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Kultur: Die Affen aus der Auguststraße

Zu Hause in Indien besuchen ihn die Tiere sogar im Atelier. In Berlin hat N. S. Harsha sie vermisst. Also erfindet er sie neu – als Fassadenschmuck.

Ein weißer Affe schwebt über der Auguststraße 10. Ihm fehlt die rechte Pfote. Der Schwanz auch. Unbeteiligt schaut er in den Himmel. Ein langes rot-weiß gestreiftes Absperrband weht vor der Fassade im Wind. Der indische Künstler N. S. Harsha steht auf der Straße, gestikuliert wild und zeigt immer wieder nach oben. Plötzlich öffnet sich ein Fenster. Ein hockender Affe wird nach draußen geschoben. Harsha gibt Zeichen, ihn weiter nach links zu schieben, bis er sich an der richtigen Position befindet. Ein Bein des Affen baumelt herunter. Das Tier – ganz aus Fiberglas – schaut herunter, direkt in die Augen seines Schöpfers.

Ein paar Tage vor der Probeinstallation sitzt Harsha am Schreibtisch in seinem Friedenauer Atelier und erzählt. „In Mysore, wo ich wohne, kommen jeden Tag Affen in mein Atelier. Das gehört zu meinem Alltag. In Berlin habe ich sie vermisst.“ Der 42-Jährige ist derzeit Gast des Künstlerprogramms des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. Harsha hat in Baroda Kunst studiert und an internationalen Häusern wie dem Centre Pompidou in Paris ausgestellt. Am Dienstag wird seine große Arbeit mit dem Titel „Tamasha“ in Mitte präsentiert. Auf Hindi heißt das etwa „große Show“ oder „Tumult“.

„Als ich sie sah, habe ich sie geliebt!“ Der Künstler begeisterte sich sofort für die Fassade in der Auguststraße 10, an der er seine Installation anbringt. Die vielen Kabel und Ketten haben ihn an lange Affenschwänze erinnert. Harsha greift zu seinem Smartphone, auf dem Bild alsbald ein Bild mit blauen Plastikschläuchen erscheint. „Daraus sind die Schwänze gemacht. Sie werden alle miteinander zu einem großen Netz verknotet.“ Aus einem Eckschrank holt er drei kleine Gipsmodelle heraus und reiht die hockenden und sitzenden Miniaturaffen an der Kante des Sofatisches auf. Sie zeigen mit dem Zeigefinger nach oben. „Alle werden das machen. Sie werden in den Himmel zeigen, oder in die Zukunft. Oder wollen mahnen. Oder ... ach, da gibt es viele Interpretationen.“

Apropos Zukunft. Gerade hier in Deutschland spüre er einen merkwürdigen Optimismus, die Zukunft betreffend. Den gebe es in Indien nicht. Die Technikbegeisterung und der Drang, Dinge zu verbessern, seien bemerkenswert. Er deutet auf das Teleskop, das auf dem Boden steht. Um Antworten zu finden, schaue der Mensch immer von sich weg, aber gleichzeitig auch in sich hinein. Das habe ihn sehr inspiriert.

Eigentlich ist Harsha vor allem für seine Malerei und Zeichnungen bekannt. Häufig verknüpft er politische und soziale Anspielungen mit populären und traditionellen Kunstformen. „Ich möchte den Zuschauer leiten und verleiten. Mehrdeutigkeit macht ein Bild sehr spannend“, sagt er. „Wenn man Darwin vertraut, stammen wir vom Affen ab. Er ist eine frühere Version des Menschen.“ Mithilfe der Affen will er das Gebäude in die Vergangenheit führen und durch ihre aufgerichteten Zeigefinger gleichzeitig in die Zukunft.

Harsha kramt in einem Blätterstapel und zieht ein A4-Blatt mit einer Fotografie der Fassade heraus. Darauf hat er mit blauem Filzstift zehn Affen skizziert. „Elf eigentlich. Es gibt noch einen Baby-Affen, der sich an seiner Mutter festkrallt. Mal sehen, wer das entdeckt.“ Letztendlich hat die Komposition die Zahl der Affen bestimmt. Er brauchte so viele, damit klar wird, dass es sich bei der Affengruppe um ein Team handelt. Denn ein Team besteht oft aus elf Spielern, und kein Affe kommt ohne Rudel aus. Vor allem geht es Harsha um die Machtkämpfe innerhalb der Gruppe. Der ranghöchste Affe wird immer von zwei Rivalen begleitet, es folgen die Weibchen mit einer eigenen Hierarchie, dann die Jungtiere. „Diese Dynamik hat mich interessiert.“ Um es dem Betrachter nicht zu einfach zu machen, wird auf dem Dach nicht der Affen-Chef alleine sitzen, sondern noch ein weiterer. Offen bleibt, wer wer ist.

Mithilfe eines Fahrstuhls, der an dem Fassadenkonstrukt befestigt ist, werden die Affen an der jeweiligen Position angebracht. Das allein dauert mehrere Tage. In der Auguststraße bleiben unterdessen manche Passanten stehen und holen ihre Handys heraus. Mit ausgestrecktem Arm richten sie die Kameralinsen auf die Protagonisten des kuriosen Kunstzoos. Ein Fenster öffnet sich, und einer der Affen wird wieder hereingeholt. Kurze Zeit später geht das Tor im Erdgeschoss auf, und jemand trägt die Tierfigur heraus. Schnell wird sie im Kofferraum eines der Transporter verstaut.

Der andere Affe hängt noch immer am Seil und schwingt leicht hin und her. Ein Mann mit blauer Mütze klettert auf das Gerüst. Mit einer Zange bewaffnet, nähert er sich dem Affen und versucht ihn vom Drahtseil zu lösen. Doch der hält sich stoisch fest und schaut unverwandt in den Himmel. Schließlich lockern sich die Schrauben, und er wird durchs Fenster ins Haus geholt. Der Affe landet bei seinem Artgenossen im Auto.

„Das schwierigste sind die Schwänze“, sagt Harsha und deutet auf den aufgerollten Schlauch. Fahrig reibt er sich über den Kopf. Er hält ein Stück eines Affenarms in der Hand und zeigt auf den Farbverlauf. „Ich muss heute noch die Farbe festlegen.“ Mit zwei Fingern begrenzt er einen Bereich auf dem Modell. „Genau diesen Grauton sollen sie bekommen.“ Richtig grau ist inzwischen auch der Himmel. Ende der Probeinstallation, der Künstler gesellt sich zu seinen Affen in den Transporter und fährt davon. Man kann sicher sein, dass er mit einer ganzen Horde Affen zurückkehrt.

Eröffnung: 23. April, 18–20 Uhr, Auguststraße 10, Mitte, bis 31. Juli.

Jennifer Lynn Erdelmeier

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