zum Hauptinhalt

Kultur: Die Dandys aus dem Underground

"Es ist nur Fiktion, aber es soll mit maximaler Lautstärke gespielt werden", empfiehlt Todd Haynes im Vorspann.Der amerikanische Autor und Regisseur hat sich ein Thema vorgenommen, das zwischen 1971 und 1975 das Pop-Universum zum Wackeln brachte: den Glam Rock.

"Es ist nur Fiktion, aber es soll mit maximaler Lautstärke gespielt werden", empfiehlt Todd Haynes im Vorspann.Der amerikanische Autor und Regisseur hat sich ein Thema vorgenommen, das zwischen 1971 und 1975 das Pop-Universum zum Wackeln brachte: den Glam Rock.Jene Zeit, in der die Plateausohle nicht hoch und das Make-up nicht dick genug sein konnte, in der David Bowie, Roxy Music und T.Rex mit Glitzer-Overalls, Federboas und tonnenweise Haarspray aussehen wollten wie bisexuelle Außerirdische.

"Velvet Goldmine" ist ein polymorpher Zwitter: ein Musical über eine wilde und mittlerweile mythische Zeit, ein assoziativer Bilderreigen, der bis zu Oscar Wilde und zum Vaudeville-Theater zurückgeht, eine Meditation über die Freiheit der Phantasie, ein historisch ungenauer und deshalb präziser Essay über Popkultur, kurz: das, was herauskäme, wenn man Wim Wenders einen Themenabend auf MTV gestalten ließe.

Ähnlich wie Warhol definierte sich auch der Pop-Art-Künstler Richard Hamilton schon in den 60ern als "mass-produced, sexy, glamorous, big business".An dieser Vorgabe orientierte sein Schüler Bryan Ferry - und auch all jene Musiker, Poseure und Parvenus, die dem Tran der Kiffer und Hippies entrinnen wollten.Ihr Konzept: radikale Künstlichkeit und die Erzeugung größtmöglicher Seifenblasen.Glam Rock war die Phase, als Pop sich zum erstenmal bewußt selbst übersteigerte und die Kluft zwischen der natürlichen Person des Stars und seinem Abbild in der Öffentlichkeit zelebrierte.

In diese Zeit läßt Haynes den Reporter Arthur (Christian Bale) zurücksteigen.In der losen Rahmenhandlung muß Arthur schnell eine Geschichte für die Wochenendausgabe schreiben.Thema: Der fiktive Rockstar Brian Slade, der zehn Jahre zuvor, auf dem Höhepunkt seines Ruhms, seine eigene Ermordung inszeniert hat und seitdem verschwunden ist.Arthur trifft auf Slades Ex-Frau Mandy und andere Weggefährten, aus deren fragmentarischen Erzählungen sich allmählich ein Puzzle ergibt.Er trifft aber auch sich selbst.Arthurs Jugend als Einzelkind im Mief eines britischen Reihenhauses zeigt, was es heißt, ein Fan zu sein.Fans sind das kostbarste Gut in diesem Geschäft.Ihre Sehnsucht ist der Treibstoff, durch den die Maschine erst ins Laufen kommt."Der ist wie ich!" schreit Arthur, als er Brian Slade zum erstenmal im Fernsehen sieht.Bald pilgert Arthur mit Kajal-Strich um die Augen in den Plattenladen, verkriecht sich unterm Kopfhörer und gibt sich schwülen Träumen hin.Aber nur den Stars ist es vorbehalten, Träume auszuleben.So sind die Regeln.

Stars unterliegen dem Gesetz des frühstmöglichen Abschieds.Nur wenigen möchte man beim Altern zusehen und auch denen nur mit Häme.Deshalb hat der glamouröse Brian Slade (Jonathan Rhys Myers, der im Film selbst singt und via MTV alle Chancen hat, selbst ein Star zu werden) sich ein Attentat auf offener Bühne zurechtgelegt.Die Figur Slade enthält Zutaten verschiedener Biographien, ist jedoch mit offensichtlicher Nähe zu David Bowie angelegt.Bowie wird an keiner Stelle namentlich genannt - sonst hätte man vermutlich einen Wolkenkratzer voller Anwälte beschäftigen müssen -, doch liegt die Parallele zu seinem "Retirement Gig" als Ziggy Stardust 1973 auf der Hand.Bowies ego-närrisches Spiel mit den Identitäten wurde zur Geschäftsgrundlage für Popstars.Wo wären Prince, Michael Jackson oder Madonna heute ohne diese Vorarbeit?

