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Kultur: „Die alten Fronten gibt es immer noch“

Ex-Innenminister Baum engagiert sich für die Berliner RAF-Ausstellung

Herr Baum, was hat Sie veranlasst, die Schirmherrschaft über die Auktion zur Finanzierung der RAFAusstellung zu übernehmen?

Die Kontroversen über die Ausstellung im letzten Jahr haben gezeigt, dass die Erschütterungen der RAF, die Polarisierungen und die aufwühlende Wirkung der Sechziger- und Siebzigerjahre noch nachwirken. Die Kunst bringt Dinge ans Licht, die nicht gesagt oder geschrieben werden können. Deshalb bin ich auf die Ausstellung sehr gespannt. Künstlerische Wahrnehmung entzieht sich den staatlichen Bewertungs- und Bewilligungskriterien. Die Kunst ist frei.

Bedauern Sie es als ehemaliger Innenminister, dass die Ausstellung nun ganz ohne staatliche Gelder auskommen muss?

Ich bin enttäuscht, dass sich die politischen Entscheidungsträger damals nicht mit dem Ausstellungskonzept selbst beschäftigt haben. Natürlich gab es irritierende Zeichen. Mit dem Titel „Mythos RAF“ wurden missverständliche Signale verbunden, als ginge es um die Verharmlosung krimineller Taten. Jetzt besteht die Chance darin, dass die Künstler, die Sammler, die mitsteigern, und die Ausstellungsmacher zeigen, dass es auch ohne den Staat geht.

Warum halten Sie es gerade gegenwärtig für wichtig, mit den Mitteln der Kunst das Thema RAF noch einmal zu untersuchen?

Warum nicht jetzt? Es gibt Künstler wie Gerhard Richter, die sich schon länger damit beschäftigt haben, und eine junge Generation, die neugierig ist, sich mit diesem Stück bundesrepublikanischer Vergangenheit zu befassen. Die Auseinandersetzung mit dem Umfeld, in dem die RAF entstanden ist, die Art, wie der Staat reagiert hat, die damals auch von staatlicher Seite gemachten Fehler – das alles ist keine tote Vergangenheit. Seit dem 11. September stehen wir erneut vor der Frage, wie wir in Zeiten einer ganz anderen terroristischen Herausforderung reagieren: hysterisch oder pragmatisch, die Balance haltend zwischen kollektiver Sicherheit und individueller Freiheit. Damals wurde diese Balance nicht gewahrt.

Beurteilen Sie Ihre damaligen Entscheidungen heute anders?

Manches würde ich anders machen. Meine Kritik zielte auf die Elemente von Überreaktion des Staates, die zu einer Zäsur im Umgang mit bürgerlichen Freiheitsrechten geführt hat. Seitdem befinden sich einige Grundrechte in der Defensive. Diese Entwicklung setzt sich fort in Reaktionen auf den 11. September. Auch jetzt schießen wir mit einem Teil der Sicherheitspakete über das Ziel hinaus. Es gibt aber auch Korrekturen. Der Lauschangriff auf Privatwohnungen wurde durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts praktisch wieder aufgehoben.

Haben Sie nicht Sorge, dass Sie selbst Gegenstand der Kritik sein könnten?

Natürlich wird es Kritik geben. Ich bin damals Teil der Kontroverse gewesen. Die Diskussion ist nicht zu Ende. Der RAF-Terrorismus war ohne die emotionale Aufladung der Sechzigerjahre nicht denkbar, die Zeitumstände, die Notstandsdebatte, den Vietnamkrieg, die ersten Kriegsverbrecherprozesse. Es war brutale Kriminalität – und Mord ist durch nichts zu rechtfertigen –, aber es gab zumindest am Anfang eine politische Motivation, auf die wir zu wenig eingegangen sind. Ich habe als Innenminister versucht, mich dieser Situation zu stellen, indem ich der politischen Motivation nachging, die es nicht nur bei den Tätern gab, sondern auch in einem gefährlichen Umfeld von Sympathisanten vor allem an den Hochschulen. Dem wollten wir mit Argumenten entgegentreten.

Sie nutzen die Gelegenheit, die Diskussion von damals weiterzuführen?

Es gibt die alten Fronten immer noch, wie im letzten Jahr sichtbar wurde. Also diskutieren wird weiter. Nur wird es in den Kunst-Werken keine politische Ausstellung geben. Ich habe den Ausstellungsmachern im vergangenen Sommer gesagt: Ihr seid zuständig für die Kunst. Die Kunst ist etwas Besonderes und durch Artikel 5 des Grundgesetzes geschützt.

Das Gespräch führte Nicola Kuhn.

Gerhart-Rudolf Baum (FDP) war von 1978 bis 1982 während der sozialliberalen Koalition Innenminister und setzte sich für eine Liberalisierung des „Extremisten-

beschlusses“ ein.

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