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Kultur: Die dritten Zähne

Die Tribüne will sich mit neuem Leitungsteam neu erfinden – und scheitert am Eröffnungsabend

Mangelndes Selbstbewusstsein kann man der Tribünen-Leitung nicht vorwerfen. „Mit Yasmina Rezas ,Im Schlitten Arthur Schopenhauers’ am Deutschen Theater können wir schon mithalten“, gab der neue künstlerische Leiter der kleinen Westberliner Bühne, Helmut Palitsch, beim Interview zum Besten. Der Regisseur des Reza-Stückes, Jürgen Gosch, wurde von der Fachzeitschrift „Theater heute“ soeben zum Regisseur des Jahres gekürt; die Darsteller heißen Corinna Harfouch und Ulrich Matthes.

Nun mag die Verinnerlichung der Tatsache, dass Theater schwerlich mit Bescheidenheit zu machen ist, zu den professionellen Notwendigkeiten des Regiefaches gehören. Zumal, wenn man wie Palitsch zum radikalen Umbruch unter komplizierten Bedingungen angetreten ist: Vor einem Jahr hatte die von Kultursenator Thomas Flierl bestellte Jury zur Evaluation privatrechtlich organisierter Theater empfohlen, das Haus, das bis dato jährlich 818 000 Euro erhalten hatte, ab 2007 nicht weiter finanziell zu unterstützen. Zu Recht bemängelten die Gutachter neben der zuletzt auf 37 Prozent gesunkenen Auslastung den Mangel an künstlerischem Profil. Der von Flierl beschlossene Subventionswegfall wurde von kulturpolitischen Befürwortern des 220-Plätze-Hauses abgewendet.

Zum Saisonstart übergaben die Theaterleiter Ingrid Keller und Rainer Behrend die Direktion nun an ihre jüngeren Mitarbeiter Corinna und Thomas Trempnau – die wiederum den ehemaligen Magdeburger Schauspieldirektor Palitsch ins Boot holten, auf dass dieser mit 600 000 Subventionseuro und ernst zu nehmender Gegenwartsdramatik statt schläfrigen Boulevards aus dem kulturellen „Niemandsland wieder ein Jemandsland“ mache.

War man beim Vorabinterview noch geneigt, Palitschs Verhebung am Schopenhauer-Schlitten als Selbsterbauungstherapie zu verbuchen, verging einem in der Auftaktpremiere des dreiteiligen Eröffnungsabends jeglicher Spaß. Tatjana Reses Bühnenversion „Daybreak“ nach dem Film von Björn Runge zeigt einen einfältigen Maurer mit Hauspuschenprollgattin, eine durchgeknallte verlassene Ehefrau sowie einen Unsympathen von Chefarzt in einer angeblich lebensverändernden Nacht. Seinen literarischen Niederschlag findet dieser existenzielle Umbruch in Sätzen wie „Ich werde dir nie mehr vertrauen können“. Palitschs Regie beschert uns dabei zum einen die Erkenntnis, dass man auch das noch zielsicher fehlintonieren kann und lehrt uns zum Zweiten, Schauspieler zu lieben, die hilflos in Kindertheater-Bühnenbildern herumstehen – einfach nur dafür, dass sie wenigstens schweigen. Kurzum: Auf der Bühne ein so hanebüchener Dilettantismus, dass man sich mit jedem ernsthaften Verriss einer Überbewertung schuldig machte; im Parkett in den Mienen der Kollegen nackte Fassungslosigkeit. Wenn die zweite Darbietung – Gesine Danckwarts „Traummaschine“ – nicht ganz so katastrophal ausfällt, liegt das allein daran, dass Danckwarts Sprachqualitäten selbst dann schwer kleinzukriegen sind, wenn man wie Palitsch komplett an ihnen vorbei inszeniert.

Das finale Uraufführungsärgernis – Christoph Klimkes Stück „Claus Peymann kauft Gudrun Ensslin neue Zähne“ unter der Regie Hannes Hametners – hängt sich zwar großspurig an Thomas Bernhards Dramolett „Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen“ und an Peymanns Spendenaufruf für die zahnärztliche Behandlung von Baader-Meinhof-Häftlingen 1977. Zu erzählen weiß es über die RAF nichts, was man nicht längst – besser – gesehen oder gelesen hätte. Am ekelhaftesten ist die Mischung aus dreifach abgesicherter Halbironisierung und Anbiederung bei Peymann, bei dem Palitsch vor Jahrzehnten in Stuttgart assistierte. „Also seit Claus Peymann ein Theater in unserer Stadt leitet, habe ich mit meiner Frau wieder ein Abo“, spricht Ensslins spießiger Zahnarzt ins Publikum; „herrlich frisch, diese Inszenierungen“. Als Tribünen-Besucher kann man nur zustimmen.

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