Das Image als kalkuliertes Konstrukt - niemand zuvor hat diese Marketingstrategie so konsequent angewendet wie Bowie mit seinen riesigen Pressekonferenzen.1972, im entscheidenden Interview seiner Karriere, gestand er dem "Melody Maker": "Ich bin schwul." Was zumindest eine halbe, jedoch sehr wirkungsvolle Lüge war.Heute, wo im britischen Kabinett bekennende Schwule als Minister sitzen, würde das niemanden aufregen.Anfang der 70er war es der Gipfel der Dekadenz und ein Grund dafür, daß Glam Rock in den damals homophoben USA ein Flop war.Die amerikanische Presse berichtete entsetzt, daß Bowie gern im Bett von Raquel Welsh abgebildet würde - aber mit ihrem Mann.Bowie hatte für die Reaktionen der Öffentlichkeit nur Spott übrig: "Jede Gesellschaft, die einem Lou Reed oder mir zujubelt", sagte er, nachdem er Reeds Erfolgsalbum "Transformer" produziert hatte, "muß ziemlich am Ende sein."

Der Kern von "Velvet Goldmine" besteht aus einer Männerfreundschaft: der zwischen Brian Slade und Curt Wild (Ewan McGregor), in dem unschwer Elemente von Iggy Pop zu erkennen sind, den Bowie hingebungsvoll protegierte, aber auch von Reed und Kurt Cobain.Iggy Pop und seine Gruppe Stooges waren Vorläufer des Punk.Sie brachten die rohe Kraft von Wüstlingen auf die Bühne, die dem braven Bubblegum-Sound der Zeit ins Gesicht spucken wollten.Pop und Bowie, der Underdog und der Bohémien - zwei äußerst kreative Gegensätze, die den großen Einfluß der Schwulen und Bisexuellen in der Popkultur zeigen.Haynes feiert ihn mit einer Flut visueller Ideen, die für mindestens 100 Videoclips reichen würde - Orgien! Koteletten! "Flying-V"-Gitarren! -, und läßt neben der großartig ausgewählten historischen Musik auch neue Songs von R.E.M.-Sänger Michael Stipe (er hat Film und Soundtrack produziert), von Pulp und Thurston Moore intonieren.Allein der Soundtrack dürfte dafür genügen, daß "Velvet Goldmine" in kürzester Zeit das unvermeidliche Etikett "Kult" angehängt wird.Denn bei aller Reflexion ist der Film auch ganz im Sinne des Themas: glamourös und sexy.

Irgendwann aber ist immer Schluß mit lustig.Hinter Brian Slade, dem Chamäleon der 1000 Maskeraden, stehen anzugtragende Bosse.Und es ist kein Wunder, daß man den wiedergeborenen Slade als jenes berechenbare Stadion-Rock-Monster sieht, das auf allen Kanälen für drei Milliarden Zuschauer live übertragen wird: verfettet, mit einer grotesken Tolle, die an den Elvis der Las-Vegas-Zeit erinnert - nur eben wasserstoffblond wie Billy Idol.Ganz so schlimm ist es mit David Bowie bekanntlich noch nicht gekommen.Er notiert an der Börse, betreibt seinen eigenen Internet-Service, gibt seine Musik für Microsoft und Sony-Playstations her, er veröffentlicht eine belanglose Platte nach der anderen, arbeitet als bildender Künstler und angeblich auch an einem Ziggy-Stardust-Film.Doch Bowie, der sich immer wieder neu erschaffende, strahlende Held - er ist schon lange nicht mehr aus der Asche gestiegen.Man wird eben älter und reicher, und im Geschäft ist ohnehin kein Platz für Träume.In diesem Film schon.

Babylon (OmU), Broadway, Central, Cinemaxx Colosseum, Cinemaxx Potsdamer Platz, Cinestar Hellersdorf, FT am Friedrichshain, Passage

RALPH GEISENHANSLÜKE

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false