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Berlinale-Chef Moritz de Hadeln an einem Grenzwachturm.

© Angelika Fischer/Berliner Festspiele

Die erste Berlinale: Tauwetter auf dem roten Teppich

Freie Fahrt für Festivalgäste: Vor 25 Jahren startete die erste Großberliner Berlinale - und trug ein großes Stück zum Zusammenwachsen der beiden Stadthälften bei.

Das Eis schmolz. Es tropfte von den Zwiebeltürmen der Basilius-Kathedrale, rieselte von ihrer Fassade, dieser glitzernden, nun verrinnenden Pracht, sammelte sich am Fußboden zu kleinen, im Laufe des Abends wachsenden Pfützen. Konnte es ein besseres Bild geben für diese Stunde der Weltgeschichte im Februar 1990, ein symbolkräftigeres als die, dem Sozialismus gleich, sich auflösende Eisplastik im Foyer des Hauses der Sowjetischen Kultur und Wissenschaft in der Friedrichstraße?

Lange 22 Jahre hatte es keinen Filmball mehr gegeben auf der Berlinale. Fast versunken die Erinnerung an die Stars, die einst im Prälat Schöneberg den vom Kalten Krieg ganz durchgefrorenen Berlinern eine Ahnung gaben vom Glanz der großen weiten Welt. An Schönheiten wie Sophia Loren und Gina Lollobrigida, die 1954 darum wetteiferten, wer denn das aufregendste Dekolleté vorzuweisen hatte. Nun aber, drei Monate nach dem Mauerfall, bei den ersten in West- wie Ost-Berlin gefeierten Filmfestspielen, schien die Zeit reif für eine Wiederbelebung der verschütteten Tradition.

Die erste Großberliner Berlinale half beim Zusammenwachsen

Ein Abend der großen Erwartungen, schon preislich gesehen. Stolze 180 DM oder 250 Mark kostete der Eintritt. Dafür durfte man schon etwas erhoffen, wenn auch nicht Gorbatschow und Liza Minnelli im Original, aber als Doppelgänger waren sie präsent. Und doch ertrank die Stimmung in einem Eismeer der Langeweile, blieb der „Bal russe“ trotz Helen Schneider, die hingebungsvoll „Surabaya Johnny“ besang, eine billig wirkende Kopie früherer Größe. Der behauptete Glamour wollte noch keine Funken schlagen.

Nicht alles konnte gleich klappen bei der ersten Großberliner Berlinale vor 25 Jahren, aber ein Riesenschritt beim kulturellen Zusammenwachsen der beiden Stadthälften wurde doch getan zwischen dem 9. und dem 20. Februar 1990. Aufbruch lag in der Luft, positive Veränderung des gesamten Lebens schien zum Greifen nah. Bei der Eröffnung des Forum-Programms habe er, wie sein ihm zur Seite stehender Kollege aus Ost-Berlin, „das Gefühl gehabt, Geschichte zu schreiben, dem Beginn einer neuen Ära beizuwohnen“, erinnert sich Ulrich Gregor, damals Leiter der Forum-Sektion, an die Stimmung jener Tage. Zwar habe es auf DDR-Seite auch gemischte Gefühle gegeben, „aber bei den Vernünftigen überwogen die positiven“, erzählt er. Zur kleinen Geschichtsstunde hat er es sich wie seine Frau und Mitstreiterin Erika im Foyer des Arsenal-Kinos bequem gemacht, im Untergeschoss des Filmhauses in der Potsdamer Straße – eine vor 25 Jahren noch unvorstellbare Situation. Der Potsdamer Platz war damals eine Brache, die Mauer hatte zwar große Löcher bekommen, stand aber noch, ebenso die DDR, wenngleich Erika Gregor vor dem Start der 40. Berlinale die Forum-Mitarbeiter ermahnt hatte: „Kinder, wenn ihr das Wort DDR schreibt, tut es mit Andacht, es ist das letzte Mal.“

Frank Beyer weinte bei seiner Rede

Regelmäßige Kontakte nach drüben hatte es für die Gregors schon lange vor der Wende gegeben. Seit jeher wurden gerade im Forum auch Filme aus der DDR gezeigt, Winfried und Barbara Junges Langzeitdokumentation „Die Kinder von Golzow“ etwa hatte dort einen Stammplatz. Auch war die Zusammenarbeit mit dem Staatlichen Filmarchiv der DDR gut, und gerne erzählen die Gregors davon, wie sie István Szabó zur Einstimmung auf seinen „Mephisto“ von 1981 alte Ufa-Filme aus Ost-Berlin besorgten. Gründgens habe der vorher nur aus Büchern gekannt.

Forums-Chef Ulrich Gregor als Mauerspecht. Das Bild zierte 1991 eine Festival-Broschüre.
Forums-Chef Ulrich Gregor als Mauerspecht. Das Bild zierte 1991 eine Festival-Broschüre.

