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Kultur: "Die Architektur muß zerstören, um aufzufallen"

TAGESSPIEGEL: Herr Eisenman, es gibt ein schönes Wortspiel mit Ihrem Namen, wenn man die Buchstaben umstellt: zu "Amnesie".Gefällt Ihnen das eigentlich?

TAGESSPIEGEL: Herr Eisenman, es gibt ein schönes Wortspiel mit Ihrem Namen, wenn man die Buchstaben umstellt: zu "Amnesie".Gefällt Ihnen das eigentlich?

EISENMAN: Das ist wunderbar.Ein großer Teil meiner Arbeit hat damit zu tun: Es geht um den schmalen Grat zwischen Erinnerung und Vergessen.Zu viel Erinnerung ist Nostalgie, zu viel Vergessen Anarchie.Die Kunst liegt in der Balance.(Holt eine gelbe Visitenkarte heraus, das letzte "n" darauf ist rot).Hier mein Logo, rückwärts: Amnesie.

TAGESSPIEGEL: Stimmt es, daß Ihre Bauten stören, keine Zuflucht bieten sollen?

EISENMAN: Es geht nicht um Störung.Aber große Architektur darf sich nicht nur auf der Ebene bewegen: machen wir da nun eine Garage oder nicht.Man muß sich zur eigenen Situation kritisch verhalten.Kant, Heidegger oder auch Wagner versuchten, die Norm ihrer Zeit zu stören.Oder Anton Webern: ein sehr interessanter Mann, der mit atonaler Musik experimentierte.Strawinsky nahm diese Atonalität und hat daraus eine populäre Norm gemacht.Er hat nachgeahmt: nur gestört, um zu stören.Ich strebe danach kritisch zu sein, ohne mir diesen Anschein zu geben.Viele Architekten geben ihrem Werk nur den Schein einer Störung.Um eine Architektur zu bekommen, die im Leben eine Rolle spielt, muß man sich der Destruktion öffnen.Wenn wir uns hier im Adlon umsehen, sehen wir: nichts.Architektur muß zerstören, um die Aufmerksamkeit zu erlangen.Sobald du dir aber bewußt bist, daß du kritisch bist, bist du es nicht mehr: Darum ist meine Arbeit auch sehr unbewußt.

TAGESSPIEGEL: Was bedeutet Macht für Sie? Vor einigen Jahren betrieben Sie die Rehabilitation des Architekten Giuseppe Terragni: Sie wollten seine politische Position unter Mussolini von seinem Werk trennen.Ist er immer noch für Sie ein alter ego?

EISENMAN: Für mich war Terragni ein Vorbild.Und ich verstand, daß Andrea Palladio aus dem 16.Jahrhundert für ihn wiederum ein Vorbild war.Ich sah, daß Terragni sich eine Brücke zu Palladio baute: er brachte ihn auf die Brücke, um sie dann zu sprengen.Meinen Studenten sagte ich: Ihr müßt zu eurem Vorgänger eine Brücke bauen, ihn in euch aufnehmen - und die Brücke sprengen.Ihr müßt lernen, wie man dafür Dynamit besorgt.Weil man sich sonst nie selbst befreit.Das machen alle kreativen Leute durch.

TAGESSPIEGEL: Den Vatermord?

EISENMAN: Ja, jetzt bin ich Vater und zeige anderen, wie man das macht, um zu überleben.- Die andere Frage: Ich unterscheide Macht und Kontrolle.Power gibt die Möglichkeit, Erfolg zu erlangen - im Hier und Jetzt.Kontrolle hat damit zu tun, Erfolg in der Geschichte zu erreichen.Wenige Architekten haben beides.Philip Johnson ist der mächtigste Architekt seit Bernini.Aber hat er Kontrolle über seine Geschichte? Ein Investor wie Donald Trump hat Macht, aber keine Kontrolle.Ich wollte immer Kontrolle: mit dem Risiko, keine Macht zu haben.

TAGESSPIEGEL: Denken Sie, daß ihre Philosophie Sie resistent macht gegen die Korruption durch politische Macht?

EISENMAN: Ich denke ja; aber auch Terragni war resistent.Ihm ist es schlimm ergangen.Mussolinis Intervention bewahrte ihn nicht vor der Front.In Rußland sah er ein, welch schrecklichen Fehler er gemacht hatte.Er verlor den Verstand, wurde zurückgebracht.39jährig ist er 1943 durch Como gelaufen wie ein Verrückter, überwältigt von seinem Irrtum.Ja, er hat zwei Partei-Hauptquartiere gebaut.Aber als er die Casa del Fascio in Como baute, in einem italienischen, autarken Stil, ignorierte er zunächst die Wünsche der Partei.Vollendet wurde das dann in dem romanischen Stil, den die Partei wollte.Seine Beziehung zur Macht war zwiespältig.

