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Farin Urlaub, Sänger und Gitarrist der Ärzte.

© dpa

Die Ärzte auf dem Flughafen Tempelhof: Ewiges Sommermärchen

Witz und Lässigkeit: Die Ärzte gaben auf dem Flughafen Tempelhof vor jeweils etwa 45000 Besuchern zwei gewohnt selbstironische Konzerte.

Die Hälfte ihrer Show an diesem schönen, klaren, aber auch schon kühlen Samstagabend ist schon vorbei, als die Ärzte auf der riesigen Bühne des ehemaligen Flughafen Tempelhofs einen Song ihres jüngsten Albums „Auch“ spielen. „Zeidverschwändung“ heißt der, und darin sprechen die Ärzte ihre Fans wie so oft in der zweiten Person Singular an, den einen Fan im Namen aller: „Es gibt so viel zu sehen, es gibt doch so viel zu lernen. Hast Du nichts Besseres als die Ärzte zu hören?“ Und, eine Strophe später: „Es war ein Fehler, uns ewige Treue zu schwören, denn es gibt Besseres zu tun als die Ärzte zu hören.“

Die Frage ist, das weiß, wer die Ärzte kennt, eine rein rhetorische. Die Ärzte-typische Selbstironie lauert hier in jeder Zeile, und die Feier der eigenen Größe folgt am Ende: „Es gibt auch Schlechteres zu tun, aber es gibt doch nichts Besseres zu tun als die ...“ Trotzdem schwingt in diesem Song ein leises Erstaunen, vielleicht gar ein gewisser Unglaube darüber mit, nach über dreißig Jahren Bandexistenz immer noch größer und noch berühmter und noch begeisterter gefeiert zu werden. 45 000 sind gekommen, fast genauso viel sind es beim zweiten Konzert der Ärzte am Sonntagabend, und seit über einem Jahrzehnt füllen sie in der Regel in Berlin die Waldbühne oder Wuhlheide vier- bis sechsmal nacheinander pro Tour und neuem Album.

Die Ärzte überzeugen bei ihrem Konzert in Berlin mit der bekannten Selbstironie

Da darf sich eine Band schon mal drüber wundern – auch wenn im Fall von Farin Urlaub, Bela B. und Rodrigo Gonzales dieser Verwunderung zumindest live viel Routiniertes anhaftet. Die Kommunikation mit ihrem Publikum folgt, bei aller Spontaneität, bestimmten Regeln. Diese besagen, dass La-Ola-Wellen blöd sind, aber trotzdem einen (natürlich missratenen) Versuch wert sind: Hauptsache man hat sich drüber lustig gemacht. Dass irgendwann mit BHs oder sonst was gewedelt werden muss, was gleich viel besser funktioniert: „Ready to wedel“ sind im Publikum alle. Dass sich bei dem Song „Unrockbar“ alle hinsetzen, um beim Refrain wie auf Kommando loszustürmen; und dass bei einem der größten Ärzte-Gassenhauer, „Junge“, die sogenannte Todesmauer gebildet wird, die wiederum während des Refrains zum Einsturz gebracht werden soll.

Der Sound der Ärzte auf dem Flughafen Tempelhof ist puristisch und irritierend unambitioniert

Natürlich sprechen die Ärzte nicht nur mit ihrem Publikum, sondern auch untereinander, nach den vielen Jahren des Beisammenseins! Das hat etwas von einer Nummernrevue: Witzchen und Gestöhne über das Alter („Wir spielen nur 25 Minuten“), über Berlin („Kommt gut nach Berlin!“), über die Beatsteaks, den Grafen oder die Toten Hosen („An Abenden wie diesen fragt man sich: Warum kann’s nicht immer so sein?“). Ein Ärzte-Konzert hat inzwischen immer etwas von einer Ärzte-Stand-Up-Comedy. Das muss vermutlich so sein. Denn rockmusikalisch passiert nicht übermäßig viel. Der Sound ist genauso angenehm puristisch wie irritierend unambitioniert. Die Band spielt ihren lockeren Punkrockstiefel – und die Hits, die wirklich alle lauthals mitsingen, neben den genannten zum Beispiel die Antifa-Hymne „Schrei nach Liebe“ oder die Sylt-Eloge „Westerland“.

Nach dem Ende von „Schrei nach Liebe“ verbittet sich Farin Urlaub die „Nazis-raus“-Rufe: Die seien hier nicht nötig, die seien viel wichtiger, wenn die Nazis wieder einmal in Leipzig aufmarschierten, vor dem Völkerschlachtdenkmal. Nicht, dass die Ärzte so etwas übermäßig ausstellen wollten, wie etwa die viel sendungsbewussteren Toten Hosen – aber so viel politische Korrektheit muss bei aller Selbstironie, allem Laissez-Faire, aller sonstigen Spöttelei drin sein (wie auch später ein Aufruf von Bela B., das Pfand für den einen oder anderen Bierbecher einer Öko-Organisation zu spenden).

Hinter der Lässigkeit der Ärzte steckt harte Arbeit

Man könnte auch sagen: Die Ärzte, ein ewiges Sommermärchen – so wie es dem Land mit der Fußball-WM 2006 kurz widerfuhr. In der Lockerheit, der vermeintlichen Unernsthaftigkeit, der Unschwitzigkeit, dem Witz dieser Band können sich offenbar viele spiegeln und wiederfinden. Dass hinter der Lässigkeit viel Arbeit steckt, merkt man kurz vor dem – auf die Minute um 20.30 Uhr pünktlichen – Beginn des Konzert: Auf den Bühnenleinwänden wird die im September erscheinende Ärzte-Live-DVD „Die Nacht der Dämonen“ beworben. Und beim Herausgehen und Umrunden des Flughafengeländes sind die „Nacht-der-Dämonen“-Plakate auch nicht zu übersehen. Von den Ärzten lernen heißt nicht nur siegen, sondern auch verkaufen zu lernen – was nichts daran ändert, dass es im Ressort „Popmusik aus Deutschland“ nicht so viel Besseres gibt, als die Ärzte zu sehen und zu hören.

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