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Kultur: Die dreifache Win-Situation

Iran und die Bombe: Warum sich die Regionalmacht nicht vor amerikanischen Drohungen ängstigt Der Präsident äußert sich immer noch als einfacher Bürger

Die USA würden es nicht wagen, Iran anzugreifen, erklärte vor einigen Monaten der damalige iranische Verteidigungsminister Schamkhani lässig. Vielleicht irrt er sich, aber er wusste sich eines Trumpfes sicher: drohte er doch damit, im Falle eines US-amerikanischen Angriffs „die irakische Karte“ auszuspielen. Bisher würde sich seine Regierung im Irak zurückhalten, aber Möglichkeiten, den Lauf der Dinge zu beeinflussen, habe sie durchaus. Zehntausende von amerikanischen und britischen Soldaten würden dann zu Geiseln in ihren Händen. Er weiß, wovon er spricht: In der Gegend um Basra wimmelt es von iranischen Agenten. Es sieht dort aus wie in der Islamischen Republik Iran: Kopftücher, Sittenwächter, kein Alkohol.

Die Gelassenheit der Iraner gegenüber den Drohgebärden der Amerikaner dürfte aber noch einen anderen Grund haben: Sie wissen in der Atomfrage die Bevölkerung hinter sich. Dass Washington Iran die friedliche Nutzung von Atomenergie mit dem Argument vorenthalten will, Iran verfüge über reiche Ölvorkommen, halten die meisten für eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Irans. Und sogar in bezug auf die Atombombe ist sich die Bevölkerung einigermaßen einig. „Auch wir wollen Mitglied im Club sein“, heißt es überall. Die Bombe ist inzwischen zu einer Frage des nationalen Stolzes geworden. Zudem sieht man sich umgeben von Atomstaaten – Indien, China, Pakistan –, und in der Vergangenheit haben die Iraner nicht gerade die Erfahrung gemacht, dass die Weltgemeinschaft ihnen zur Hilfe eilt, wenn sie angegriffen werden.

Und Iran fühlt sich im Moment außerordentlich bedroht. Auch wenn Revolutionsführer Ali Chamenei erklärt, Iran strebe nicht nach dem Besitz von Atomwaffen, denn der Islam verbiete ihren Einsatz, sprechen einige Vertreter des iranischen Regimes ganz offen aus, dass und warum sie die Bombe wollen: „In sicherheitspolitischer Hinsicht macht es überhaupt keinen Sinn, daß der Feind über Atomwaffen verfügt, wir aber darauf verzichten. Israel hat Atomwaffen, daher ist niemand legitimiert, uns den Besitz zu untersagen“, formuliert es Dschawad Laridschani, ein prominentes Mitglied des Establishments. Das Regime hat am Beispiel Iraks und Nord-Koreas mitverfolgt, dass zwar angegriffen wird, wer die Bombe nicht hat, nicht aber, wer sie hat. Deshalb wird immer wieder gefordert, Iran solle doch einfach aus dem Nichtverbreitungsvertrag aussteigen. Hossein Schariatmadari, der Herausgeber der Zeitung „Keyhan“, des Sprachrohrs der Konservativen, schrieb kürzlich: „Als die USA und die Allierten nach der Befreiung Kuwaits im Jahre 1991 vor den Toren Bagdads standen, beschlossen sie, den Irak nicht anzugreifen. Irak verfügte über eine große Waffenmacht, und die Amerikaner wollten nicht unter schweren Verlusten den Irak besiegen.“

Hinzu kommt ein Phänomen, das nicht unterschätzt werden sollte: der so genannte Mossadegh-Komplex. Mohammad Mossadegh, der damalige Ministerpräsident Irans, wurde von der CIA im Jahre 1953 weggeputscht, weil er das iranische Erdöl verstaatlicht hatte. Er war der einzig demokratisch gewählte Regierungschef, den Iran jemals hatte, und das Volk stand einmütig hinter seiner Politik. Volkes Seele hat diese Einmischung in die inneren Angelegenheiten Irans niemals vergessen. Seither reagiert man reflexartig, wenn Einmischung oder Angriff von außen drohen – und schließt sich hinter dem Regime zusammen. Das geschieht selbst dann, wenn das herrschende Regime so verhasst ist wie das gegenwärtige. Denn Iraner sind gewaltige Nationalisten; bis hin zum grenzenlosen Snobismus gegenüber allem, was nicht iranisch ist. Es gibt einen Präzedenzfall für die Folgen dieses Nationalismus: den Iran-Irak-Krieg. Nichts dürfte das Leben der Islamischen Republik so sehr verlängert haben wie dieser Krieg. Hauptsache, nicht von einem Araber beherrscht werden, war damals das Argument.

