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Kultur: Die Braut trägt schwarz

Volldampf: Willy Decker inszeniert Janáceks „Jenufa“ an der Komischen Oper Berlin

Sie laufen. Sie stürzen und verkrampfen sich. Sie grimassieren, rollen mit den Augen und ringen die Hände. Nur eines dürfen all die Menschen, die Willy Decker so unbarmherzig über die Bühne jagt, offenbar um keinen Preis tun: Still stehen und die Musik wirken lassen. Auf sich und auf das Publikum.

Diese zweite Saisonpremiere der Komischen Oper ist ein Abend, an dem große Erwartungen hängen: die Hoffnung, den verunglückten Start mit der „Csárdásfürstin“ wieder wettzumachen und diesmal das Profil einer „Regietheaterwerkstatt“ auch wirklich ausfüllen zu können. Christina Weiss, die sich seit einiger Zeit demonstrativ für die Komische Oper einsetzt, Berlins Kultursenator Thomas Flierl, beide sind da und wollen sich davon überzeugen, dass im Haus von Andreas Homoki wieder progressives, starkes Musiktheater stattfindet. Und eigentlich sind die Voraussetzungen so, dass nichts schiefgehen kann: Janáceks „Jenufa“, dieses wunderbare Stück, das mit seiner allumfassenden Botschaft des Verzeihens so direkt aufs Herz zielt, braucht gar nicht viel szenischen Aufwand, um seine Wirkung zu entfalten. Dass Kirill Petrenko ein guter Janácek-Dirigent sein würde, konnte jeder ahnen, der seine Arbeit an der Komischen Oper verfolgt hat. Und Willy Decker, einer der erfolgreichsten Regisseure der neunziger Jahre, hatte schon mit einer bewegenden „Katja Kabanova“ in Amsterdam und Hamburg sein Gespür für Janáceks Seelenmusik bewiesen.

Doch gerade die Sicherheit im Umgang mit innerer und äußerer Bewegung, die diese „Katja“ besaß, fehlt Deckers „Jenufa“ – Die Figuren hetzen mit einer inhaltsleeren Präzision über die Bühne, als sei’s ein Stück des späten Harry Kupfer – oder eine der letzten Homoki-Inszenierungen. Jenufa, die vom reichen Müllerssohn Stewa (Andreas Conrad als typgerechter Hallodri) ein Kind erwartet, hält sich schon zum Vorspiel krampfend den Bauch, der eifersüchtige Laca (Jürgen Müller) reckt die Fäuste, und die Küsterin, Jenufas Stiefmutter, die das Baby später ertränken wird, um Jenufa die Heirat mit Laca zu ermöglichen, grimassiert, als würde sie jeden Ton unter unsäglichen Schmerzen gebären. Drum herum hat Wolfgang Gussmann eine karge Bühne mit wackelnden Wänden und einer simplen Jahreszeiten-Symbolik gebaut, die ihrerseits ebenso wenig von der inneren Bewegtheit der Figuren verrät.

Bauern in Bewegung

Dass Jenufa, Laca und die Küsterin allesamt eine innere Entwicklung durchmachen, dass sie alle über ihre mährische Dorfgemeinschaft hinauswachsen, indem sie lernen zu verzeihen, man muss es wissen, um es hier zu sehen: In ihrem Bewegungsdrang überspielt die Inszenierung selbst den entscheidenden Angelpunkt des Stücks, an dem Jenufa ihrer Stiefmutter den Kindsmord verzeiht.

Allzu eng bleibt Decker am bäuerlichen Ambiente und am Text des Librettos kleben, versucht, alle widerstreitenden Emotionen dieses komplexen Seelengefüges optisch zu illustrieren, stülpt die inneren Kämpfe nach außen – und banalisiert sie durch diese Verdoppelung. Was umso bedauerlicher ist, weil Kirill Petrenko und das blendend disponierte Orchester vormachen, dass kontrolliert eingesetzte Emotionen umso nachhaltiger wirken. Petrenko widersteht der Versuchung, die folkloristischen Anteile der Musik mit fetten Farben herauszustellen, ihn interessiert der Gegensatz zwischen dem untergründig antreibenden Natur-Puls und den Versuchen der Einzelnen, gegen diesen Schicksalsstrom zu schwimmen. Selten hört man diese Partitur so transparent, so differenziert in der Dynamik – und so vielschichtig. Bei aller Wucht, die sich Petrenko für die dramatischen Kulminationspunkte aufspart, entwickelt sich die Musik oft ganz von innen heraus, zeigen die kurz aufblühenden lyrischen Motive, dass sich all diese Menschen „eigentlich ein ganz anderes Leben vorgestellt haben“, wie Jenufa am Ende des zweiten Aktes singt.

Die Jenufa, Sinéad Mulhern, ist freilich die einzige, der man diese Sehnsucht auch abnimmt. Die Irin gewinnt nach sprödem Beginn ihrem zartgliedrigen Sopran immer mehr Farben ab und kann so den Reifungsprozess der Heldin zumindest andeuten.

Die übrigen scheitern an dieser Aufgabe – auch Karan Armstrong, die Witwe Götz Friedrichs und ehemalige Diva der Deutschen Oper, die mit dieser Küsterin nach Berlin zurückgekehrt ist. Armstrongs immer noch starke darstellerische Präsenz kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie diese Rolle nur mehr mit den Bruchstücken ihres einstigen dramatischen Soprans gestaltet.

Es ist Zeit, dass ein wenig Ruhe einkehrt an der Komischen Oper. Denn die braucht man. Zum Nachdenken.

Wieder am 19., 21., 27. u. 30.11.

Jörg Königsdorf

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