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Kultur: Die blaue Brücke

Späte Entdeckung: der Berliner Expressionist Georg Tappert

Der Prophet, heißt es, gilt nichts im eigenen Land. So auch Georg Tappert. Es ist genau ein Vierteljahrhundert her, dass in Berlin die letzte große Ausstellung des 1957 verstorbenen Malers und Zeichners zu sehen gewesen ist. Die von Eberhard Roters für die Berlinische Galerie anlässlich des 100. Geburtstags eingerichtete Retrospektive hieß bündig „Georg Tappert. Ein Berliner Expressionist.“

Das war bewusst tiefgestapelt. Der 1880 in der Friedrichstraße 10 als Sohn eines Schneiders geborene Tappert war nicht irgendein Künstler, sondern der Hauptvertreter des Expressionismus in Berlin. Einer mit prophetischen Gaben. Nicht nur, dass er als Mitbegründer und Hauptorganisator der „Neuen Secession“ 1911 die noch nicht etablierten Künstler der „Brücke“ und des „Blauen Reiters“ zur ersten gemeinsamen Ausstellung in die Reichshauptstadt holte. Mit seinen urbanen Bild-Ideen war Tappert den heute ungleich berühmteren Malerkollegen Kirchner, Heckel und Pechstein, die damals aus dem beschaulichen Dresden nach Berlin zogen, um Jahre voraus. Und anders als bei ihnen ließ seine Schaffenskraft auch in den Zwanzigerjahren nicht nach. Die brachen erst die Nazis 1937 mit einem Berufsverbot, von dem sich der nach 1945 als Kunstpädagoge Tätige nie mehr erholt hat.

Georg Tappert ist bis heute der große Unterschätzte unter den Expressionisten. Die wunderbare Werkschau, die Gesa Bartholomeyczik nun aus dem Nachlass und mit vielen Leihgaben – oft aus Privatbesitz – zusammengestellt hat, wird derzeit im Landesmuseum Schloss Gottorf in Schleswig und danach im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg gezeigt. Nach Berlin kommt sie nicht. Wer will entscheiden, ob fehlende Angebote der Gottorfer Georg Tappert-Stiftung, die seit 1995 den künstlerischen Nachlass betreut, oder mangelndes Interesse der Berliner Museen verantwortlich zu machen sind? Fest steht, dass damit ein Ausstellungsereignis von Rang an Berlin vorbei geht.

Tappert war ein Maler der Großstadt. Wie viele Generationsgenossen zog es ihn nach dem Studium an der Karlsruher Akademie und Lehrjahren in Saaleck und Worpswede in die Varietés, Kneipen und Bordelle Berlins. Keiner hat die Getriebenen, die Enttäuschten und Gefallenen so diskret dargestellt wie er: ohne Kitsch und Voyeurismus, aber auch ohne klassenkämpferisches Pathos. Tappert blieb noch im bürgerlichen Erfolg Sozialist, doch die Gesinnungsgenossen wollten von seiner unbestechlichen Menschenkenntnis nichts wissen. Seine Modelle dafür umso mehr. Da ist Betty, das Aktmodell, das ab 1910 seinen malerischen Höhenflug begleitet. Immer wieder malt er ihre derbe körperliche Fülle, setzt sie ungeschönt und – im Großformat „Varieté“ von 1913 – sogar mehrfach ins Bild. Und da sind die Ehefrauen Kathleen Bagot und Elisabeth Foerstemann, beide selbst Malerinnen, die Tappert für Boudoirbilder ohne jede Schlüpfrigkeit und für psychologisch verrätselte Gruppenbildnisse heranzieht.

Kathleen starb 1925, Elisabeth 1929. Die große Melancholie hatte sich des einstigen Maler-Berserkers schon zuvor bemächtigt. Tappert blieb seinen Themen und Typen treu. Was er nun in beruhigt realistischer Malweise und altmeisterlicher Raffinesse auf die Leinwand zaubert, zeugt von Hochachtung gegenüber den gesellschaftlich Deklassierten. Das 1930 datierte Bild „Erwartung“ bringt Tapperts humanes Menschenbild auf den Punkt: Ist es eine selbstbewusste Intellektuelle, die da mit Zigarette und Baskenmütze im grellroten Kostüm posiert, oder liefert der Maler das Staatsportrait einer Hure? Man weiß es nicht. Georg Tappert entdeckte hinter seinen Bildern aus dem Milieu den in Körpersprache und Geisteshaltung ambivalenten, kurz: den modernen Menschen.

Landesmuseum Schloss Gottorf, Schleswig, bis 12. Juni. Ab 21. Juli im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg. Katalog (Verlag des Germanischen Nationalmuseums) 19 Euro.

Vob Michael Zajonz

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