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Kultur: Die Erde als Scherbenhaufen

Von Hendrik Bebber „Immense Kraft und Integrität, die Architektur und Ausstellung ideal verbinden“, lobt der „Guardian“ das erste fertig gestellte und in der Öffentlichkeit entsprechend beachtete Gebäude von Daniel Libeskind in Großbritannien. Und alle Kritiker sind sich darin einig, dass ihm mit dem Kriegsmuseum in der nordenglischen Industriemetropole ein ebenso genialer Wurf gelungen ist wie mit dem Jüdischen Museum in Berlin.

Von Hendrik Bebber

„Immense Kraft und Integrität, die Architektur und Ausstellung ideal verbinden“, lobt der „Guardian“ das erste fertig gestellte und in der Öffentlichkeit entsprechend beachtete Gebäude von Daniel Libeskind in Großbritannien. Und alle Kritiker sind sich darin einig, dass ihm mit dem Kriegsmuseum in der nordenglischen Industriemetropole ein ebenso genialer Wurf gelungen ist wie mit dem Jüdischen Museum in Berlin.

Libeskind zerschlägt mit seinem Bau alle unangenehmen Assoziationen, die sich an den n der nördlichen Tochter des „Imperialen Kriegsmuseums“ in London knüpfen könnten. Der „Philosoph unter den Architekten" – so der „Independent" – errichtete ein aufwühlendes Monument gegen Leid, Tod und Zerstörung, die Menschen über sich bringen. Sein Museum gleicht einem Erdball, der in drei Scherben zerborsten ist. Die horizontal und vertikal miteinander verwundenen „Trümmerstücke“ repräsentieren laut Libeskind die „Natur des Konfliktes auf dem Land, zur See und in der Luft". Errichtet in der Regenerierungszone des Binnenhafens von Manchester, wirkt dieses aluminiumverkleidete Poem gegen die geschmackvolle Langweile der anliegenden Industrie- und Bürogebäude um so aufregender.

Der erste äußere Eindruck von Verstörung und Disharmonie verstärkt sich noch im Inneren des Gebäudekomplexes. Sie können das Museum durch den gekrümmten, bunkerartigen Haupteingang betreten oder gleich mit dem Außenaufzug durch das Stahlskelett der „Luftscherbe“ zu der dreißig Meter hohen Aussichtsterrasse fahren und von dort zunächst einen einzigartigen Blick auf Manchester genießen, bevor sie die winkelversetzten Treppen in die Ausstellungstrakts hinabsteigen. Das Element von Gefahr und Anspannung ist in den ungewohnten Winkeln, augegebrochenen Ebenen und Schwindel erregenden Abgründen allgegenwärtig. Ruhe und Besinnung findet man allenfalls im Restaurant und dem Museumsshop.

Die gewaltige Hauptgalerie in der „Erdscherbe“ spiegelt die Tektonik der Erdkruste wieder. Sie ist mit einem raffinierten System von verborgenen Projektoren bestückt, die rundum auf die Wände Dokumentationen zu kriegerischen Konflikten werfen. Während im Londoner Hauptmuseum die aufpolierte Kriegsmaschinerie seltsam sinnentfremdet herumsteht, ist ihre Bedrohlichkeit in Manchester beklemmend gegenwärtig.

Unvermittelt steht man nach einer Wegkrümmung einem amerikanischen Kampfflugzeug oder einem sowjetischen Panzer gegenüber und bekommt so eine Ahnung davon, welchen Terror sie entfachen können. In der Hauptgalerie können die Besucher auch per Knopfdruck kleinere Objekte aus dem Arsenal und dem Archiv des Museums in einem „Zeitspeicher“ anfordern, die ihnen dann die Kuratoren erläutern.

Für die „Times“ ist Libeskinds Museum ein „Zeichen neuer Sprachkraft in der Architektur". Ebenso imponiert den Kritikern, dass er diesen Bau trotz gewaltiger Beschneidung des ursprünglichen Etats und Grundstücks letztlich für nur 30 Millionen Pfund ausführen konnte. „Die größte Herausforderung für einen Architekten ist es, ein Maximum von Architektur in einem Minimum von Raum zu verwirklichen“, sagte Daniel Libeskind zu den Schwierigkeiten: „Einfachheit und Robustheit sind es, die zählen.“ Und er hat diese Herausforderung wieder einmal glänzend bestanden.

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