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Ruth Bader Ginsburg gehört zu den Allergrößten Amerikas.

© dpa

Die Angst der Republikaner: Vom Verlust der Würde

Der Kulturkampf ist der einzige noch gewinnbare Kampf für Präsident Trump und seine Leute. Sie führen ihn rücksichtslos. Die Kolumne Spiegelstrich.

Klaus Brinkbäumer war zuletzt Chefredakteur des „Spiegel“ und arbeitet heute als Autor unter anderem für „Die Zeit“. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer.

Es gibt für traurige Nachrichten keine richtigen Momente, aber unbedingt falsche. Warum nur musste Ruth Bader Ginsburg, 87, Heldin menschenfreundlicher Rechtsprechung und Richterin am Supreme Court, ausgerechnet jetzt an Leberkrebs erkranken; warum musste John Lewis, 80, Held der Bürgerrechtsbewegung und als Abgeordneter seit 1987 ein eleganter, kompromisslos versöhnlicher Streiter für ein besseres Amerika, ausgerechnet jetzt sterben? Inmitten der amerikanischen Krisen, hundert Tage vor der Abstimmung über Trump?

Unsere Welt braucht Menschen wie jene beiden, unsere Zeiten brauchen Würde. Werfen wir heute und zunächst also einige altmodische Wörter in diese Kolumne hinein: Fleiß. Verantwortungsgefühl. Bescheidenheit. Ehrlichkeit. Mut und Demut. Sowie Rückgrat. Das alles braucht die Demokratie, braucht unsere Welt, und bitte sofort.

Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.
Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.

© Tobias Everke

Wer sind solche Menschen in Deutschland? Joachim Gauck. Und? Angela Merkel dürfte bald so gesehen werden. Und? Jürgen Klopp? Christian Drosten? In den USA müsste Anthony Fauci solch ein Mensch sein, 79, kenntnisreicher Epidemiologe, doch Fauci darf es nicht sein. Seit sieben Monaten durchleidet das polarisierte Land die Coronakrise und tut noch immer nichts dagegen, nichts Kluges jedenfalls, und Fauci versucht dem Land deshalb die Wahrheit zu sagen („So schaffen wir das nicht“).

Aber sein Boss, der Präsident, wünscht eine andere Wahrheit. Darum muss Faucis Ruf vernichtet werden: Das Weiße Haus schickt Redaktionen Listen mit angeblichen Fehlern des Doktors, und Peter Navarro, Handelsberater des Präsidenten, schreibt einen Gastbeitrag in „USA Today“: „Fauci lag bei allem falsch“. „Hängt Fauci“ ist ein Twitter-Hashtag geworden, während die Todes- und Infektionsraten steigen.

Bei Fox wird gegen die Linken gewettert

Das rechte Amerika kämpft einen verzweifelten Kampf. Würde heute gewählt, würde es schallend verlieren. Der Präsident weiß es, seine Leute wissen es, darum haben sie einen Kulturkampf begonnen; es ist der letzte, der einzige noch gewinnbare Kampf für sie.

Die Trump-Vertraute Laura Ingraham, Fox-Moderatorin, sagt über die demokratische Abgeordnete Ilhan Omar: „Sie ist Marxistin. Marxisten hassen die Freiheit und den Westen. Sie wollen totale Kontrolle.“ Und der Trump-Vertraute Tucker Carlson, Fox-Moderator, nennt die demokratische Senatorin Tammy Duckworth, die im Irak-Krieg beide Beine verlor, „unpatriotisch“; „diese Leute hassen Amerika“.

Es wird in diesen Tagen viel über „cancel culture“, den Dogmatismus der Linken und Progressiven, geredet. Cancel culture existiert, denn Christian Lindner sollte in jeder deutschen Uni reden dürfen, so wie bei der „Washington Post“ afroamerikanische Redakteure über „Black Lives Matter“ twittern und in der „New York Times“ erzkonservative Meinungsbeiträge erscheinen dürfen sollten. Sie ist aber eine Ausnahme. 

Demokraten müssen Vielfalt aushalten können

Es ist für das Verständnis Amerikas wichtig, nicht zwei Hälften zu betrachten, die beide gleichermaßen verbohrt und im Hass aufeinander gefangen seien; so sind die USA nicht.

Die konservative Hälfte des Landes, die weiße und republikanische, schrumpft. Dieses Schrumpfen führt zu Ängsten, zur Selbstverteidigung, zu Anführern wie dem amtierenden Präsidenten.

Die andere Hälfte, jene der Demokraten, ist vielfältig, da die Demokraten die Partei der Afroamerikaner, der Einwanderer, der Studentinnen, der Klimabewegung und der Großstädte sind. Die Demokraten müssen integrieren und tolerieren, um erfolgreich zu sein, dürfen nicht so ausgrenzen, das unterscheidet sie von den Republikanern.

Schon wahr, dass die Demokraten mit den Jahren schärfer geworden sind, ungeduldiger; der Präsident und seine Leute aber bekämpfen Amerikas Allergrößte, auch Ginsburg, auch Lewis.

Klaus Brinkbäumer

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