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Die Bürgerliche Revolution 1848. Der Sieg des "Volkes von Berlin" war teuer erkauft: In Berlin machte die Revolution vor dem Thron halt

Die Pariser Revolution vom Februar 1848 weckte Hoffnungen auf politische Reformen in Preußen. Wie in anderen deutschen Städten fanden sich in Berlin in der zweiten Märzwoche 1848 zunächst Hunderte, bald schon Zehntausende von Menschen zu politischen Versammlungen zusammen.

Am 18. März 1848 wurde gleichsam ein bis an den Rand gefülltes Pulverfaß zur Explosion gebracht: Das "Pulver" war die aufgestaute Unzufriedenheit darüber, daß man seine politischen Ansichten weder schriftlich noch mündlich unverklausuliert äußern konnte, daß man sich nicht zu offen politischen Zwecken versammeln oder gar in einem Verein zusammenschließen durfte. Hinzu kam als hochexplosiver Brennstoff die Verelendung breiter Bevölkerungsschichten. Um die angesammelten Mengen politischen und sozialen Pulvers zur Explosion bringen zu können, mußte freilich eine Lunte her. Die "Lunte" wurde mit der Pariser Revolution vom 22. bis 24. Februar 1848 , die Hoffnungen auf fundamentale politische Reformen weckte, einem unflexiblen Verhalten der preußischen Krone, die Reformen nur halbherzig und verspätet gewährte, sowie den Tiergartenversammlungen gelegt. Wie in anderen deutschen Städten fanden sich in Berlin in der zweiten Märzwoche 1848 zunächst Hunderte, bald schon freilich Zehntausende von Menschen zu politischen Versammlungen in dem der Stadt vorgelagerten Tiergarten zusammen. Im Tiergarten, "unter den Zelten", wurden "Volksforderungen" aufgestellt, wie sie anderswo gleichfalls kursierten: nach Aufhebung des Versammlungs- und Vereinigungsverbots sowie der Zensur. Gesellen und Arbeiter verlangten darüber hinaus nach französischem Vorbild die Schaffung eines "Arbeiterministeriums".

Angeheizt wurde die ohnehin gespannte Situation durch "Überreaktionen" der Soldaten am 13. März, als die Teilnehmer der Tiergartenversammlungen zu Tausenden durch das Brandenburger Tor in Richtung Innenstadt heimgehen wollten. Infolgedessen kam es an diesem und den folgenden Tagen wiederholt zu blutigen Auseinandersetzungen mit dem Militär.

Der "Funke" schließlich, der die Lunte entzündet und das Pulverfaß zur Explosion brachte, waren dann die berühmten zwei Schüsse am späten Mittag des 18. März 1848 : An diesem Tage hatten sich zehn- bis zwanzigtausend Berliner vor dem Stadtschloß eingefunden, um einige unverbindliche Zugeständnisse des Königs zu feiern und weitere zu fordern. Als gegen 14 Uhr Truppen den Platz vor dem Schloß von Demonstranten "säubern" wollten und dabei die Gewehre von zwei Soldaten versehentlich losgingen, witterte das Volk "Verrat". Insgesamt wurden knapp tausend Barrikaden errichtet, zunächst improvisiert und vom Militär leicht einzunehmen. Später entstanden in den von der Berliner Armenbevölkerung bewohnten Vorstädten riesige, kunstvoll gefügte Bauwerke, die die Truppen erst nach tagelangen, verlustreichen Kämpfen hätten erobern können. Der Abzug der Soldaten am 19. März, das wußten auch die verantwortlichen Generäle, war unumgänglich, zumal die westlichen Provinzen und Schlesien drohten, sich von Preußen zu lösen. Der Sieg des "Volkes von Berlin" war teuer erkauft: Knapp dreihundert Barrikadenkämpfer kamen ums Leben, fast 90 Prozent von ihnen gehörten den niederen Bevölkerungsschichten an.

Indem Friedrich Wilhelm IV. in den folgenden Tagen dem Druck von unten nachgab, Preußen ehrlichen Herzens in eine parlamentarische Monarchie umzuwandeln und außerdem den nationalen Einigungswünschen nachzugeben schien, rettete er die Monarchie und Hohenzollerndynastie: Im Unterschied zu Paris, dagegen im Gleichklang mit der Entwicklung in den meisten europäischen Staaten, machte die Berliner Revolution vor den Thronen halt.

