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Kultur: Die Augen der Muse

„Mrs. Newton“: Die Ehefrau des großen Jetset-Fotografen erzählt von ihrem Alltag jenseits des Glamours

„Ist er ein verheirateter Mann, June?“ Mütter wollen so was wissen. „Wenn nicht, warum parkt er sein Auto nicht vor dem Haus, wenn er dich abholt?“

Große Liebesgeschichten beginnen so oder sie fangen gar nicht erst an. June Browne jedenfalls ließ sich nicht beirren von dem, was die Nachbarn vielleicht dachten. Ihre Mutter Maude und Tante Allie schon. Aber es kümmerte niemanden, schreibt June empört, was sie und der geheimnisvolle Fremde anstellten, sobald sie in dem Auto saßen und verschwunden waren.

Der Fremde hieß Helmut Newton, und dass er einmal ein weltberühmter Fotograf werden würde, konnte nicht einmal er selbst voraussehen. 1947 lernte der nach Australien emigrierte Berliner eine 23-jährige Schauspielerin kennen, die zu ihm für eine Pullover-Werbung ins Studio spaziert war. Er versuchte, sie ins Bett zu kriegen. Es klappte nicht. Und sie wich nicht mehr von seiner Seite. June wurde seine Muse, sein Model, seine Beraterin, seine Art Directorin, seine lebenslange Geliebte und Ehefrau. Als Newton vor einem Monat in Los Angeles in seinem Auto verunglückte, saß sie nicht auf dem Beifahrersitz – sondern fuhr in einem eigenen Wagen hinterher.

Sie waren ein symbiotisches Paar. So gab sie bald ihre viel versprechende Bühnenkarriere auf, um sich mit Newton dem nomadischen Jetset-Leben hinzugeben. Als der eines Tages krank im Bett lag und sie einen Fototermin absagen sollte, vertraute sie kurzerhand darauf, was sie vom Zugucken gelernt hatte und ging selbst hin. Er hielt sie nicht davon ab, wollte lediglich, dass sie sich nicht auch noch Newton nannte. Als Alice Springs machte die Autodidaktin von 1972 an Coverfotos für „Elle“, arbeitete an Reportagen und fotografierte bald jene High Society-Eleven, die ihr Mann als entblößte Luxusgeschöpfe in seine erotischen Fantasien einbaute. Junes Bilder von Catherine Deneuve, Karl Lagerfeld, Gianni Versace oder Angelica Houston sind stiller, ernster, weniger manipulativ, aber auch langweiliger. „June benutzt keine Tricks“, pflegte Newton zu sagen, „weil sie einfach keine kennt.“

Junes Lieblingsmotiv aber blieb stets ihr Mann. Sie sah in dem egozentrischen Erotomanen einen linkischen Jungen, der sich für vollkommen hielt. Und sie sah es ihm nach. Nicht einmal in Krankenhäusern, in denen sich Newton wegen seiner Herzprobleme behandeln ließ, verlor er in ihren Augen die Leichtigkeit des Playboys. Es sind vor allem solche Privataufnahmen aus den düsteren Lebensphasen des Paares, die den opulenten Bildband „Mrs. Newton“ lesenswert machen (Taschen Verlag, 256 Seiten, 178 Abb., Englisch, 29,90 €). Sie korrigieren die kühl-sachliche Newton-Ästhetik der „Big Nudes“, die so makellos sind, dass ihre nackten Körper zu Machtinstrumenten werden. Denn Junes Blick konfrontiert sie mit der Schäbigkeit, gebrechlich zu sein, an Schläuche und Elektroden angesschlossen zu werden, eine monströse Reißverschlussnaht auf dem Bauch zu tragen, die eigenen Beine nach einer Knie- Operation bandagiert zu sehen.

„Time had not been kind to me“, schreibt June in diesem Buch, das sich wie ihre Autobiografie liest. Während ihr Mann noch mit 82 Jahren vom Alter kaum gezeichnet auftrat, trug ihr Äußeres stets die Züge eines gelebten Lebens.

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