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Kultur: Die Engel der Schrift

Heute feiert die Dichterin Friederike Mayröcker ihren 80. Geburtstag

Sie hat auch noch als Achtzigjährige genug Atem für magische Akte. Nach dem Tod ihres Geliebten und idealen „Ohrenbeichtvaters“ Ernst Jandl hat Friederike Mayröcker zu einer Sprache der Sterblichkeit gefunden, in der „die Bilder ineinander glühen“. In den von Traumpartikeln und Visionen illuminierten Versen wird der „Herzalarm“ aufgerufen, der den Geliebten für immer entrissen hat. Diese über hundert neuen Gedichte, herzzerreißende Gesänge der Trauer, sind als eigene Abteilung den „Gesammelten Gedichten“ beigefügt, die der Suhrkamp Verlag nun zum heutigen 80. Geburtstag der Wiener Dichterin veröffentlicht. Das „freie“, assoziativ verflochtene, alle Sinne erweckende Gedicht, das Friederike Mayröcker seit je angestrebt hat – hier kommt es in einer Textur aus Erinnerungsblitzen, Verbalträumen und Wahrnehmungsekstasen zu sich. In ihrer Schreibklause hat die Autorin Bilder von Ferdinand Léger und Erlösungsmusiken von Johann Sebastian Bach versammelt – und trägt ihre Funde ein in ihre „weisze Fakultät von Lettern und Wiszbegierden“.

Was 1956 mit einem vorgeblich „konfusen Buch“ unter dem Titel „Larifari“ begann, ist mittlerweile zu einem Oeuvre von rund 60 Büchern und über 1500 Beiträgen in Anthologien angewachsen. Am Anfang der Mayröckerschen Sprachbesessenheit steht eine Urszene, die in stark voneinander abweichenden Versionen überliefert ist. Im Hinterhof eines Abbruchhauses, so steht es etwa in den „Magischen Blättern“ zu lesen, begann die Selbstverwandlung des tagträumenden Mädchens in Schrift. An einem Pfingsttag Anfang der vierziger Jahre kam es zu einem Offenbarungserlebnis der Fünfzehnjährigen. Beim Umherschweifen im Hinterhof entdeckt das rauschbereite Ich einen kahlen Strauch, der plötzlich zu brennen beginnt: „Ich wanderte dann umher und kauerte nieder und schrieb im Anblick des brennenden Busches mein erstes Gedicht.“ Pfingsten und der brennende Dornbusch geben in dieser Initiationsszene Friederike Mayröckers Schreibfuror die höheren Weihen.

Vor diesem Offenbarungserlebnis aber lag eine lange Leidensstrecke von Krankheit und Entbehrung. Am 20. Dezember 1924 als einzige Tochter eines Wiener Lehrers und einer Modistin geboren, laborierte das Mädchen lange Jahre an den Folgen einer schweren Gehirnhautentzündung. Bis zum vierten, fünften Lebensjahr wird sie von schweren Fieberanfällen gepeinigt und von den Eltern vor der Welt abgeschottet. 23 Jahre lang verharrt sie nach dem Krieg in ihrem Brotberuf als Lehrerin, bevor sie den Sprung in die freie Schriftstellerexistenz wagt. 1946 veröffentlichte sie ihr erstes Gedicht in der Zeitschrift „Plan“, 1954 kommt es zur Begegnung mit Ernst Jandl.

Gegen die schlechte Angewohnheit der Kritik, ihr Werk unter dem Label „experimentelle Poesie“ zu verbuchen, setzt Mayröcker ihr „Liebesspiel mit der Sprache“ und die entfesselte Lust am poetischen Exzess. In ihrem Roman „mein Herz mein Zimmer mein Name“ (1988), der aus einem einzigen, auf über 330 Seiten mäandernden Endlos-Satz besteht, vergleicht Mayröcker ihr Schreiben mit „narrativen Fieber-Abläufen, welche sich (besinnungslos) einer halluzinatorischen Sprachklimax annähern“.

Diese fiebrigen Grenzgänge in den Bezirken von Traum, Tagtraum und Selbstanalyse treiben die Bewegungen aller Mayröcker-Texte voran, ob sie sich nun die Gattungsgestalt eines Gedichts oder eines Prosatextes geben. In ihrer Dankrede zum Büchner-Preis 2001 hat die Autorin von ihrem „apostolischen Stil“ gesprochen. Tatsächlich zieht sich eine spirituelle Traditionslinie vom Frühwerk, in dem sich eine fast ehrfürchtige Verehrung der Gottesmutter artikuliert, bis zu den späten Gedichten, wo in den Trauergesängen auf Ernst Jandl die Gestalt des Gekreuzigten auftaucht. Am Ende sind es die Engel, die Trost bringen – und natürlich die Ekstase der Schrift: „dies / Wort im Draht in der Kommunion ich träume von dir, und / die Ekstase selbst, diese Elster, / habe gerade die Sprache erfunden rasende Sprache“.

Friederike Mayröcker: Gesammelte Gedichte 1939-2003. Hrsg. von Marcel Beyer. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 2004. 860 Seiten, 28,60 €.

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