Fast zeitgleich wie in Frankfurt trat in Berlin eine "Nationalversammlung" zusammen. Im Unterschied zur Deutschen Nationalversammlung blieb die preußische Volksvertretung zeit ihrer Existenz allerdings gefesselt - durch eine Klausel im Wahlgesetz vom April 1848 , die vorschrieb, daß sich Preußische Nationalversammlung und Krone über die künftige Verfassung zu "vereinbaren" hätten. Was geschehen solle, wenn dies nicht gelang, blieb offen. Der Versuch der Linken, die Vereinbarungsklausel zu lösen, indem die Abgeordneten der preußischen Konstituante die förmliche "Anerkennung" der Berliner Märzrevolution aussprachen und sich damit zum entscheidenden legislativen Organ machten, scheiterte am 8. Juni 1848 knapp. Die verweigerte "offizielle" Anerkennung der Märzrevolution bildete wiederum den Hintergrund für den Sturm auf das Berliner Zeughaus eine Woche später. Die Weigerung der kommunalen Behörden, die große Masse der männlichen Stadtbewohner, die das Bürgerrecht nicht besaßen, in die in der zweiten Märzhälfte gegründete Bürgerwehr aufzunehmen, war der unmittelbare Auslöser für den gescheiterten Zeughaussturm vom 14./15. Juni, einen spontanen und hilflosen Versuch der Unterschichten, die ersehnte Volksbewaffnung Wirklichkeit werden zu lassen. Der von Demokraten und Sozialisten zum "ersten Wetterleuchten der zweiten Revolution" stilisierte, von Konservativen und dem rechten Flügel der Liberalen dagegen zur "Schändung des Ehrentempels preußischen Waffenruhms" degradierte Sturm auf eines der zentralen Waffenarsenale des preußischen Staates leitete in Preußen die politische Wende ein - ähnlich wie wenig später im europäischen Maßstab der blutig niedergeschlagene Pariser Juniaufstand.

Reforminitiativen der knappen liberaldemokratischen Mehrheit der Preußischen Nationalversammlung sorgten freilich dafür, daß sich Demokraten und Linksliberale der preußischen Hauptstadt im Hochsommer weiterhin im Aufwind wähnten. Mit Beschlüssen, den Adel "abzuschaffen" und den monarchischen Titel "von Gottes Gnaden" zu streichen, vor allem jedoch die im Spätsommer von einer Abgeordnetenmehrheit beschlossene Forderung, es konservativen Offizieren zur "Ehrenpflicht" zu machen, aus der Armee auszuscheiden, setzten sie Krone und Kamarilla unter Zugzwang. Besonders besorgniserregend war aus der Perspektive der Obrigkeit, daß demokratische Ideen im Militär Eingang fanden und nicht selten gleich mehrere hundert Soldaten Volksversammlungen demokratischer Klubs in Berlin besuchten. Die Armee als letzter verläßlicher Stützpfeiler der Hohenzollernmonarchie zeigte Risse. Die Gegenrevolution mußte handeln. Am 10. November marschierten etwa 12000 Soldaten unter dem Oberbefehl des Generals von Wrangel in die preußische Hauptstadt ein. Wrangel ließ in den folgenden Tagen die Bürgerwehr entwaffnen, rief den Belagerungszustand aus, verbot zahlreiche politische Klubs und löste am 15. November 1848 die Preußische Nationalversammlung auf.

Wenn er dabei in der "roten Hochburg" Berlin auf keinen nennenswerten Widerstand stieß, dann lag dies auch an den günstigen gesamteuropäischen Konstellationen. Vor allem die blutige Unterwerfung der revolutionären Bewegung in Wien Ende Oktober hatte der preußischen Krone Mut eingeflöst. Entscheidend war außerdem, daß spätestens seit Sommer 1848 die Angst um wirtschaftliche und politische Stabilität breite Schichten des Bürgertums an die Seite der Krone trieb. Mit der am 5. Dezember 1848 oktroyierten Verfassung besiegelte die Krone das neue Bündnis zwischen Bürgertum und alten Eliten. Dennoch bleibt die Revolution von 1848 gerade in Berliner Perspektive eines der zentralen Ereignisse des 19. und 20. Jahrhundert: Zusammen mit Wien und Paris wurde Berlin zu der europäischen Revolutionsmetropole. Berlin wurde 1848 auch zum politischen Zentrum, zur informellen Hauptstadt Deutschlands. Die meisten Zeitgenossen wußten, daß für "das deutsche Volk" nicht in Frankfurt am Main, sondern in Berlin die "Quelle seiner Zukunft" liege. Sie wollten freilich, daß Preußen in einem freiheitlichen Deutschland "aufgehe". Obgleich diese Hoffnung trog, ließ sich 1848 doch nicht gänzlich rückgängig machen. Linksliberale, Demokraten und frühe Arbeiterbewegung zogen aus der Revolution ein starkes Selbstbewußtsein. Der Autor lehrt Geschichte an der Technischen Universität Berlin

Von Rüdiger Hachtmann

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