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Kultur: Die Burger-Bewegung

Anmerkungen zum Niedergang des ProtestsVON RICHARD HERZINGERNach der Zukunft von Protestbewegungen fragte, nicht ohne melancholischen Unterton, vergangenes Wochenende eine Podiumsrunde im Rahmen einer Tagung der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg. Der Protestler gegen den universellen Unheilszusammenhang einer ins Falsche verrannten Welt, der unermüdliche Rüttler am Weltgewissen, steht heute zunehmend im Verruf, ein ebenso anachronistischer wie selbstgerechter "Gutmensch" zu sein.

Anmerkungen zum Niedergang des ProtestsVON RICHARD HERZINGERNach der Zukunft von Protestbewegungen fragte, nicht ohne melancholischen Unterton, vergangenes Wochenende eine Podiumsrunde im Rahmen einer Tagung der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg. Der Protestler gegen den universellen Unheilszusammenhang einer ins Falsche verrannten Welt, der unermüdliche Rüttler am Weltgewissen, steht heute zunehmend im Verruf, ein ebenso anachronistischer wie selbstgerechter "Gutmensch" zu sein.Liegt das am grassierenden Zynismus einer zunehmend oberflächlichen, hedonistischen Mediengesellschaft, wie eine anwesende Liedermacherin vorwurfsvoll mutmaßte? Oder ist die kollektive Aufwallung von Protestpathos nicht vielmehr tatsächlich absolet geworden? Der organisierte Protest hat seinen Ort in Verhältnissen, die zumindest Teile der Gesellschaft grundsätzlich von politischer Partizipation ausschließen.In autoritären Systemen bietet er die einzige Möglichkeit, öffentlich Gehör zu finden.Aber auch in Demokratien kann eine breite außerparlamentarische Bewegung unter Umständen unerläßlich sein, um gegen elementares Unrecht anzugehen.Die schwarze Bürgerrechtsbewegung der sechziger Jahre ist das klassische Beispiel dafür.Die Protestbewegung mobilisiert die Macht der Ohnmächtigen: ihre große Zahl und ihren Willen, das Unrecht auf keinen Fall mehr hinzunehmen, koste es auch noch so große persönliche Opfer. Unter den Verhältnissen einer offenen, diskutierenden Bürgergesellschaft, in der gegensätzliche Argumente auf der Ebene politischer Entscheidungsinstanzen repräsentiert sind, gerät die prinzipielle Protesthaltung jedoch leicht zur leeren moralistischen Attitüde.Sie verschleiert dann den wohlfeilen Versuch, sich den Mühen komplizierter Diskussions- und Entscheidungsprozesse mit ihren endlosen Kompromißformeln zu entziehen. Seit den sechziger Jahren haben sich die politischen Verhältnisse in der Bundesrepublik gewandelt.Die Proteste gegen die Notstandsgesetze trafen noch auf einen einmütigen parlamentarischen Block und prallten an ihm ab.Außerparlamentarische Proteste wurde damals tendenziell als staatsgefährdender Aufruhr betrachtet.Und heute? Die Proteste gegen den Großen Lauschangriff führten innerhalb kurzer Zeit zu wesentlichen Modifikationen des geplanten Gesetzes. Die Durchlässigkeit der politischen Klasse gegenüber den Impulsen einer kontrovers diskutierenden Öffentlichkeit ist erheblich größer geworden.Der Protest ist längst in die Integrationsmechanismen der Demokratie eingebaut.Wenn aber abweichende Argumente in die Arena demokratischer Entscheidungsprozeduren Einzug halten, verlieren sie auch ihren kategorischen Anspruch.Sie sind dann diskursiver Relativierung und der Einsicht ausgesetzt, daß es für kein Problem eine moralisch lupenreine Patentlösung gibt.Die eigene gegenüber anderen Auffassungen per Protestbewegung zur einzig ethisch vertretbaren aufzuplustern, wirkt dann nicht mehr widerständig, sondern eher erpresserisch. Mehr noch: in gewisser Weise ist die Gesellschaft insgesamt längst zu einer Protestgemeinschaft geworden.Gegen alles und jedes im Gestus inbrünstiger moralischer Empörung zu protestieren, hat sich zu einem regelrechten Volkssport entwickelt.Weiß man nicht sowieso, daß alle Politiker korrupt, inkompetent und arbeitsscheu sind? Das im Kern verfehlte "System" für alle Widrigkeiten und Unvollkommenheiten verantwortlich zu machen, die man in der offenen Gesellschaft erdulden muß, ist keine Spezialität einer nonkonformistischen, radikalen Minderheit mehr.Das Pathos einer "Bürgerbewegung" wird nicht mehr nur von friedensbewegten Menschheitsumarmern in Anspruch genommen, sondern auch von rechten Xenophobentruppen wie der "Bürgerpartei" Manfred Brunners. So bleibt von der ehrwürdigen protestlerischen Tradition am Ende vor allem die Sehnsucht nach der Nestwärme der permanenten "Bewegung" für die gute Sache übrig.Solche Bewegungen entwickeln einen aparten Verhaltenskodex, eine spezifische Folklore, sie bieten eine gesicherte weltanschauliche Heimstatt.In Deutschland erfüllen Protestbewegungen, auf deren Uhren es immer schon "fünf nach Zwölf" ist, zudem das Bedürfnis nach apokalyptischen Phantasmen.Das reale Leben spielt sich mittlerweile draußen, im Ungewissen ab.Mit untrüglichem Instinkt für das Zeitbewußtsein überzieht die Werbung das inflationär gewordene trutzige Protestgebaren mit beißendem Spott.Eine Fast-Food-Kette hat jetzt die "Burger-Bewegung" ins Leben gerufen: Jeden Tag gibt es eine andere Hamburger-Sorte für ermäßigtes Geld.Endlich, so rühmt eine junge Hausfrau im Werbespot die Aktion.Die tun was für das Volk.

RICHARD HERZINGER

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