeniert, das von Heym handelt. Brasch hat die letzten Jahre vor seinem Tod bekanntlich neben dem BE gelebt, Heyms Lyrik wiederum hat Brecht beeinflusst. So schließen sich Kreise. Der versöhnliche Geist einer Familienzusammenführung bestimmt denn auch diesen nostalgischen Abend.

Faust, das ist ein junger Student, der vor Lebenshunger und Unmittelbarkeitssehnsucht nur so bebt, aber angesichts der Ungerichtetheit seines Drangs schier verzweifelt. Eine Frau mit großer Seele muss her! Ruhm! Oder vielleicht doch ein Krieg? Aber gegen wen? Fest steht, wenn er noch einen Tag länger im Grundbuchamt arbeiten muss, wird ihn die Ödnis der Normalität regelrecht erwürgen. Andy Klinger gibt diesen Studenten mit Burschenschaftskäppi auf dem Kopf und permanenten Unterdruck im Leib, der seine Hände vor Erregung zittern lässt. Doch bevor das ewige Haareraufen ungutes Pathos erzeugt, kommt wieder der verführerische Teufel (Patrick Bartsch) vorbeigestakst – und mit ihm das ausgleichende komödiantische Element. Der Teufel entführt den Studenten auf eine Reise der wahren (zumindest intensiven) Empfindung in eine Jahrmarktswelt zwischen Wachen und Träumen. Der junge Mann wird einer berlinernden Dirne zugeführt, von seiner Exfreundin im JahrhundertwendeKleid umworben, muss sich von seiner Mutter eine Predigt anhören („Dichte doch mal positiver!“), dann geht´s ab zum Mond und später auch irgendwie in die Unterwelt. Ein wenig gesungen wird auch (wieder am 30. Januar sowie 2. und 25. Februar).

Karge versucht gar nicht erst, Heyms überschäumendes Vorkriegslebensgefühl mit der Gegenwart zu verbinden. Er zeichnet das Stationendrama in wohldosierter grotesker Überzeichnung – hier ein schwarzgeschminkter Lunapark-Zuhälter, dort ein beamtenhafter Scharfrichter – in der, wer will, noch ironische Reste Brecht’scher Verfremdung sehen kann, und bringt in den Szenen viele Gedichte, fetzenhafte Traumsequenzen und ahnungsvolle Fantasien aus Heyms Tagebuch unter. Das Museale stört zu keiner Minute, denn es geht schließlich vor allem um dies: Gut, dass Georg Heym endlich mit am Tisch sitzt. Andreas Schäfer

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