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Kultur: Die Achse des Schönen

Versteinerte Bewegung: Eine Ausstellung im Kolbe-Museum untersucht den Zusammenhang zwischen Tanz und Skulptur

Tanz durfte nicht ohne Pathos sein. 1921 dichtet Georg Kolbe auf dem Vorsatzblatt einer Mappe mit Tanz-Zeichnungen: „Der wirbelnde Mensch. Sein Körper wird Geist, ist / hier und dort (…). Rhythmischem / Müssen ergeben wird sein Bewegen / sichtbarer Klang.“ Die Aufgeregtheiten des Ausdruckstanzes hatten zwischen 1910 und 1930 nicht nur Stars wie Gret Palucca, Mary Wigman oder Vera Skoronel in die Sphären des Erhabenen entsandt. Auch andere Künstler des frühen 20. Jahrhunderts vernahmen den Freiheitsruf, welcher mit diesem ersten Tanz- und Körperboom einherging. Georg Kolbes 1911 entstandene Skulptur „Die Tänzerin“ (seit 1912 in der Nationalgalerie) wurde auch nach 1933 als Inbegriff deutschen Tanzwollens gefeiert. Bis weit in die Zwanzigerjahre hatte Kolbe den Tanz und dessen spontane Erlebnisqualität zum Stoff seines Schaffens gemacht. Damit dokumentiert das Werk des Bildhauers zugleich die Frühzeit der modernen Tanzgeschichte.

Diesem Zusammenhang widmet das Kolbe-Museum eine klug konzipierte, reichhaltige Ausstellung. Kolbe suchte die Nähe zu den Tänzerinnen und Tänzern, besuchte ihre Vorstellungen, lud sie in sein Atelier ein, fertigte Bewegungsskizzen an und ließ sich von ihren Aktionen zu Standbildern anregen. Eines, die verschollen geglaubte „Amazone“ (1912), tauchte erst zwei Wochen vor Ausstellungsbeginn aus Privatbesitz wieder auf, wie Museumsdirektorin Ursel Berger berichtet.

Faszinierend sind auch die Arbeiten auf Papier. Knapp, geschmeidig und treffsicher hält Kolbe seine Bewegungs-Impressionen fest. Dabei treten Eigenart und Persönlichkeit seiner Modelle klar hervor. In den 1912 entstandenen Studien nach dem Star der Ballets Russes, Waslaw Nijinsky, umstreichen begehrliche Tuschakzente die zart gezeichnete Silhouette der damaligen Sexbombe Nijinsky, während die gravitätischen Schreit-Tänze der Charlotte Bara sich in Kolbes Blick eher zu exaltierter Flächigkeit ausbreiten. Mit stürmendem Bleistift und sparsamer Lavierung bannt Kolbe den etwas tüddeligen Tanzgestus der großen Gret Palucca. Und die muskelstrotzende Physis des Amerikaners Ted Shawn – er gründete erstmals in der Geschichte des modernen Tanzes ein reines Männerensemble – wird in einer gefälligen Blätterfolge markig mit Kohle schraffiert.

Die Ausstellung dokumentiert sparsam anhand von Briefen und Fotografien den intensiven Austausch Kolbes mit den verehrten Tanzkünstlern. Deutlich wird der souveräne Umgang mit den zwei Hauptverfahren der Darstellung schwungvoller Bewegung – waghalsige Balance-Figuren und Extremhaltungen wie beidseitig abgewinkelte Arme, ausladende Schreitposition oder verdrehte Körperachsen. Kolbe, ein Tanzmaler und -bildhauer nach der Natur, fängt auf subtile Weise jenen Moment des Umbruchs ein, wo eine Pose zurückgenommen werden soll, aber in ihrem Schwung noch zu wachsen scheint. Vielleicht die schönste Entsprechung für den Tanz als stets vergehende Form.

Kolbe-Museum, bis 27. April. Di-So 10 bis 17 Uhr, Katalog 14 Euro.

Franz Anton Cramer

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