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Kultur: Die Baukunstjägerin

Vor 25 Jahren gründete Kristin Feireiss in Berlin mit „Aedes“ die erste Architekturgalerie Europas

Weißer Fußboden, wenig Möbel, sehr viel Platz. Die Londoner Wohnung der Stararchitektin Zaha Hadid hat Kristin Feireiss imponiert. Der Frage nach dem eigenen Traumhaus weicht sie dagegen aus. Die Gründerin der Berliner Architekturgalerie Aedes ist Vermittlerin zeitgenössischer Baukunst. Architektur mit allen Sinnen zu genießen, das hat sie sich trotz aller Professionalität bewahrt. Vor den Bauten von Louis Kahn zum Beispiel gerät sie ins Schwärmen. Ein Jagdtrieb sogar: „In meinem nächsten Leben werde ich Maklerin. Interessante Architektur aufzuspüren, das ist wie gute Bücher lesen. Besitzen muss ich sie nicht."

Kristin Feireiss selbst lebt mit ihrem Mann, dem Architekturfotografen Hans-Jürgen Commerell, in einer Kreuzberger Dachgeschosswohnung, Panoramablick vom Fernsehturm bis zum Europacenter. Vor ziemlich genau 25 Jahren gründete die 1942 in Berlin geborene Kunsthistorikerin mit einer Freundin in Charlottenburg die erste private Architekturgalerie Europas. Schon 1989 zog „Aedes“ in die S-Bahn-Bögen am Savignyplatz, seit 1995 gibt es außerdem „Aedes East“ in den Hackeschen Höfen. An beiden Standorten teilt man sich mit einem Café die Miete und profitiert von gegenseitigen Besuchern. Im Osten kam ein Ausstellungspavillon des Architekten Sergei Tchoban hinzu für raumbezogene Installationen.

Als Feireiss 1996 die Leitung des Niederländischen Architekturmuseums NAI in Rotterdam übernahm, legte sie die Geschicke der Galerie in die Hände ihres Mannes. Die Rückkehr vor vier Jahren aus familiären Gründen fiel ihr nicht leicht, schließlich bot das NAI mit 120 Mitarbeitern beinahe unbegrenzte Möglichkeiten. Besonders gefiel der Galeristin die Offenheit der Niederländer, die auch ihr als Quereinsteigerin die Museumsarbeit erleichtert hat. Festgehalten ist die Ära Feireiss in Rotterdam im Buch „The Art of Architecture Exhibitions“, das Ausstellungen mit Philip Johnson („ein toller Typ“), Daniel Libeskind oder dem Pritzkerpreis-Gewinner Thom Mayne präsentiert. „Um die Darstellung architektonischer Stile ging es mir dabei nie. Aber um die Frage: Wie nehmen wir unsere gebaute Umwelt wahr?“

Seit ihrer Rückkehr hat sich „Aedes“ mehr denn je zur gemeinsamen Lebensaufgabe von Feireiss und Commerell entwickelt. Mit klarer Aufgabenteilung: Kristin Feireiss sitzt in Jurys, schaltet sich in Diskussionen ein wie die ums Berliner Stadtschloss oder die Bauakademie. Hans-Jürgen Commerell kümmert sich um die Sponsorensuche, ohne die weder Ausstellungsbetrieb noch Katalogedition möglich wären. Im kommenden Jahr steht ein weiterer Umzug an, von den Hackeschen Höfen zum „Pfefferberg“ in Prenzlauer Berg: sechs Meter hohe Räume, in direkter Nachbarschaft zum neuen Vitra Design Museum. „Aedes West“ bleibt erhalten, am neuen Konzept wird gefeilt.

Über 300 Ausstellungen haben an beiden Orten seit 1980 stattgefunden, fast alle begleitet von jenem kleinen quadratischen Katalog, der zum Markenzeichen wurde. Als Hans Hollein, so erzählt Feireiss schmunzelnd, seinen „Aedes“-Katalog einem indischen Kollegen schenken wollte, zückte dieser als Gegengabe den seinen. Die Ausstellungsliste liest sich wie das „Who is who“ zeitgenössischer Architektur: von Norman Foster, Günter Behnisch bis Herzog und de Meuron. Für Zaha Hadid richtete Feireiss 1984 die erste Ausstellung in Europa aus, Frank Gehry und Tadao Ando präsentierte sie erstmals in Deutschland. Daniel Libeskind stellte mehrfach aus. Damals waren diese Namen nur wenigen geläufig.

In den Museen beschränkte man sich in den Achtzigerjahren bestenfalls auf Architekturgeschichte. Für die Präsentation zeitgenössischer Architektur mussten bei „Aedes“ also erst neue Kriterien erfunden werden. Unprätentiös sollte es sein und verständlich für Nichteingeweihte, eigentlich Selbstverständlichkeiten, die heute bei der Neugründung von Architekturgalerien – in Berlin etwa die „suitcase architecture“ – oder bei staatlichen Einrichtungen wie dem Architekturzentrum Wien Standard sind.

Die Bezeichnung Architekturgalerie, so Feireiss, war anfangs eher irreführend. Damals habe man noch gehofft, Zeichnungen verkaufen zu können. Doch die Entscheidung, die Blätter nicht in Bilderrahmen einzusargen, sondern als Teil eines gedanklichen Prozesses zwischen zwei Glasplatten zu präsentieren, förderte nicht eben den Verkauf. 1981 etwa fanden die Zeichnungen ihrer Koolhaas-Ausstellung keinen einzigen Interessenten, bis der Galerist Max Protetch sie nach New York übernahm, umrahmte und in wenigen Tagen komplett verkaufte.

„Aedes“ hat sich längst zu einem nicht kommerziellen Architekturforum entwickelt. Museal wirkt weder das Ambiente noch das Ausstellen von Superstars. Das Hauptaugenmerk von Feireiss, Commerell und Geschäftsführerin Ulla Giesler liegt mittlerweile auf der Architektur in „Schwellenländern“ wie Indien, Südafrika, Korea. Oder auf der Förderung junger Architekten. So schenkt man sich zum 25. Geburtstag keine Retrospektive, sondern stellt mit „Find the gap“ neue Köpfe vor. Die „Generation Praktikum“ findet heute kaum noch regulär bezahlte Jobs. „Find the gap“ dokumentiert kreative Wege aus der Krise. „Der Architektenberuf verlangt viel Haltung und Glauben an sich selbst“, sagt die Nicht-Architektin Feireiss. Die Bewunderung nimmt man ihr sofort ab, ebenso die spontane Begeisterung beim Erklären afrikanischer Stammeskunst, die sie sammelt. „Ist das nicht wunderschön? Aber eben nicht nur schön. Die Objekte erfüllten alle einst ihren Zweck – wie gute Architektur.“

Eröffnung heute um 18.30 Uhr. Bis 11. Dezember bei „Aedes East“, Rosenthaler Straße 40/41 (Mitte), Di–Fr 11–18.30, Sa/So 13–17 Uhr.

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