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Kants Gedanken zur Aufklärung scheinen nicht alle zu überzeugen: 2018 wurde seine Statue in Kaliningrad mit rosa Farbe besudelt.

© dpa/Vitaly Nevar

„Die Dritte Aufklärung“ von Michael Hampe: Wissen wagen wollen

Bildungsoffensive zur Vermeidung von Gewalt: Michael Hampe versucht sich in seinem Buch „Die Dritte Aufklärung“ an einer Neudefinition der Philosophie.

„Dare to know“ prangt in großen, weißen Lettern auf den Rückseiten der neuen Bände aus der 1713 in Berlin gegründeten Nicolaischen Verlagsbuchhandlung, die jetzt Nicolai Publishing & Intelligence, kurz: NP&I heißt. Aufklärung reloaded? „Die Dritte Aufklärung“ von Michael Hampe, Philosophieprofessor an der Zürcher ETH, gehört zu den ersten Büchern des Verlags (Nicolai Publishing & Intelligence, Berlin 2019. 96 Seiten, 20 €). Es kommt, mit fünf anderen Bänden, in einem Schuber: „Diskurse, die wir führen müssen“.

1783 provozierte die Frage des Berliner Pfarrers Johann Friedrich Zöllner, was Aufklärung denn sei, eine Reihe von prominenten Antworten. Darunter ist der berühmte Beitrag Immanuel Kants, der wiederum Worte des Horaz aufgriff. Dabei war die Frage des Pfarrers, zu jener Zeit Prediger an der Marienkirche, in einer Fußnote versteckt und als Spott gedacht. Eine „zweite Aufklärung“ rief der italienische Philosoph Ernesto Grassi, der bei Martin Heidegger studiert hatte, in den Nachkriegsjahren aus. Es war als Rechtfertigung der von ihm herausgegebenen Reihe „rowohlts deutsche enzyklopädie“ angelegt. 75 Bände waren seit 1955 erschienen. Bildung für die Massen wollte Grassi: Das klang schon fast wieder nach der Predigt von der Kanzel.

Wenn Hampe nun eine „Dritte Aufklärung“ proklamiert, rekurriert er nicht auf Grassis problematischen Wiederbelebungsversuch. Das ist schade, gerade weil er seine polemische Energie gegen Geschichtsmythen richtet, gegen abstrakte Vorstellungen vom Fortgang der Historie, ganz gleich, ob sie Erlösung oder Niedergang prognostizieren. Rückt die Argumentation nicht selbst in die Nähe solcher Vorstellungen, wenn Hampe formuliert, er wolle die Menschheit durch „Steigerung des kollektiven Bewusstseins zum Subjekt ihrer eigenen Geschichte machen“?

Aufklärung ist weder Epoche noch europäisch

Wie also wird Aufklärung im Buch profiliert? Zunächst einmal kritisch, zurückweisend. Zwei Negationen sind ihm wichtig: Aufklärung sei weder Epoche noch europäisches Phänomen. Damit nimmt er manchen Kritikern den Wind aus den Segeln, verliert aber auch an reflexiver Zuspitzung. Kants „selbstverschuldete Unmündigkeit“ wird zur Marginalie, Erwiderungen kommen gar nicht erst vor.

Schnell merkt man, dass es Hampe um Aufklärung in einem überhistorischen Sinn geht: Die erste Aufklärung war die sokratische, die er eine argumentative Revolution nennt. Die zweite datiert er auf die drei Jahrhunderte zwischen 1500 und 1800 und fasst sie als wissenschaftliche Revolution. Seine dritte Aufklärung nun soll ein Bewusstsein dafür schaffen, dass die Geschichte weder Schicksal sei noch ganz in Menschenhand liege: Es bestehe eine Mischung aus Zufall und Notwendigkeit, aus freiem Handeln und Zwang.

Alles scheint trügerisch einfach

Zum wichtigsten Ideal der Aufklärung wird ihm die Vermeidung von Grausamkeit. Dagegen könnte man historisch und philologisch argumentieren, aber das würde die Grundidee des Buches verfehlen. Hampe sucht ja nicht die Gemeinsamkeiten verschiedener historischer Aufklärungsbewegungen zu finden. Vielmehr beschreibt er ein praktisches Ideal, das er Aufklärung nennt und bei Sokrates, Buddha oder Kant findet. Die „dritte Aufklärung“ ist in diesem Sinn der Versuch einer Neudefinition – vor allem der Philosophie selbst. Eine demokratische Bildungsoffensive als Königsweg zur Vermeidung von Gewalt. Wenn man Hampe richtig versteht, hat diese Aufklärung längst begonnen und ist philosophisch in der Tradition des amerikanischen Pragmatismus verankert. Will sie global werden, muss die Offensive interkulturell konzipiert sein. So weit, so gut.

In welchem Verhältnis Hampe selbst zum angestrebten kollektiven Bewusstsein steht, bleibt allerdings offen. Eine Anleitung ist die Schrift ebenso wenig wie eine Abrechnung. Auch Kontroversen, Abwägungen oder gar eine klare Parteinahme vermisst man weitestgehend: Irgendwie scheint alles trügerisch einfach. Das hört jedoch auf, sobald man die abstrakte und begriffliche Ebene verlässt. Die Philosophen des 18. Jahrhunderts haben sich genau mit diesem Problem schon befasst.

Hendrikje Schauer

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