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Die Ausstellung "Kibbuz und Bauhaus": Stein auf Stein

Wie das Bauhaus nach Israel kam: Dessau zeigt die Ursprünge der Kibbuz-Architektur. Die Ausstellung "Kibbuz und Bauhaus - Pioniere des Kollektivs" präsentiert die Bauten der nach Israel emigrierten Architekten

Tel Aviv, die weiße Stadt am Meer, da scheinen das Bauhaus und Israel zusammenzukommen. Doch weit gefehlt! Das Erbe der Architekten, die in den 30er Jahren ins gelobte Land emigrierten, lässt sich nicht an den gerundeten Häuserecken, Fensterbändern und vorkragenden Balkonen von Tel Aviv ablesen, wie es allzu naheliegt und auch im Land selbst gern kolportiert wird. Der Direktor der Dessauer Stiftung Bauhaus, Philipp Oswalt, räumt mit dieser falschen Annahme auf, die seiner Meinung nach vor allem darauf beruht, dass man in Israel mit dem Bauhaus doch noch das Gute aus Deutschland importiert sehen wollte. Bei genauerem Hinschauen erweist sich, dass es zumindest in Tel Aviv Le Corbusier war, der die Moderne als Idee implantierte.

Und doch gehören Israel und das Bauhaus zusammen, wie sich auf der jüngsten Architektur-Biennale in Venedig im israelischen Pavillon erwies. Nur anders als erwartet. Denn seinen reinsten Ausdruck hat das Bauhaus in der Kibbuz-Architektur gefunden. Die in Deutschland für den „Neuen Menschen“ erdachten Häuser und Ideale eines gemeinschaftlichen Lebens wurden erst hier Wirklichkeit. Höchste Zeit, dies auch am Ort des Entstehens zu zeigen, mit einer Ausstellung, die zugleich alle Unbill deutlich macht, die gegenwärtig dem Dessauer Bauhaus entgegenschlägt.

Zu sehen sind in Dessau vor allem Schautafeln, Fotowände und ein rührender Baukasten, mit dem der Architekt Samuel Bickle zu den Kibbuzim reiste, wenn eine Siedlung erweitert werden sollte. Sein Karton voller kleiner Würfel und Quader, die für die diversen Funktionen standen und im Gespräch hin- und hergeschoben werden konnten, bis die Kibbuzniks die ideale Konstellation für sich gefunden hatten, repräsentiert die handfeste Pragmatik, mit der die Siedlungen entstanden. Bickles Baukasten, ein paar abgeschabte Kibbuz-Möbel und selbst gebautes Kinderspielzeug sind die einzigen präsentierten Objekte der hochinteressanten Ausstellung. Mehr würden die klimatischen Bedingungen des weltberühmten Dessauer Hauses nicht erlauben, die fragilen Exponate der eigenen Sammlung schon gar nicht.

Dabei wird es vorerst auch bleiben, denn nachdem im vergangenen Jahr der Bau eines eigenen Museums zum Greifen nah schien, werden nun die Bundesgelder ins thüringische Weimar und in das dortige neue Bauhaus-Museum umgeleitet. Das Land Sachsen-Anhalt investiert lieber ins kommende Luther-Jubiläum, die Stadt Dessau selbst zieht sich zurück. Bauhaus-Direktor Oswalt verbirgt seine Enttäuschung kaum. Die jährlich 100 000 Besucher werden weiterhin allein die Bauten besichtigen können, die Ausstellungsstücke werden andernorts als Leihgaben vorgeführt. Dennoch versucht Oswalt, das Bauhaus Dessau auch als Ausstellungsort zu etablieren. Mit der die Kibbuz-Ausstellung begleitenden Installation gelingt dies allerdings kaum – einer vagen, assoziativen „Psycholandschaft“ der Fotografin Stephanie Kloss und der Politologin Antonia Blau, die Kibbuzim besuchten und entdeckten, wie wenige den Tendenzen zur Privatisierung widerstehen konnten. Trotzdem schlagen die künstlerischen Forscherinnen den Bogen zur Gegenwart: Was ist aus den Träumen von einst geworden? Wie viel Bauhaus steckt noch in den Kibbuzim?

Die gegenwärtige Krise in Israel lässt das Interesse an Formen des gemeinschaftlichen Zusammenlebens neu erwachen. Umso mehr fasziniert der Blick auf die Anfänge vor hundert Jahren. Damals waren es vor allem junge Leute aus Osteuropa, die vor Pogromen flohen und in Israel, beseelt vom zionistischen Aufbau, nach neuen Perspektiven suchten. Bis vor kurzem glaubte man noch, dass die Siedlungen ungeplant entstanden. In der Ausstellung wird klar, dass etwa das Prinzip der Speisesäle – als Treffpunkt der Gemeinschaft, Festraum, Ort der Darstellung wirtschaftlichen Erfolgs – dem Bauhaus entstammt. Die Speisesäle präsentieren sich lichtdurchflutet, häufig an höherem Standpunkt gelegen, mit Panoramablick auf die Umgebung.

Einer der wichtigsten Kibbuz-Architekten war Munio Gitai Weinraub, der von 1930 bis 1932 am Dessauer Bauhaus bei Ludwig Mies van der Rohe studierte, bevor er nach Israel emigrierte. Sein Sohn, der israelische Filmemacher Amos Gitai, widmet ihm ein „Wiegenlied“, eine filmische Installation in den Räumen des Meisterhauses von Georg Muche und Oskar Schlemmer. Jeanne Moreau und Hanna Schygulla tragen Passagen aus Briefen der Mutter und einer Freundin vor. Dazu sind Bilder von Wellen zu sehen, eine blonde Schönheit weint und weint, die Kamera umkreist ein winterliches Nazi-Stadion.

Wie das Duo Kloss-Blau arbeitet auch Amos Gitai assoziativ, doch holt er durch das persönliche Drama des Vaters den Betrachter emotional näher heran und erzeugt Empathie. Gitai setzt seinem Vater als filmische Figur gerade durch dessen Abwesenheit ein Denkmal. Welche Bedeutung der einstige Bauhäusler als Architekt besaß, wird erst jetzt, Jahrzehnte später, deutlich.

„Kibbuz und Bauhaus – Pioniere des Kollektivs“, bis 9. April 2012, Bauhaus Dessau. Heft 2 der im März 2011 erschienenen Zeitschrift „bauhaus“ beschäftigt sich mit dem Thema Israel, 152 S., 8 €.

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