TAGESSPIEGEL: Wenn Sie sagen, Sie spielen gern, sind aber nicht am Gewinnen interessiert: ist das dasselbe wie die Aussage: Kontrolle ist besser als Macht?

EISENMAN: Exakt.Auch jetzt spielen wir.

TAGESSPIEGEL: Das Thema "Abwesenheit" und "Anwesenheit" kommt oft in Ihrer Theorie vor.Auch in Daniel Libeskinds Arbeiten; in seinem Jüdischen Museum stehen dafür die Hohlräume, die Voids.Sie kennen auch den E.T.A.Hoffmann-Garten dieses Museums, einen Säulenwald auf der Schräge.Gibt es da eine Korrespondenz zu Ihrem Mahnmal?

EISENMAN: Wenn Sie wissen wollen, woher die E.T.A.Hoffmann-Idee kommt: sie stammt von John Hejduk, das Projekt hieß "Berlinmasque".Das hat Libeskind abgekupfert, aber nie zugegeben.Hejduk war sein Lehrer, ein Freund von mir.So klingt es seltsam, wenn Libeskind sagt, ich hätte meine Idee von seinem Hoffmann-Garten übernommen.Maßstab und Kontext sind sehr verschieden.Bei ihm werden die Menschen eingeengt, zum Objekt des Projektes.Das Mahnmal dagegen hat kein Zentrum, es ist wie ein Weizenfeld.Sein Hoffmanns-Stück hat das Profil und die Winkel von Hejduks Entwurf.Daniels Museum ist phantastisch, es gibt eine neue Idee davon, wie eine Person sich im Raum bewegt.Der schwache Teil ist jener Garten, der Rest ist brillant.

TAGESSPIEGEL: Was bedeutet Ihnen Glas als Material, was bedeutet Ihnen Beton?

EISENMAN: Ich habe einmal geglaubt, Architektur versuche, ideale Bedingungen zu beschreiben, dafür wurde jedes Material entmaterialisiert.Ich war Utopist, Idealist, gegen die Stofflichkeit eingenommen.Dann begann ich einzusehen, daß meine Arbeit einen Kontext kommentieren soll, der mit materieller Realität zu tun hat.Sie können eine Veränderung in meiner Arbeit feststellen: vom Glas als Abwesenheit der Präsenz zum Glas, das beides darstellt - Abwesenheit und Anwesenheit.Auch Beton ist Abwesenheit und Anwesenheit.Wieder diese Gratwanderung: Ich versuche, nie nur das Material oder nur das Ideal zu sehen, es geht um das kritische Spiel zwischen beiden.An diesem Punkt bin ich.Sie fragen nach Beton: Man muß aufpassen, ob das Material nicht schon korrumpiert wurde durch Bedeutung, die es vorher erhalten hat.Wenn ich jetzt Titan benutzen würde, für das Holocaust Memorial, würde das sofort als Nachahmung des Bilbao-Museums von Gehry aufgefaßt werden.Wir müssen immer den Kontext im Bewußtsein haben.Godards Film "Außer Atem" hat mich 1963 umgehauen.Vor kurzem sah ich ihn wieder: ein anderer Film.

TAGESSPIEGEL: Sie haben sich verändert

EISENMAN: - und der Kontext.Ich finde rohen Beton häßlich, schrecklich, unerträglich.Natürlich kommt bei dem Memorial die Frage auf: wie beschaffen ist der Beton? Das habe ich noch nicht beantwortet.Man kann nicht nur fragen, ob weiß oder grau.

TAGESSPIEGEL: Sie kritisierten neulich, daß Kapitalinvestoren in Berlin wenig Anreize erfahren.Der Dichter Heiner Müller hat gesagt, Auschwitz, das Prinzip Selektion, sei die Konsequenz der Zivilisation: Es gibt zu wenig Platz, es wird zuviel verbraucht, produziert - also wird selektiert.Muß ein Holocaust-Memorial auf diesen Zivilisationsbruch nicht politisch antworten?

EISENMAN: Ich habe Berlin nicht attackiert, ich denke nur, es war mal Weltstadt.Heute haben wir eine Weltökonomie, vor der wir keine Angst haben sollten.Spätkapitalismus ist okay.Aber Berlins Festlegung auf horizontale Blockbebauung läßt nicht jene urbane Dichte zu, die der Weltkapitalismus hier braucht.Wenn eine moderne Stadt ihr Selbstbewußtsein aus ihrem Gestern zieht, wird sie zur Imitation in der Gegenwart.

