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Kultur: Die Berliner Galerie Blickensdorff widmet sich dem Thema "Zeit"

Der Jahrtausendwechsel rückt unerbittlich näher - vielleicht ist das der Grund für die vielen Rückblicke, auch und gerade in Sachen Kunst. Die Galeristin Barbara Blickensdorff hat das bevorstehende Millennium zum Anlass genommen, Arbeiten "ihrer" Künstler zu versammeln.

Der Jahrtausendwechsel rückt unerbittlich näher - vielleicht ist das der Grund für die vielen Rückblicke, auch und gerade in Sachen Kunst. Die Galeristin Barbara Blickensdorff hat das bevorstehende Millennium zum Anlass genommen, Arbeiten "ihrer" Künstler zu versammeln. Zu sehen sind in der Überblicksschau Werke von Stefan Heinrich Ebner, Alex Flemming, David Hockney und Alex Katz sowie Yotta Kippe, Heike Silbernagel und Roland Stelter. Und - sehr passend - die Zeit steht thematisch im Mittelpunkt.

"Es war einmal", mit diesem Einleitungssatz beginnen Märchen, die auch David Hockney liebte. Anfang der sechziger Jahre hat er die Märchen der Brüder Grimm gelesen. "Ich finde sie faszinierend, diese kleinen Geschichten, in ihrer einfachen, direkten, unkomplizierten Sprache; mir gefällt diese Einfachheit", schrieb er später. Zuvor illustrierte er einige Episoden aus dem Märchenbuch. Angetan zum Beispiel von der Mär "Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen", sitzen in dem Druck "Corpses on Fire" (2600 Mark) zwei Leichen am Feuer, die deutlich Züge von Hitler und Mussolini tragen.

Der Druck wirkt düster und bedrohlich und ist zuletzt auch deshalb interessant, weil hier Hockney in einer für ihn untypischen Technik aus Kaltnadel, Aquatinte und Wachs arbeitete. Seine "Grimms Fairy Tales", aus denen die Arbeit stammt, sind "anspruchsvoller" als seine früheren Radierungen, wie Hockney selbst sagte. Ganz im Gegensatz dazu stehen seine wohl bekanntesten Arbeiten, die Cavafy-Drucke, die mit leichter Hand und oft mit einem einmaligem Ansetzen des Bleistiftes entstanden sind. In "One Night" (3500 Mark) beispielsweise sind zwei Jünglinge zu sehen, die eine gemeinsame Nacht entweder noch vor oder schon hinter sich haben. Alles eine Frage der Zeit.

Diese Leichtigkeit Hockneys findet sich auch in den Arbeiten von Yotta Kippe. Konsequenterweise hängen sie deshalb auch in einem Raum mit den Cavafy-Drucken. Die 28-Jährige scannt Fotos ein, überzeichnet und bearbeitet sie am Computer. Ihr digitaler Druck "Blick" (2000 Mark) kommt ziemlich kühl und nüchtern daher. Der Kopf einer Frau ist am linken Bildrand positioniert, dann folgt ein leeres Etwas in einem faszinierenden weiß-grauen Farbton. Die Konturen bleiben jedoch schemenhaft, und der Blick der Frau geht ins Leere. Zu sehen ist die Künstlerin selbst.

"Ich möchte Gefühlslagen und Seelenzustände zeigen", erklärt Yotta Kippe. "Der Blick geht nach innen und nach außen." Für ihr Digitalfoto "Vom Hundertsten ins Tausendste" (1500 Mark) hat die in Berlin und Brüssel lebende Künstlerin ihr eigenes Bild gespiegelt und jeden Punkt mit sich selbst verbunden, Strich für Strich. So löst sich ihr Kopf nach unten und oben auf, verwickelt in sich selbst. Das wirkt dann so, als ob der rotierende Kopf für den Bruchteil einer Sekunde stillstand und abgebildet wurde.

Zeit - die große Klammer der Ausstellung - spielt auch bei Alex Flemming eine prominente Rolle. Seine amüsante Serie zum Thema "German Sex Ads" (je 1000 Mark) spielt mit Versatzstücken alter und heutiger Zeiten. Aus einer Museumszeitung hat Flemming Blätter mit Statuen von Gottheiten herausgetrennt. Das Papier, um die Jahrhundertwende bedruckt, ist bereits vergilbt. Über Apollo & Co wuchern bunte Buchstabenfelder. Scheinbar wirr angeordnet, vermitteln sie dennoch lesbare Botschaften, die sich als schnöde Anzeigentexte erweisen, die der Brasilianer in schwulen Blättern gefunden haben dürfte. Denn da sucht ein "Boy" einen "Rothaarigen", ein anderer einen Lederfan. Damit verknüpft der 45-Jährige das temporäre Element: Papier verfällt mit der Zeit, und auch Kontaktanzeigen bringen meist keine dauerhaften Verbindungen.

Ähnlich der Zeit und der Vergänglichkeit unterworfen sind Gebäude und Anlagen im öffentlichen Raum. Roland Stelter hat den Pariser Flughafen Charles-de-Gaulle und einen Schlosspark (je 2000 Mark) fotografiert. Obwohl nicht nur zeitgeschichtlich zwischen beiden Orten sichtbar Welten liegen, haben sie dennoch eine Sache gemein. Denn Stelter nimmt die Kategorie Zeit wörtlich und zeigt, wie Menschen Räume schaffen und dann gezwungen sind, Wege in sie hinein und aus ihnen heraus zu zeigen. Egal ob Wald und Wiesen oder Terminal, Orientierungshilfen müssen sein: Mal sind es große Vasen an Weggabelungen, mal Hinweisschilder, die den Weg weisen in den verwirrenden Dschungel eines Großflughafens oder ins dichte dunkle Dickicht eines alten Schlossparks. Und damit wären wir auch schon wieder bei den Märchen angelangt.Galerie Blickensdorff, Gipsstraße 4, bis 15. Januar 2000; Mittwoch bis Sonnabend 14-19 Uhr.

Andreas Hergeth

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