In der jetzigen Situation, in der das Regime immer mehr unter Druck gerät, schwört es seine Bevölkerung auf Nationalstolz ein: die Spots, die zurzeit im iranischen Fernsehen gesendet werden, setzen auf den iranischen Chauvinismus. „Das Land von Avicenna und Omar Chayyam, den wichtigsten Medizinern und Mathematikern, findet zu seiner historischen Größe und Rolle zurück.“ Dann nämlich, wenn man im Besitz von Nukleartechnologie ist. Die Spots kommen gut an. Man will sich als Regionalmacht profilieren und in technologischer Hinsicht an den Westen Anschluss finden. Dazu gehört, den Brennstoffkreislauf zu beherrschen, also Uran anzureichern. „Wir sind in der Lage, den vollständigen Brennstoffkreislauf zu kontrollieren. Warum sollten wir darauf verzichten?,“ fragen sich viele. Und: „Wieso diese Zweiteilung der Welt? Die einen dürfen und die anderen dürfen nicht.“

Der Atomstreit hat daher zur Folge, dass sich Volk und Regime nach langer Zeit einmal einig sind – auch wenn die Bombe längerfristig den Interessen der regimemüden Bevölkerung widersprechen dürfte. Das iranische Regime braucht die Bombe zum Überleben, und tatsächlich befindet es sich in einer win-win-win-Situation. Erstes Szenario: Wenn der Westen nichts unternimmt, sind die Iraner früher oder später in der Lage, die Bombe zu bauen. Zweites Szenario: Der Westen verhandelt und es kommt zu einem Abkommen. Dabei dürfte wenig herauskommen. Die Erfahrung der Vergangenheit hat gezeigt, dass das Regime lügen und betrügen und weiter heimlich an der Bombe basteln wird. Drittes Szenario: Die USA oder Israel unternehmen sogenannte surgical attacks: mit wohl kalkulierten Angriffen mag man das amerikanische Unwort übersetzen. Käme es dazu, würde eine aufbrausende Welle des iranischen Nationalismus das Regime stärken. Und vor allem wird das Regime in Zukunft eine noch größere Rechtfertigung erhalten, völlig offen die Bombe zu bauen.

Denkbar wäre daher im Moment sogar ein etwas abwegig erscheinendes Szenario: Der iranische Präsident Ahmadineschad will mit seinen israelfeindlichen Äußerungen einen Angriff der USA nachgerade provozieren. Denn man fragt sich schon, was ihn antreibt. Was will er eigentlich mit seinen martialischen Äußerungen? Kann er sich nicht denken, welchen Aufschrei in der internationalen Staatengemeinschaft er auslösen wird? Eine Variante der Analyse lautet: Nein, er weiß es nicht. Er ist tatsächlich so unbedarft in außenpolitischen Dingen, dass er es nicht einschätzen kann. Er habe, so ein ehemaliger Mitstreiter, immer noch nicht begriffen, dass er inzwischen Staatspräsident sei und nicht länger ein gewöhnlicher Bürger.

Es erstaunt aber doch, dass Ahmadineschad auch nach den ersten wütenden Reaktionen auf seine Äußerungen – damals, im Oktober – kein Einsehen hat. Sogar im Iran wurde er schon zurückgepfiffen: Revolutionsführer Ali Chamenei, der eigentlich erste Mann im Staate, hat erklärt, Iran habe nicht vor, irgendein Land der Erde anzugreifen. Und auch Ex-Präsident Rafsandschani – auch er weit mächtiger als Ahmadineschad – hat versucht, Schadensbegrenzung zu betreiben.

Was also treibt ihn, wenn er auch im Iran selbst so viel Gegenwind bekommt? Zum einen möchte er wahrscheinlich davon ablenken, dass er die Versprechen, die er seinen Wählern gemacht hat, nicht hat einlösen können. Eine Umverteilung der Erdölerträge zugunsten der Armen hatte er versprochen. Nichts dergleichen ist passiert. Nun versucht er es mit martialischer Rhetorik. Und mehr ist es nicht, als Rhetorik. Denn über die iranische Politik entscheidet nicht er, sondern Chamenei und Rafsandschani. Und die sind realistisch genug zu wissen, dass Iran schneller vom Erdboden verschwunden wäre als Israel – wenn Iran Israel angriffe. Andererseits: Es wäre ihm tatsächlich damit gedient, wenn die USA oder Israel – was sehr unwahrscheinlich ist – den Iran angriffen. Es würde den Bestand dieses Regimes für einige Zeit sichern. Abgesehen von den „Kollateralschäden“ ist das das Problem.

Katajun Amirpur

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