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Kultur: Die Berliner Galerie Kapinos zeigt neue Arbeiten des Künstlers

Los Angeles: ehemalige Missionarssiedlung an der Westküste, groß geworden mit Hollywood, gigantisch geworden durch Sillicon Valley. Doch auf den Aufstieg der "Stadt der Engel" folgte ihr Sturz in die urbane Katastrophe.

Los Angeles: ehemalige Missionarssiedlung an der Westküste, groß geworden mit Hollywood, gigantisch geworden durch Sillicon Valley. Doch auf den Aufstieg der "Stadt der Engel" folgte ihr Sturz in die urbane Katastrophe. Los Angeles heute, das ist ein endlos sich ausbreitendes Konglomerat aus Häusern, eine Stadt ohne Zentrum, strukturiert vom sozialen Verdrängungsprozess. Tabellenführer in der Statistik des Verbrechens und besessen von privater Security, lebt die Stadt mit der Traumfabrik Kino und bricht sich doch permanent an den von ihr selbst produzierten Bildern.

Der Videokünstler und Fotograf Doug Hall antwortet auf diese Topografie des Hyper-Amerikanismus, indem er das cineastische Sehen mit der Sichtweise der omnipräsenten Überwachungskameras verbindet. Seine Fotografien wissen sehr genau um die bildliche Verfasstheit des Wirklichen und seine mediale Vermittlung; es sind kinematografische Bilder, die trotz ihrer ostentativ zur Schau gestellten Schönheit das diffuse Gefühl vermitteln, permanent einem observierenden Blick ausgesetzt zu sein. In seinem Projekt "Neighbourhood Watch" hat Hall Mitte der 90er Jahre in San Francisco von erhöhtem Standpunkt aus Quartiere der Stadt per Video beobachtet. Seine jetzige Ausstellung mit großformatigen C-Prints bei Kapinos (jeweils Auflage 6, 13 000 Mark) nennt sich "Near and Far" - distanzierte Aufnahmen suburbaner Lebensräume, die in ihre perfekte Komposition den subtilen Voyeurismus der Kamera integrieren: Ich sehe was, was du nicht siehst.

"Baker Beach" zeigt den gleichnamigen Strand aus erhöhter Perspektive: ein bis ins Detail scharfer C-Print, der den Fokus nicht nur auf die Landschaft, sondern auch die am Strand befindlichen Personen lenkt. Das Landschaftspanorama fasziniert, doch die präzise Tiefenschärfe weckt automatisch das investigative Interesse an den Leuten, die sich dort exhibitionieren: Nackte Körper neben knappen Bikinis, ausgebreitet für den unsichtbaren Blick. An der gegenüberliegenden Wand in der Galerie sieht man zwei kleinformatige Details, die aus dieser Aufnahme stammen könnten: Close-Ups von Sonnenbadenden (Sunbathers - Exerpt I, Auflage 12, 2000 Mark), leicht unscharf, wie eine Vergrößerung aus dem ursprünglichen Bild, ohne dass man eine präzise Zuordnung vornehmen könnte. Der "Santa Monica Beach" hingegen ist ein einziges Gewusel aus Leuten und Sonnenschirmen. Hier erkennt man den cineastischen Blick des Fotografen, der geschickt mit den Konnotationen von Kameraperspektiven spielt: Frontalansicht, Nahaufnahme und Establishing Shot.

Auch "Los Angeles" präsentiert die Stadt im Sonnenuntergang als Bild, das man in seiner Kulissenhaftigkeit zu kennen meint. Doch die Skyline der Hochhäuser am Horizont verschwindet im Smog, während im Vordergrund endlose Parzellen mit Einfamilienhäusern architektonische Tristesse verbreiten: ein rasterförmiges all-over aus Beton. "Century City from Mullholland Drive (Hollywood)" zeigt diese Vororte von den Hügeln Hollywoods aus gesehen bei Nacht. Mit Langzeitbelichtung aufgenommen, verschwindet alles in Lichtpunkten und den Neonspuren des Verkehrs. Tagsüber sieht das anders aus. "North Las Vegas" wirft einen panoptischen Blick auf Las Vegas jenseits der glitzernden Wohlstands-Atrappen: triste Straßenzüge, die nur darauf zu warten scheinen, dass etwas passiert. Krimis lieben solche Vorortszenarien in ihrer beängstigenden Normalität. Die vermeintlichen Nahaufnahmen (North Las Vegas - Excerpt I u. II, jeweils Auflage 12, 1750 Mark) wirken noch pointierter: banale Garagen wie aus einem amerikanischen Remake von Antonionis Filmklassiker "Blow-Up". Doch auch die fotografischen Totalen hinterlassen das Gefühl, man müsse das Bild nur genau genug studieren, um die Spur der Gefahr zu entdecken. So ist es am Ende gerade der Mangel an Indizien, der den Schein des Schönen trügerisch wirken und das Gesehene an der Schwelle von Evidenz und Zweifel verharren lässt: Nah und fern zugleich.Galerie Kapinos, Gipsstraße 3, bis 30. Dezember; Dienstag bis Sonnabend, 13-19 Uhr.

Vanessa Müller

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