TAGESSPIEGEL: Wie der Pariser Platz.

EISENMAN: Exakt.Zum andern denke ich, daß alle öffentlichen Entscheidungen politisch sind.In Arizona bauen wir gerade ein Stadion.Die Leute von Phoenix würden nie eine Steuer akzeptieren, um das zu finanzieren.Also muß man eine Alternative bieten: eine Kongreßhalle, Hotels, Wohnungen, so wird die Wirtschaft angekurbelt, dagegen finanziert ihr das Stadion.Alle Entscheidungen sind politisch, und einige sind symbolisch.Ich habe gestern in einem Vortrag das Stadion mit dem Holocaust Monument verglichen, ich sagte: Das Pariser Stadion, ein bürgerliches Monument,bringt der Stadt ein enorm gutes Gefühl.Ich bin Fußballfan.Zum Halbfinale und Finale fliege ich wieder nach Europa! Wenn Paris sein Stadion nicht hätte, fehlte etwas an seinem feeling! Dasselbe gilt für das Memorial.Es muß ein aktiver Teil Berlins sein, nicht wie das Brandenburger Tor.Ein Platz, wo Leute Erfahrungen machen: in Bezug auf Vergangenheit in der Gegenwart.Ein Feld, in dem man herumgeht.

TAGESSPIEGEL: Man soll darauf reagieren?

EISENMAN: Ja, sonst sitzen die Leute da, wie in einem Themenpark, Disneyworld, ohne die Option individueller Reaktion.

TAGESSPIEGEL: Programmierte Gefühle.

EISENMAN: Im Stadion aber kennt man das Ergebnis vorher nicht.Innerhalb des Memorials dürfen Gefühle nicht programmiert werden.Die Reaktion soll offen sein.Wie glauben Sie wird die Mahnmal-Entscheidung ausgehen?

TAGESSPIEGEL: Möglicherweise wird sie wegen des Wahlkampfs verschleppt.

EISENMAN: Trotzdem bin ich lieber von Politikern abhängig als von Wirtschaftsleuten.Politische Entscheidungen kann man ändern, aber wenn Geld fehlt, ist keins da.

TAGESSPIEGEL: Worauf bauen Sie? Ihre Architektur versucht, die Illusion "Sicherheit" zu zerstören.Sie bieten, so liest man, Befreiung zur Nicht-Identität.

EISENMAN: Der Idealismus ist falsche Sicherheit.Wir brauchen die Öffnung.Aber ich glaube an individuelle Identität.Ich habe keine 20 Jahre Psychoanalyse hinter mir, um jetzt eine Nichtidentität zu haben.Sondern um meine Identität offener, erfüllter zu finden, unter Repressionen, wie jeder von uns.

TAGESSPIEGEL: Ihre Theorien und Bauten verweigern Geborgenheit.Die Kathedrale von Chartres nannten Sie langweilig; da warf man Ihnen vor, Sie hätten Angst vor Gefühlen.

EISENMAN: Als ich an jenem Tag, von dem ich sprach, nach Chartres fuhr, wollte ich ein herrliches Mittagessen zu mir nehmen, in der Gegenwart.Wir hatten einen großartigen Wein, frische Brombeeren, wunderbares Brot und Käse.Gefühl: sinnliche Erfahrung in der Gegenwart.Ich gehe zurück nach Venedig zu St.Giorgio Maggiore, zu Il Gesu in Rom, - da bekomme ich Gefühle.Aber Chartes.Eine Touristenattraktion.Genauso die Tempel: In 300 Jahren haben die Griechen immer wieder dasselbe gebaut.Gute Pasta ist mir lieber.Lieber Pasta als Paestum.

TAGESSPIEGEL: Sie haben sich mal mit Woody Allens "Zelig" verglichen, der immer ins Zentrum des Andersseins sein will.

EISENMAN: Ich bin erwachsener geworden.Ich bin dieser Haltung müde geworden.Ich dachte immer, ich wollte - Zu allererst: Jeder möchte geliebt werden.Das ist "Zelig".

TAGESSPIEGEL: Der Chamäleon-Mann, der sich deshalb dauernd verändert.

EISENMAN: Das ist eine sehr persönliche Sache.Ich brauche mich nicht mehr zu sorgen, wer mich in der Vergangenheit geliebt hat.Inzwischen bin ich mehr interessiert daran, Liebe zu geben als geliebt zu werden.Dazu fähig zu sein, mich selbst zu lieben und die Leute um mich herum.Insofern habe ich mich vollständig, absolut geändert.

THOMAS LACKMANN.

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