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Kultur: Die ermordete Glyzinie

Idylle mit Haarrissen: Barbara von Beckers Italienroman „Schatten am See“.

Die Protagonisten aktueller deutscher Romane über den Gardasee verfügen über beneidenswert starke Mägen und ebensolche Familienbande. Nach Bodo Kirchhoffs großspurigem Epos „Die Liebe in groben Zügen“ legt nun die Berliner Publizistin Barbara von Becker mit „Schatten am See“ ihr Romandebüt vor. Beide Autoren eint die tiefe Liebe zu ihrer langjährigen Wahl- oder Zweitheimat am Gardasee, was ihren Umgang mit Versatzstücken der italienischen Lebensart, der „Italianità“, zuweilen überborden lässt: „Danach gab es für alle, die noch nicht genug der Meeresfrüchte hatten, Linguine im Sud von Tomaten, Knoblauch, Langustinos, Vongole und Calamari, die in großen Tonschalen serviert wurden, oder Spinatgnocchi, molto leggero, wie sie Livio als Spezialität seiner Frau anpries. Zum Hauptgang fiel die Wahl auf gefüllte Wachteln in einer Rotweinsoße mit eingelegten Pflaumen, dazu Polenta.“

Clara Mahler, Professorin für Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität, bricht vor Ostern nach Italien auf, um ein Buch über die Fresken von San Salvatore in Brescia zu schreiben. Vor allem aber entflieht sie dem Berliner Dauerwinter, unter dem auch ihr Mann Leo leidet, mit jeder Faser seines Herzens idealistischer Kleinverleger. Zum Leidwesen der Eltern zeigen ihre beiden Kinder mehr praktische als schöngeistige Interessen – der Sohn will Koch werden, die Tochter mit einer Schwäche für Leberwurstbrote arbeitet in einer Kunsttischlerei in München: „Luise hatte sich im Vorbeigehen an der Zeitungstheke des Cafés einen Berliner ‚Tagesspiegel’ gegriffen. Eine kleine Dosis Heimat ab und zu tat ganz gut.“ Es ist die klassische Süd-Sehnsucht des deutschen Bürgertums seit Goethe, Johann Gottfried Seume und vielen anderen, die „Schatten am See“ strukturiert.

Zwar ist die Kapitale Berlin für Clara und Leo Mahler als Ort der Inspiration unverzichtbar, doch lukullisch, musikalisch und sprachlich zieht es sie eindeutig nach Italien. Vorerst noch allein, beginnt Clara einen Flirt mit einem Mailänder Journalisten, der über die Mafia und deren Tochterorganisationen publiziert. Dann kommt der alte Freund Fridolin Merseburger hinzu. Den Kunsthistoriker führt ein rätselhaftes, offenbar entzweigeschnittenes Gemälde an den Gardasee. Es stammt aus dem Nachlass der Industriellenfamilie Venturini, die wiederum mit einem Maler namens Ostenhoff in Verbindung stand. Diese Spur reicht in die Republik von Salò zurück, Mussolinis „Pseudoregierung von Hitlers Gnaden“. Sichtbarstes Zeichen dieser Epoche ist das Wohnhaus samt Parkanlage des Dichterfürsten und Mussolini-Freundes Gabriele d’Annunzio in Gardone, das er zum nationalen Monument „Il Vittoriale degli Italiani“ umbauen ließ.

Die Idylle der Casa Mahler ist also von zwei Seiten bedroht: den Schatten der faschistischen Vergangenheit und denen einer unwägbaren Gegenwart. „War das noch immer ihr geliebtes Italien? Die Berlusconi-Jahre hatten den Herzschlag des Landes verändert. Clara hatte das Gefühl, nicht mehr als Beobachterin am Rande, sondern im Zentrum einer unheimlichen Veränderung zu stehen, gegen die sie nichts tun konnte.“ Als sie eines Morgens den Stamm ihrer geliebten Glyzinie zerschnitten und einige mächtige Terrakottatöpfe umgeworfen vorfindet, konkretisiert sich ihr Mafiaverdacht.

Diese politische Seite des stellenweise unaufmerksam lektorierten Romans hätte man sich stärker akzentuiert gewünscht. Sie ist wesentlich spannender als all die Antipasti und glyzinienumflorten Seeansichten, mit denen die Italienkennerin Barbara von Becker ihre Leser ins Schwelgen bringt. Katrin Hillgruber

Barbara von Becker: Schatten am See. Roman. Langen Müller Verlag, München 2013. 368 Seiten, 16,99 €. – Die Autorin stellt ihr Buch am heutigen Mittwoch um 20 Uhr in der Autorenbuchhandlung am Savignyplatz vor.

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