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Kultur: Die Aussteigerin

Von Belgien ab nach Süden: „Das Haus auf Korsika“.

Dreißig. Eine Zahl, magisch vor allem für Frauen. Dreißig bedeutet Abrechnung. Innehalten. Torschlusspanik. Wo steht sie in Sachen Karriere, Partnerschaft und Kinderwunsch? Ist sie schon erwachsen oder vielleicht bereits zu alt? Fragen, die sich Christine nicht offen stellt. In ihrem dreißigsten Jahr lebt sie in wohliger Gewohnheit und Gewöhnlichkeit, genießt einstudierten Sex mit ihrem Freund und jobbt als Kellnerin im belgischen Charleroi. Keine Spur vom Lebensplan.

Christine ist eine Gefangene des Alltags, hier in Belgien ist er ganz besonders grau. Ausgerechnet der Tod ihrer Oma und ein unvermutetes Erbe aber geben Christine auf einmal die Chance zu einem neuen Weg. Und der führt nach Korsika, wo ein kleines Haus auf sie wartet. Niemand versteht Christinas Sehnsucht nach dem entlegenen Stückchen Erde. Freund und Familie wollen ihr die Reise ausreden. Christine aber folgt ihrem Herzen und flüchtet auf die mediterrane Insel, die sie mit dem kühlen Blau des Morgens empfängt.

Es ist das Licht, mit dem Pierre Duculot die atmosphärischen Leitmotive seines Langfilmdebüts „Das Haus auf Korsika“ setzt. Vom trostlos-dunklen Leben in Belgien lässt er Christine in eine überwiegend besonnte Zukunft aufbrechen, mitten in die korsische Natur. Auch Christines Wesen erstrahlt neu angesichts der überwältigenden Schönheit der Insel. Christelle Cornil legt die innere Wandlung ihrer Figur in eine feine Veränderung der Gesichtszüge – als durchpulste sie plötzlich Leben, so erfrischend ist die Begegnung mit der neuen Umgebung und den herzlichen Korsen. Dennoch bleiben Christine manche Momente der Orientierungslosigkeit, und wie zum Trost legt sich Nebel über die Täler.

Das tönt nach Idyll – und auch der deutsche Titel schließt die romantische Projektion zumindest nicht aus. Das Original dagegen, „Au cul du loup“, verleugnet nicht, wo das Erbe der Oma liegt: am Arsch der Welt. Nur zwölf Menschen leben in dem Bergdorf, und das Haus, das sich als Keimzelle von Christines Familiengeschichte offenbart, ist eine Bruchbude. Das Schöne liegt hier bewusst im Unvollkommenen. Und so läuft es weder mit der Renovierung des Steinhäuschens noch mit der zart entzündeten Liebe für einen korsischen Schäfer rund.

Natürlich fehlt es auch an Geld, um das Haus richtig bewohnbar zu machen. Egal! Die Protagonistin macht das verfallene Gemäuer zum Lebensmittelpunkt. Und begeistert damit selbst ihre Familie, auch wenn ein abrupter Rückschlag folgt. Glück aber ist, wenn man einfach weitermacht. Anita Vogelsang

Cinemaxx, Filmkunst 66, FT am Friedrichshain, Yorck: OmU im Babylon Kreuzberg und im Cinema Paris

Anita Vogelsang

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