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Kultur: Die Alterswerker

Frischzellenkur: New Order und ihr achtes Album

Zuerst Streicher, dann ehrfurchtsvolles Glockenläuten, schließlich wird der Ton langsam hochgeschraubt und die Frage gestellt: „Hey Joe, what are you doing?“ Schon das erste Stück des neuen, achten New-Order-Albums „Waiting for the Sirens’ Call“ beginnt als pathetisches Spektakel. Zu den melancholischen Klängen eines Gitarrenpopsongs fragt das Quartett um Sänger Bernard Sumner einen Burschen, wie es ihm gehe. Sie hätten gehört, eine Frau habe ihm das Herz gebrochen. Man nimmt den Emotionsartisten von New Order sofort ab, dass sie es ernst meinen. Man denke nur an die Vorgeschichte, als die Band aus Manchester noch Joy Division hieß und Sänger Ian Curtis sich im Mai 1980 erhängte.

Ein Vierteljahrhundert gibt es New Order schon, die auf der Cebit für ihr Lebenswerk und ihre Verdienste um die Tanzmusik geehrt wurden. Sie haben sich geschickt dem Niedergang entzogen, indem sie zwischendurch mal pausierten, sich auf Soloprojekte verlagerten, Nebenjobs als Produzenten annahmen oder einfach den Nimbus von Joy Division für sich arbeiten ließen. Nach Curtis’ Tod wollten sie eigentlich „nur überleben“, wie es New Order-Frontmann Sumner ausdrückt. „Unsere Chancen standen sehr schlecht: Es gibt nicht viel Video-Material, Foto-Aufnahmen oder Interviews mit Joy Division. Aber das trägt natürlich zu diesem mysteriösen, legendären Status bei, der uns wie ein Schatten begleitet.“

Als New Order 2001 mit „Ready“ demonstrierten, wozu sie noch als 40-Jährige fähig waren, hatten sie ein generationsübergreifendes Konsensalbum geschaffen. Singles wie „60 MpH“ oder „Crystal“ – im Videoclip ließ sich die Band selbstironisch von einer Nachwuchscombo spielen – wurden Hits und erinnerten in ihrem hedonistischen Gestus an „Technique“, das Album mit dem die Band Ende der Achtzigerjahre den New Wave-/Post Punk-Sound ihrer Anfangstage mit dem aufkommenden Acid-House-Sound verknüpft hatte.

Und nun „Waiting for the Sirens’ Call“, entstanden unter völlig anderen Rahmenbedingungen, ein Alterswerk. Keyboarderin/Gitarristin Gillian Gilbert, seit dem ersten Tag dabei und entscheidend für den konzeptionellen Überbau der Band, musste aussteigen, um sich um ihr (und Stephen Morris’) krankes Kind zu kümmern. Ersetzt wurde sie durch den 29-jährigen Gitarristen Phil Cunningham – womit die Tendenz zum gitarrenlastigen Sound des aktuellen Albums angelegt war, eine Tendenz die durch die Produzenten Stephen Street (Smiths, Blur), John Leckie (Stone Roses, Muse, Radiohead) und Stuart Price (Madonna, No Doubt) forciert wurde. Wobei gitarrenlastig bei New Order nicht heißt, dass die Synthesizer–Welt zu kurz kommt. Der dröhnende New-Order-Bass (wie immer von Peter Hook gespielt) und das melodiöse Songwriting sorgen dafür, dass man jedes Stück schon beim zweiten Hören mitsummen kann.

Was ist aber das Geheimnis von New Order? Ihre Energie und Frische resultieren aus einer Mischung aus protestantischem Arbeitsethos und punkiger Antiperfektion. New Order sind sich als Engländer des Trendsetting-Drucks bewusst, den sie immer wieder selbst befeuert haben. Eine Herausforderung, man müsse sich mit der Zeit nur mehr anstrengen, sagen sie. Der Clou: Die Band versucht, sich technisch nicht weiterzuentwickeln: „Wenn du kein Virtuose bist, dann machst du die Musik in deinem Kopf, bevor sie sich auf den Weg in deine Hände macht“, erzählt Morris. „Ich kenne Leute, die sind großartige Musiker, aber sie machen alles mit ihren Händen und hören überhaupt nicht hin, was dabei rauskommt. Wir vermeiden es, uns Techniken anzueignen. Das ist vom Punk übrig geblieben – wir wollen alles so simpel wie möglich halten.“

Bei so viel Arbeitseifer gerät ein Song wie „Morning Night And Day“, in dem Sumner davon singt, wie es ihn, den alternden Narr, noch immer in die Clubs zieht, zur zwiespältigen Tortur. Obwohl das Nachtleben noch lange nicht seinen Reiz verloren hat, nimmt der Kater am folgenden Tag immer desaströsere Formen an. Aber was ist schon ein Kater, wenn der Kopf noch Melodien wie auf „Waiting for the Sirens’ Call“ hört.

New Order, „Waiting for the Sirens’ Call“ (Warner)

Thomas Venker

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