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Kultur: Die deutsche Lebensmittelladenmusik „Mein Lieblingswort“ (2) – Lob der Kombination.

Von Wladimir Kaminer

Der „Deutsche Sprachrat“ und das GoetheInstitut haben in einer internationalen Publikumsumfrage das „liebste, schönste, kostbarste deutsche Wort“ gesucht. Bis Sonntag konnten Vorschläge gemacht werden, es gab, wie das Goethe-Institut in München mitteilt, über 22000 Voten, die noch ausgewertet werden.

In zehn Folgen, initiiert vom Kulturradio des RBB, schreiben hier nun deutsche Schriftsteller über ihre eigene Wort-Wahl. Den Anfang machte am 31. 7. die Romanautorin Brigitte Kronauer.

Was heißt schon schön? Darüber werden sich die Menschen nie einigen. Die einen sagen, Französisch sei als Sprache äußerst angenehm: Es höre sich wie eine Tonbandmassage an. Ich kenne aber auch einige, die Französisch nicht schön finden, sondern eher anstrengend. Die deutsche Sprache hat einen Vorteil, der unbestritten ist und keiner anderen Sprache so umfangreich gewährt wird: Deutsch ist lang und kann nach Belieben immer noch länger werden. Die Freiheit des Wortzusammensetzens steht zwar nicht im Grundgesetz, wird aber von allen Bevölkerungsgruppen oft und gerne in Anspruch genommen.

Wie mit einem Legobaukasten mühelos aus einem Krokodil ein Flamingo gebaut werden kann, so lässt sich jedes deutsche Wort mit einem anderen Wort zusammenstecken, sogar mit einem ausländischen, da sind die deutschen Worte total offen. Substantive lassen sich mit Adjektiven verknüpfen und umgekehrt, ebenso kann man neue Verben aus Substantiven ableiten und vice versa. Die Wortbildungen, die dabei entstehen, sind zwar nicht unbedingt im Duden zu finden, dafür aber werden sie sofort von allen verstanden.

Der Nachteil ist: Als Ausländer lernt man diese Sprache nie aus. Der Vorteil: Man kann im Deutschen zur Not alles mit einem Wort sagen. Dazu noch mit einem selbst gebastelten – die beste Taktik zur Überwindung von Kommunikationsschwierigkeiten. Übrigens ist jedes zweite Wort in meiner kleinen Sprachliebeserklärung nicht übersetzungsfähig. Im Russischen würde man für jedes dieser Wörter mindestens eine halbe Seite brauchen. Aber hier können sogar Kleinkinder mühelos „Lernspielenzyklopädie“ aussprechen oder „Freistellungsauftrag“.

Im Netz streiten sich die Internetnutzer oft darüber, was das längste deutsche Wort ist – sie streiten erfolglos. Denn jedes Mal, wenn einer einen Vorschlag macht, setzt sofort ein anderer das Wort fort und so geht es immer weiter, bis das Wort nicht mehr ins Internet passt und aus dem Rechner herausfällt. Das heißt dann „Computerwortausfall“ – und basta. Als großer Freund der Knappheit nutze ich die zusammengeklappten Worte gerne als Überschriften für meine Geschichten: „Die Lebensmittelladenmusik“ oder etwa „Die Radioliebe“. Auch „Russendisko“ ist ein sehr deutsches Hybrid. Auf Russisch würde die Russendisko längst nicht so knackig klingen: „Russkaja Diskoteka“ – damit wäre das mangelnde Angemutetsein schon programmiert.

Oft lassen die langen Worte Nichtigkeiten wichtig aussehen, und Menschen, die sie benutzen, klingen redegewandt. Seit einiger Zeit stehe ich in einem Briefwechsel mit meinem Berliner Bezirksamt. Als Adresse muss ich unter anderem das Wort „Staatsangehörigkeitsangelegenheiten“ auf den Briefumschlag schreiben. Das ist momentan mein Lieblingswort.Es passt kaum auf die Briefumschlagsfreifläche, sieht total cool aus und hört sich sehr wichtig an. In Wirklichkeit geht es bei diesem ganzen Briefwechsel nur um eine einfache Einbürgerungsbescheinigungsausstellung – also Kinderkram.

Wladimir Kaminer, 1967 in Moskau geboren, wurde 2000 durch seine Erzählungen „Russendisko“ bekannt. Er lebt seit 1990 in Berlin. Obwohl er und seine Frau deutsche Staatsbürger sind, sollten seine beiden Kinder zunächst nicht eingebürgert werden. Hierauf bezieht sich das Lieblingswort. Soeben veröffentlichte Kaminer im Manhattan Verlag „Ich mache mir Sorgen, Mama“.

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