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Kultur: Die Entdeckung des Vaters

lauscht der russischen Musik der Moderne Wer kein Genie ist, braucht Geduld. So ließe sich das knappstmögliche Fazit formulieren, das sich aus der Rezeptionsgeschichte der Musik des 20.

lauscht der russischen Musik der Moderne Wer kein Genie ist, braucht Geduld. So ließe sich das knappstmögliche Fazit formulieren, das sich aus der Rezeptionsgeschichte der Musik des 20. Jahrhunderts ziehen lässt. Denn während die Werke der Genies, eines Schönberg oder Schostakowitsch, sofort ihren Weg in die Konzertprogramme fanden, richtet sich der Blick erst seit wenigen Jahren auf deren Umfeld: auf Schüler, Freunde, Widersacher sowie Sonderlinge, die ihren eigenen Weg zwischen den Heroen suchten. Die Anerkennung von Schostakowitsch beispielsweise als größten Sinfoniker nach Mahler ist letztlich der Impuls, die Werke von Komponisten wie Nikolai Miaskowsky oder Dimitri Kabalewsky unter die Lupe zu nehmen. Miaskowskys sechste Sinfonie beispielsweise hat es vor einiger Zeit sogar zu einer prestigeträchtigen Einspielung mit Neeme Järvi bei der Deutschen Grammophon gebracht. Auch der 1915 geborene Grigori Frid, dessen Anne-Frank-Oper bereits auf den Spielplänen kleinerer deutscher Bühnen auftauchte, gehört in diesen Umkreis, und wer die Wiederaufnahme der großartigen Produktion von Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ an der Komischen Oper im Juni nicht abwarten will, kann sich erst mal mit Frids Kammeroper Briefe des van Gogh im Saalbau Neukölln trösten (wieder am 20. und 21. Mai). Die Premierenkritiken waren sich über das ausgezeichnete musikalische Niveau weitgehend einig, und Regisseur (und Götz-Friedrich-Preisträger) Holger Müller-Brandes gehört nicht zu denjenigen, die ihre Arbeit auf die leichte Schulter nehmen.

Im Falle der Uraufführung der fünften Sinfonie des ebenfalls 1915 geborenen Wladimir Jurowski geht es allerdings nicht nur um die Aufarbeitung von Musik-, sondern auch von Familiengeschichte. Denn Jurowski stand nicht nur in engem Kontakt zu Schostakowitsch – beide Familien wohnten zeitweise sogar im selben Haus –, sondern begründete auch eine Musikerdynastie, die mit Berlin eng verbunden ist: Sein Sohn Michail Jurowski ist als Opern- und Konzertdirigent seit gut einem Jahrzehnt so etwas wie der Sachwalter russischer Musik in der Stadt, Enkel Wladimir startete von der Kapellmeisterstelle an der Komischen Oper seine internationale Dirigentenkarriere. Verständlich, dass es Michail Jurowski ein Herzensanliegen ist, das letzte, Ende 1971 entstandene Werk seines Vaters endlich zur Uraufführung zu bringen und es auch selbst zu dirigieren. Am kommenden Freitag ist es endlich soweit: Beim Konzert des Rundfunk-Sinfonieorchesters im Konzerthaus kombiniert Jurowski Sohn das Werk von Jurowski Vater sinnigerweise mit einem anderen Abschiedsstück: mit Mahlers „Lied von der Erde“.

Jörg Königsdorf

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