© Angelika Fischer/Berliner Festspiele

Das Filmarchiv erwies sich auch mit verpönter DDR-Ware als gut sortiert. Die Wende spülte die nach dem 11. Plenum des ZK der SED 1965 verbotenen „Regalfilme“ wieder ans Tageslicht, und gerade das Forum hat sich bei ihrer verspäteten Veröffentlichung verdient gemacht. Kurt Maetzigs „Das Kaninchen bin ich“ und Frank Beyers „Spur der Steine“ wurden im November 1989 im Kino International gezeigt, samt Pressekonferenz, bei der auch die Regisseure auf dem Podium saßen. Beyer habe eine Rede vorbereitet, sei aber in Tränen ausgebrochen und habe nicht weitersprechen können, erzählt Erika Gregor. Organisiert hatte die Veranstaltung Rolf Richter, der einer Kommission zur Aufarbeitung der Verbotsfilme vorstand und die Gregors ermunterte, die ehemals verbotenen Filme ins Forum aufzunehmen, und so geschah es.

In Ost-Berlin wurden all diese Filme ausgerechnet im International an der Karl-Marx-Allee gezeigt, dort neben dem Kosmos eines der beiden großen Premierenkinos, an dem Ort also, wo „Spur der Steine“ 1966 offizielle Premiere hatte und nach inszenierten Krawallen nur drei Tage später aus dem Programm genommen und weggeschlossen wurde.

"Weil Manfred Krug der Star war"

Beyers Film hatte sich Berlinale-Chef Moritz de Hadeln für den Wettbewerb ausgesucht, „weil Manfred Krug der Star war“, wie Erika Gregor sanft spöttelt. Der Film lief dort außer Konkurrenz. Anders als das Forum-Paar mit seinem zuverlässigen Draht zum DDR-Filmarchiv hatte sich de Hadeln direkt an den für Film zuständigen Stellvertretenden Kulturminister der DDR, Horst Pehnert, gewandt, um die Berlinale nach Ost-Berlin zu bringen. Schon beim Festival 1989 hatte er ihm spontan einen entsprechenden Vorschlag gemacht, den erneuerte er noch am 9. November 1989 in einem Schreiben. Erste Sondierungsgespräche am Rande der Leipziger Dokumentarfilmwoche Ende November folgten, und bereits nach knapp zweiwöchigem Hin und Her, das längst Eigendynamik entwickelt hatte, konnte am 7. Dezember in der Berliner Presse hüben wie drüben die frohe Botschaft verkündet werden: Filmfestspiele in beiden Teilen der Stadt.

Die Filme des Wettbewerbs – darunter Heiner Carows mit dem Silbernen Bären geehrtes Schwulendrama „Coming Out“ – sollten im Kosmos in der Karl-Marx-Allee gezeigt werden, das Kinderfilmfest und Teile des Panoramas im Colosseum an der Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg, das Forum im International.

Auch das grenzüberschreitende Hin und Her von Festivalmitarbeitern, Regisseuren, Schauspielern, Journalisten und Filmen musste geregelt werden. Man kam überein, dass der Akkreditierungsausweis als Dokument genüge, die DDR-Seite gab an der Invalidenstraße sogar die Diplomatenspur für die Berlinale-Gäste frei. Mit einer selbst gebastelten Plakette an der Windschutzscheibe seien sie und ihre als Fahrerin eingesprungene Tochter Christine im Schritttempo durchgefahren, ohne kontrolliert zu werden, erinnert sich Erika Gregor. Sogar sechs tragbare Funktelefone waren der Berlinale für den Einsatz in Ost-Berlin gestattet worden.

Ein Teppich für Julia Roberts, Michael Douglas und Danny DeVito

Fehlte nur noch ein roter Teppich für die Stars, die ja nicht nur im Zoo-Palast, sondern ebenso vor dem Kosmos durchs Blitzlichtgewitter schreiten sollten, darunter Julia Roberts, Michael Douglas und Danny DeVito. Man organisierte kurzerhand vom Flughafen Schönefeld das dort für Staatsgäste bereitliegende Exemplar.

Eine Geschichte schreibende Berlinale also, trotz des als durchschnittlich empfundenen Wettbewerbsprogramms, bei dem Costa-Gavras’ „Music Box“ und Jirí Menzels „Lerchen am Faden“ das Rennen machten. Das viel spannendere Geschehen fand ohnehin außerhalb der Kinosäle statt. Auch die Stars zog es magisch zu Brandenburger Tor und Mauer.

Das Publikum im Osten, nicht gerade verwöhnt mit unzensiertem Filmgenuss und Glamour, strömte nicht so zahlreich in die Kinos wie erwartet. Etwas über 38 000 Besucher wurden gezählt. Der Beate-Uhse-Shop am Bahnhof Zoo dagegen konnte über mangelnden Zuspruch nicht klagen. „Der Sexladen ist voller als die Berlinale-Kinos in meinem Teil der Stadt“, staunte die Ost-Berliner Journalistin Jutta Voigt. Trotz des eingeschränkten Filmangebots.

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